Am nächsten Morgen verschwand Jerrys Pferd Mickey vom Hof, während wir mit dem zweiten Lot unterwegs waren, doch Cass erzählte Jerry, Jud habe Mickey zu einem Bekannten Humbers an die Küste gefahren, damit er zur Kräftigung der Beine im Meerwasser planschen könne, und er werde am Abend zurückgebracht. Doch der Abend kam und Mickey nicht.
Am Mittwoch ließ Humber wieder ein Pferd starten, und ich verzichtete auf mein Mittagessen, um mich in seinem Haus umzusehen, solange er fort war. Durch einen geöffneten Luftschacht kam ich zwar leicht hinein, aber ich fand keinerlei Hinweis darauf, wie die Pferde gedopt wurden.
Den ganzen Donnerstag machte ich mir Gedanken darüber, daß Mickey noch an der Küste war. An sich schien das ganz in Ordnung. Warum sollte ein Trainer, der zwanzig Kilometer von der Küste entfernt wohnte, die Möglichkeit nicht nutzen? Seewasser tat Pferdebeinen gut. Aber manchmal geschah bei Humber mit Pferden etwas, das ein späteres Doping ermöglichte, und ich hatte den überaus unangenehmen Verdacht, daß es bei Mickey gerade soweit war und ich die einmalige Chance verpaßte, der Sache auf den Grund zu kommen.
Den Geschäftsbüchern nach gehörten Adams neben den beiden Huntern noch vier Rennpferde auf dem Hof. Da sie uns alle nicht unter ihrem richtigen Namen bekannt waren, konnte Mickey jedes von den vieren sein. Er konnte durchaus Kandersteg oder Starlamp sein. Es sah ganz so aus, als wäre er einer von den beiden und sollte in Supermans Fußstapfen treten. Also machte ich mir Gedanken.
Freitag früh brachte ein gemieteter Transporter unseren Starter nach Haydock, und Humbers Transporter blieb ebenso wie Jud, der sonst immer die Pferde fuhr, bis Mittag auf dem Hof. Das war eine klare Abweichung vom Trott, und ich nutzte die Gelegenheit, mir den Kilometerstand auf dem Tacho anzusehen.
Jud fuhr mit dem Transporter zum Hof hinaus, während wir noch die Mittagspampe löffelten, und wir sahen ihn auch nicht wiederkommen, da wir auf der am weitesten vom Stall entfernten Arbeitsbahn die Grasplacken wieder einsetzten, die im Lauf der Woche beim Training aus dem weichen Boden gerissen worden waren, doch als wir zur Abendstallzeit um vier zurückkamen, stand Mickey in seiner Box.
Ich stieg ins Fahrerhaus des Transporters und sah mir den Kilometerstand an. Jud hatte genau sechsundzwanzigeinhalb Kilometer zurückgelegt. An der Küste konnte er nicht gewesen sein. Grimmig dachte ich mir mein Teil.
Als ich mit meinen beiden Rennpferden fertig war, ging ich mit den Bürsten und Heugabeln zu Adams’ schwarzem Hunter hinüber und sah Jerry nebenan mit Tränen im Gesicht vor Mickeys Box stehen.
«Was hast du?«fragte ich und stellte mein Zeug ab.
«Mickey… hat mich gebissen«, sagte er. Er zitterte vor Angst und Schmerzen.
«Laß mal sehen.«
Ich half ihm, den linken Arm aus dem Pullover zu ziehen, und sah mir den Schaden an. Am Oberarm, nicht weit von der Schulter, zeichnete sich blaurot ein dicker, runder Striemen ab. Das Pferd hatte voll zugebissen.
Cass kam herüber.
«Was ist denn hier los?«
Aber er sah Jerrys Arm und wußte Bescheid. Er schaute über die Stalltür in Mickeys Box, wandte sich an Jerry und sagte:»Seine Beine waren schon zu kaputt für die Meerwasserkur. Der Tierarzt meinte, die müßte er scharf einreiben, und das hat er heute nachmittag gemacht, als Mickey wiederkam. Deswegen stellt er sich so an. Er ist etwas mitgenommen, und das wärst du ja auch, wenn sie dir ein Pflaster, das so brennt, aufs Bein pappen würden. Also hör auf zu flennen, geh rein und schau, daß du mit ihm fertig wirst. Und du, Dan, machst dich an den Hunter und kümmerst dich um deinen Kram. «Er ließ uns stehen.
«Ich kann nicht«, meinte Jerry mehr zu sich selbst als zu mir.
«Das schaffst du schon«, ermunterte ich ihn.
