Als die zwei gegangen waren, kam Boom Boom Craycroft hereingestürmt, um ihre Post zu holen. Nach einer eingehenden Diskussion über ihren leichten Schienbeinbruch sagte sie, daß doch jeder mal vom Pfad der Tugend abkomme, da sei doch nichts dabei.
Die Männer packten das Thema anders an. Mark führte Mr. Randolphs Ableben auf seine finanzielle Lage und seine Leukämie zurück. Harry mochte kaum glauben, daß ein Mensch einen Herzanfall erlitt, weil sich sein Vermögen aufgrund eigener Machenschaften von 250 Millionen auf 100 Millionen Dollar verringert hatte. Aber alles war möglich. Vielleicht kam er sich ja arm vor.
Fair Haristeen beugte sich über den Schalter. Er war der Meinung, daß das lebenslange Bemühen, alles und jeden zu beherrschen, Wesleys Gesundheit ruiniert habe. Was natürlich traurig sei, denn Randolph sei ein sympathischer Mensch gewesen. In erster Linie aber war Fair daran gelegen, Harry den Film aussuchen zu lassen, den sie sich Freitag abend ansehen wollten.
Ned Tucker, Susans Mann, vertrat die Ansicht, daß wir sterben, wann wir wollen; Papa Randolph sei zum Abtreten bereit gewesen, und niemand sollte sich deswegen zu sehr grämen.
Am Ende des Arbeitstages war die Palette von Mutmaßungen komplett. Der letzte Kommentar zu Wesley Randolphs Dahinscheiden, von Rob Collier abgegeben, als er die Nachmittagspost abholte, lautete, der alte Herr habe es mit der Frau seines Sohnes getrieben. Das neue Medikament, das Larry Johnson ihm gegen seine Krankheit verschrieben hatte, habe seine Potenz zu neuem Leben erweckt. Warren habe die beiden beim Stelldichein erwischt, und sein Vater sei an dem durch den Schock ausgelösten Herzanfall gestorben.
Als Harry und Mrs. Hogendobber abschlossen, ließen sie den Klatsch des Tages Revue passieren. Mrs. Hogendobber warf den Schlüssel in ihre Tasche, atmete tief ein und sagte zu Harry: »Was mögen die wohl über uns sagen?«
Harry feixte. »Klatsch verleiht dem Tod einen neuen Schrecken.«
»Weißt du was, wenn ich 's zu Hause nicht mehr aushalte, zieh ich zu dir in den Stall«, verkündete Paddy.
»Nein, das wirst du nicht tun«, rief Simon das Opossum vom Heuboden herunter. »Du stiehlst mir meine Schätze. Du taugst nichts. Du bist als Taugenichts geboren und wirst als Taugenichts sterben.«
»Red nicht solchen Quatsch, du zu groß geratene Ratte. Wenn ich deine Meinung hören will, frag ich dich danach.« Paddy putzte eine seiner weißen Gamaschen.
Paddy, ein großer schwarzer Kater, der stets Frack und Gamaschen trug, sah gut aus, und das wußte er auch. Sein weißer Latz glänzte, und so streitsüchtig er war, nach jedem Kampf putzte er sich picobello.
Mrs. Murphy saß in der Sattelkammer auf einem Regiestuhl. Paddy saß auf dem Stuhl gegenüber, und Tucker hatte sich auf dem Fußboden ausgestreckt. Simon mochte nicht herunterkommen. Er konnte fremde Tiere nicht ausstehen.
Das letzte Tageslicht warf einen pfirsichrosa Schimmer durch das Fenster. Die Pferde plauderten in ihren Boxen miteinander.
»Ich wünschte, Mom würde nach Hause kommen«, sagte Tucker.
»Sie wird lange in Eagle 's Rest bleiben.« Mrs. Murphy wußte, daß dieser Beileidsbesuch sich hinziehen würde, zumal ganz Crozet dort versammelt sein würde.
»Komisch, wie der alte Mann zusammengebrochen ist.« Paddy begann, seine andere Vorderpfote zu putzen. »Sie heben schon sein Grab aus. Ich bin auf meiner Runde über den Friedhof gegangen. Wesleys Platz ist zwischen den Berrymans und den Craigs.«
Tucker ging bis ans Ende des Stalls, dann kam sie zurück. »Der Himmel über den Bergen ist blutrot.«
»Es wird wieder Frost geben heute nacht«, stellte Paddy fest. »Immer, wenn man denkt, es wird Frühling.«
»Die Tage werden schon wärmer«, bemerkte Mrs. Murphy. »Dr. Craig. War das nicht Larry Johnsons Partner?«
Paddy erwiderte: »Lange bevor einer von uns geboren war.«
»Laß mich überlegen.« »Murph.« Tucker stellte sich nachdenklich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfoten auf den Stuhl. »Frag Herbie Jones, der erinnert sich an alles.«
»Wenn die Menschen uns bloß verstehen könnten.« Mrs. Murphy machte ein finsteres Gesicht, dann hellte ihre Miene sich auf. »Dr. Jim Craig. 1948 ermordet. Er hat Larry in seine Praxis genommen, genau wie Larry HaydenMclntire hereingenommen hat.«
Paddy starrte seine Exfrau an. Wenn sie sich in eine Idee verrannte, ließ man sie am besten gewähren. Sie zeigte mehr Interesse für Menschen als er.
