(Mrs. U. hängt offensichtlich sehr an den Kindern.)
Mrs. U. wünscht, Mr. Pembroke würde der ganzen Familie viel, viel Geld geben, damit das Gequengel deswegen endlich aufhört. Sie hat nichts gegen Mr. Ian, aber ihr Mann läßt sie nicht mit ihm reden. Sie könnte Mr. Pembroke gern haben, sie findet ihn lustig und großzügig, aber ihr Mann steht dazwischen. Sie kann sich ihrem Mann nicht widersetzen. Hat kein eigenes Geld, würde ich sagen. Sie sitzt in der Falle. (Kann die Kinder nicht selbst ernähren, könnte nicht ohne sie weggehen.)
Glaubt sie, Mr. Pembrokes Tod würde ihre Probleme lösen? Glaubt sie, wenn Mr. G. reicher wird, wird alles gut? Ich könnte ihr versichern, daß das ein Irrtum ist.
Ende der Ermittlung.
Arme Mrs. U. Arme Ursula. Hätte sie Quantum in die Luft sprengen können? Wenn sie’s wollte, vielleicht. Es hörte sich an, als wäre sie vor Verzweiflung zu allem fähig. Wenn sie aber vernünftig war, würde sie ihre Verzweiflung überwinden und Malcolm um Hilfe bitten, statt ihn umzubringen.
Ich heftete Ursula hinter Gervase: immer in seinem Schatten.
Ich fragte mich, warum sie ihn geheiratet hatte, doch andererseits war ich auch auf ihrer Hochzeit gewesen, und hatte man nicht früher mal das glühende Ende seiner Zigarette gekostet, konnte man ihn für den Menschen halten, als der er, oberflächlich betrachtet, wirkte — selbstbewußt, gutaussehend, entschlossen und stark. Ein aufsteigender junger Börsenmakler. Eine gute Partie.
Ich steckte Gervase und Ursula wieder in den Umschlag, aber da wollten sie nicht bleiben, sie hingen wie Kletten an meinen Gedanken.
Es mußte Tausende, Hunderttausende solcher traurigen Ehen geben, dachte ich, wo das Unglück von innen her kam.
Wahrscheinlich konnte man leichter Katastrophen standhalten, die von außen kamen — man überstand Armut, Krankheit, Verlust. Viel schwerer war es, sich zu helfen, wenn die Persönlichkeit zerfiel. Beide waren im Zerfall begriffen, Ursula wegen Gervase, Gervase wegen.
Wegen Malcom? Wegen Malcolms Überdruß an Vivien, seiner Affäre mit Alicia, seiner schnellen Heirat mit Joyce? Wegen der unehelichen Geburt? Aber Ferdinand war ein Produkt der gleichen Vorgänge, und Ferdinand war mit sich im reinen.
Es gibt Fragen ohne Antworten. Die nächstliegenden Antworten sind häufig falsch. Ich wußte nicht, warum Gervase auseinanderfiel; ich dachte nur, daß der Prozeß schon begonnen hatte, als wir beide in Quantum lebten — vielleicht schon im Mutterschoß.
Ich schlief unter unruhigen Träumen und fuhr am nächsten Morgen zum Reiten wie zur Entspannungstherapie. Trost, das Wort von Norman West, paßte hier. Der rauhe Morgen, die galoppierenden Pferde, das Geschimpfe und die derben Späße, eine Tagesration der Realität, für die ich mich mit achtzehn entschieden hatte. Ich wußte nicht, warum ich Pferde so mochte. Eine Wahl, die man trifft, entspringt tiefen Bedürfnissen, aber woher kommen die Bedürfnisse?
Ich war es nicht gewohnt, in solchen Bahnen zu denken. Normalerweise lebte ich ziemlich sorglos in den Tag hinein, machte meine Arbeit, genoß die Teilnahme an Rennen, liebte, ohne mich auf Bedingungen einzulassen. In vieler Hinsicht war ich wohl faul, aber unkompliziert. Eine Raushaltestrategie, die ein jähes Ende gefunden hatte durch das Wiedersehen mit Malcolm in Newmarket.
Es war Dienstag.
Ursulas Putzfrau, dachte ich auf der Rückfahrt nach Cookham, würde jetzt Ursula die Hucke voll schwatzen, bis die Mädchen von der Schule wiederkamen. Ich fragte mich, ob Ursula in 14 Grant Street, Maidenhead, still und leise den Verstand verlor. Ich zog Straßenkleidung an und fuhr hin, um es herauszufinden.
Die Putzfrau kam an die Tür, mittelalt, in einem geblümten Overall, mit neugieriger Miene. Mrs. Pembroke habe sich wegen Kopfschmerzen hingelegt, sagte sie, und ja, sie könne vielleicht mal nach oben gehen und fragen, ob ihr Schwager sie zum Lunch ausführen dürfe. Würde ich bitte solange in der Diele warten?