Er sah mich entsetzt an.»Der beißt mich noch mal.«
«Ach was.«
«Er hat’s dauernd versucht. Und er keilt wie verrückt aus. Ich trau mich da nicht rein…«Steif, angstbebend stand er da, und mir wurde klar, daß er so wirklich nicht mehr in die Box gehen konnte.
«Na schön«, sagte ich,»ich nehme dir Mickey ab, du machst meinen Hunter. Aber mach ihn gut, Jerry, er muß tipptopp sein. Mr. Adams reitet ihn morgen wieder, und ich will nicht noch mal einen Samstag auf den Knien herumrutschen.«
Er sah mich verdutzt an.»So was hat noch keiner für mich getan.«
«Wir tauschen ja nur«, sagte ich schroff.»Wenn du mit meinem Hunter schluderst, beiße ich dich schlimmer als Mickey.«
Er hörte auf zu zittern und grinste, wie ich es mir gewünscht hatte; dann zog er den Pullover wieder über den schmerzenden Arm, griff sich meine Bürsten und öffnete die Tür zur Box des Hunters.
«Du sagst doch Cass nichts davon?«fragte er besorgt.
«Nein«, versicherte ich ihm und sperrte Mickeys Tür auf.
Das Pferd war fest angebunden und trug einen verstellbaren hölzernen Halskragen, damit es sich nicht die Verbände von den Vorderbeinen abreißen konnte. Unter den Verbänden waren Mickeys Beine laut Cass» geblistert«, das hieß, mit einem scharfen Mittel eingerieben, das zur Straffung und Kräftigung der Sehnen diente. Blistern oder scharfes Einreiben war bei Sehnenschwäche durchaus üblich. Nur, daß Mickeys Beine der Behandlung nicht bedurft hatten. Für meine Begriffe waren sie völlig in Ordnung gewesen. Jetzt dagegen schmerzten sie ihn offensichtlich und mindestens so sehr wie vom Blistern, wenn nicht stärker.
Mickey war so erregt, wie Jerry gesagt hatte. Weder Hand noch Stimme konnten ihn beruhigen; er schlug mit den Hinterbeinen aus, sobald er mich in Reichweite wähnte, und auch mit den Zähnen war er kräftig dabei. Ich hielt mich hinter ihm fern, auch wenn er sich redlich mühte, mich vor die Hufe zu bekommen, während ich die Box einstreute. Ich brachte ihm Heu und Wasser, doch das interessierte ihn nicht, und legte ihm eine neue Decke auf, da die alte schweißdurchtränkt war und er sich in der Nacht damit erkältet hätte. Der Deckenwechsel gestaltete sich etwas schwierig, aber da ich Mickeys Angriffe mit der Heugabel abwehrte, kam ich mit heiler Haut davon.
Ich ging mit Jerry zu den Futterkisten, wo Cass jedem Pferd sein Futter zuteilte, und als wir wieder bei den Boxen waren, tauschten wir feierlich die Maße aus. Jerry grinste glücklich. Mickey wollte nicht fressen, höchstens ein paar Stückchen von mir. Die bekam er nicht. Ich ließ ihn für die Nacht angebunden und brachte mich mit Jerrys Putzzeug auf der anderen Seite der Tür in Sicherheit. Bis zum Morgen würde er sich hoffentlich einigermaßen beruhigt haben.
Jerry striegelte dem schwarzen Hunter die Haare praktisch einzeln und summte dabei leise vor sich hin.
«Bist du soweit?«fragte ich.
«Ist es gut so?«fragte er zurück.
Ich trat in die Box, um mir sein Werk anzusehen.
«Prima«, sagte ich wahrheitsgemäß. Pferde putzen konnte Jerry wirklich gut; und am nächsten Tag ließ Adams zu meiner großen Erleichterung beide Hunter kommentarlos durchgehen und sagte nichts weiter zu mir. Er war in Eile, weil er zu einem weit entfernten Jagdtreffen mußte, aber anscheinend war es mir doch auch geglückt, einen des Quälens unwürdigen, rückgratlosen Eindruck auf ihn zu machen.
Um Mickey stand es an diesem Morgen noch viel schlimmer. Als Adams gefahren war, trat ich mit Jerry an die Tür von Mickeys Box und schaute hinein. Das arme Tier hatte sich trotz des Halskragens einen der Verbände abgerissen, und wir sahen eine große, offene Stelle über der Sehne.
Mickey drehte sich mit wildem Blick und angelegten Ohren nach uns um, den Hals aggressiv vorgestreckt. Die Muskeln an seinen Schultern und der Hinterhand zitterten stark. So hatte ich noch nie ein Pferd erlebt, außer wenn es kämpfte, und ich hielt ihn für gefährlich.
«Der ist durchgeknallt«, flüsterte Jerry gebannt.
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