»Worauf willst du hinaus?«
Die Tigerkatze sah auf ihre Hundegefährtin hinunter. »Paddy sagte, er ist über den Friedhof gegangen. Das Familiengrab der Randolphs liegt zwischen den Berrymans und den Craigs.«
Tucker wanderte unruhig umher. »Noch so ein ungelöster Mordfall.«
»Ach, das ist eine von diesen Spukgeschichten, die sie dir als junges Kätzchen erzählen, um dir Angst einzujagen« , sagte Paddy geringschätzig. »Der alte Dr. Craig wurde in seinem Pontiac gefunden, bei laufendem Motor. Am Friedhofstor haben sie ihn entdeckt. Ja, ja, jetzt erinnere ich mich. Sein Enkel, Jim Craig II. hat vor Jahren versucht, den Fall wieder aufzurollen, aber es ist nichts dabei herausgekommen.«
»Ein Schuß zwischen die Augen«, sagte Mrs. Murphy. »Seine Arzttasche wurde gestohlen, aber kein Geld.«
»Diese Stadt ist voll von irren Typen. Da wollte einer allen Ernstes Doktor spielen«, sagte Paddy kichernd.
»1948.« Mrs. Murphy besann sich stolz auf die Einzelheiten, die ihre Mutter ihr vor langer Zeit erzählt hatte. »Die ganze Stadt war erschüttert, denn Dr. Craig war bei allen beliebt.«
»Nicht bei allen«, sagte Paddy.
»Hurra!« Tucker sprang hoch, als sie den Transporter in der Einfahrt hörte. »Mom ist da.«
»Paddy, komm mit rein. Harry mag dich.«
»Ja, mach, daß du hier rauskommst, du Nichtsnutz« , rief Simon vom Heuboden herunter.
Die Eule steckte den Kopf unter ihrem Flügel hervor, dann zog sie ihn wieder zurück. Sie beteiligte sich selten an den Gesprächen der anderen Tiere, da sie die Nachtschicht schob.
Der Hund sprang voraus.
Der befrackte Kater und die getigerte Katze schlenderten gemächlich zur Haustür. Es schickte sich nicht, sich allzu aufgeregt zu zeigen.
»Wünschst du dir manchmal, wir wären noch zusammen?« fragte Paddy. »Ich schon.«
»Paddy, die Beziehung mit dir war wie Dünger für meine Charakterfehler.« Ihr Schwanz schnellte in die Senkrechte, als Harry ihren Namen rief.
»Heißt das, daß du mich nicht leiden kannst?«
»Nein, es heißt, daß ich mich in der damaligen Situation nicht leiden konnte. Komm jetzt, Abendessen.«
Die zwei oberen Stockwerke von Monticello, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, dienten dem langbeinigen Kimball Haynes als Refugium und Arbeitszimmer. Die wertvollen Jefferson- Dokumente befanden sich größtenteils in der Raritätenabteilung der Alderman-Bibliothek in der Universität von Virginia, in der Kongreßbibliothek sowie der Virginia-Staatsbibliothek in Richmond. Monticello selbst verfügte nur über eine bescheidene Bibliothek.
Zu Kimballs Vergnügungen gehörte es, in dem rechteckigen Raum über dem Gewächshaus zu sitzen, das die achteckige Bibliothek mit Jeffersons privatem Studierzimmer verband. Hier hatte Kimball sich einen bequemen Ohrensessel hingestellt und eine Privatbibliothek eingerichtet, die unter anderem Kopien von Berichten enthielt, die Jefferson oder seine weißen Angestellten eigenhändig verfaßt hatten. Er vertiefte sich in Kontobücher, Gästebücher und Wetterberichte des Jahres 1803. Da jenes Jahr mit Jeffersons erster Amtsperiode als Präsident zusammenfiel, hatte es der große Mann bei den Aufzeichnungen an Sorgfalt fehlen lassen. Erbsen, Tomaten und Mais waren angebaut worden wie immer. An einer Kutsche war eine Achse gebrochen. Die Reparatur war teuer. Das Vieh erforderte ständige Pflege. Ein Gast, der im November in einem Zimmer im zweiten Stock untergebracht gewesen war, hatte sich beklagt, daß er schrecklich fror. Die Beschwerde war berechtigt, denn dort oben gab es keine Kamine.
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