Ich wartete, und bald darauf kam Ursula blaß in Mantel und Handschuhen herunter.
«Oh!«sagte sie schwach, als sie mich sah.»Ich dachte, es wäre Ferdinand.«
Das hatte ich gehofft. Ich sagte:»Wo würdest du am liebsten hingehen?«
«Oh. «Sie war unentschlossen. Sie blickte die Treppe hinauf und sah die Putzfrau als interessierte Beobachterin auf dem Absatz stehen. Wenn sie nicht mit mir kam, würde sie das erklären müssen.
«Komm«, sagte ich überredend.»Es ist warm im Auto.«
Das klang zwar albern, aber ich nahm an, sie hörte auf die Absicht, nicht die Worte. Sie kam über die Diele, ging mit mir zur Haustür hinaus und schloß sie hinter uns.
«Gervase wird das nicht recht sein«, sagte sie.
«Weshalb sollte er es erfahren?«
«Ihr wird schon was einfallen, wie sie’s ihm sagen kann.«
Sie deutete auf das Haus zurück, auf die Putzfrau.»Sie stiftet gern Unfrieden. Das verschönert ihr Leben.«
«Warum behältst du sie?«
Sie zuckte die Achseln.»Ich hasse Hausarbeit. Wenn ich sie entlasse, muß ich selber ran. Gervase sagt, sie ist gründlich, und er bezahlt sie. Er sagt, er würde niemand anders bezahlen.«
Sie stellte das sachlich fest, aber ich war erschrocken über dieses Bild häuslicher Tyrannei. Wir stiegen ins Auto, und ich fuhr zur Stadt hinaus, auf den Ort Bray zu, und unterwegs sagte sie noch zweimal:»Gervase wird das nicht recht sein. «Wir hielten an einem kleinen Restaurant an der Straße, und sie wählte Gemüsesuppe und Moussaka, wobei sie mehrmals über ihre Schulter blickte, als könnte ihr Mann plötzlich hereinschneien und sich auf uns stürzen.
Ich bestellte eine Karaffe Rotwein.»Nicht für mich«, protestierte sie, aber als er dann kam, trank sie ihn fast geistesabwesend. Sie hatte Mantel und Handschuhe abgelegt und saß in einem abgetragenen grauen Rock und blauem Pulli mit cremefarbener Bluse darunter am Tisch. Sie trug eine Perlenkette. Ihr braunes Haar wurde auf einer Seite von einer Schildpattspange zurückgehalten, und auf ihrem blassen Mund war kein Lippenstift. Die Aufmachung, nahm ich an, die Gervase verlangte.
Als die Suppe kam, sagte sie:»Ferdinand hat gestern abend angerufen und Gervase erzählt, du hättest gesagt, Malcolm hat ein neues Testament gemacht.«
«Ja«, stimmte ich zu.»Er hat es mir gezeigt.«
«Gervase hat mit mir nicht darüber gesprochen«, sagte sie.»Ich habe gehört, wie er mit Alicia deswegen telefoniert hat. So geht das meistens. Mir erzählt er nichts, er erzählt’s seiner Mutter.«
«Wie verstehst du dich mit Alicia?«fragte ich.
Sie aß behutsam die Suppe, die schon auf ihrem Löffel war. Sie sprach, als arbeite sie sich durch ein Minenfeld.
«Meine Schwiegermutter«, sagte sie eindringlich,»hat mehr Unheil gestiftet als sonst jemand seit Eva. Ich kann nicht über sie reden. Iß deine Suppe.«
Ich hatte den Eindruck, wenn sie erst mal anfinge, über Alicia zu reden, würde sie nicht mehr aufhören. Ich überlegte, wie ich sie dazu bewegen könnte, aber als ich zögernd fragte, was sie unter Unheil verstehe, schüttelte sie heftig den Kopf.
«Nicht hier«, sagte sie.
Ich ließ es sein. Sie sprach von den Kindern, was ihr ohne Anspannung gelang — sie wirkte fast angeregt dabei —, und so kamen wir zu dem Moussaka.
«Was machst du auf deinen Ausflügen nach London?«fragte ich beiläufig.
Sie sah verblüfft drein, sagte dann:»Ach ja, der unselige Mr. West. Gervase war wütend auf ihn. Dann wurde er auch sauer auf mich und wollte wissen, wo ich gewesen bin. Herumgewandert bin ich, weiter nichts. «Methodisch aß sie ihr Moussaka.»Ferdinand hat Gervase und Gervase hat Alicia etwas von einem Baumstumpf erzählt. Worum ging es denn da?«
Ich klärte sie über das Kordit auf.
Sie nickte.»Gervase sagte Alicia, er hätte schwer gelacht, als der alte Fred auf die Nase fiel.«
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