«Weißt du, was ANFO ist?«fragte ich.
Er verneinte zögernd, und ich dachte bei mir, daß er nicht ehrlich war. Vielleicht hatte er das Gefühl, Wissen könnte als Schuld ausgelegt werden. Ich mußte ihn aus seiner Unentschiedenheit aufrütteln. Ihn zum Verbündeten gewinnen, wenn ich konnte.
«Malcolm hat ein neues Testament aufgesetzt«, sagte ich.
«Und wahrscheinlich alles dir vermacht«, höhnte er bitter.
«Nein«, sagte ich.»Wenn er unter normalen Umständen stirbt, erben wir alle gleich. «Ich hielt inne und fügte eine Erfindung hinzu.»Bringt ihn jemand um, geht alles an karitative Einrichtungen. Wie wär’s also, wenn du dich ans Telefon klemmst und die ganze Sippe anhältst, mir beim Aufspüren desjenigen zu helfen, der sie um ihre Zukunft zu betrügen versucht?«
In meinem Zimmer in Cookham las ich am Abend Norman Wests Notizen über Gervase und Ursula. Gervase zuerst:
Mr. Gervase Pembroke (35) lebt mit Mrs. Ursula in 14 Grant Street, Maidenhead, einem Einfamilienhaus mit 800 qm Garten in guter Wohngegend. Sie sind seit elf Jahren verheiratet und haben zwei Töchter (8 und 6), die eine Privatschule besuchen.
Mr. G. ist Börsenmakler; er pendelt zu der Londoner Firma Wells, Gibson & Cathcart. (Wells, Gibson und Cathcart sind längst verstorben bzw. im Ruhestand, aber der angesehene Name wurde beibehalten.) Mr. Gervase arbeitet wie alle Teilhaber der Firma auf Provision. Er hat gleitende Arbeitszeit und ist weitgehend sein eigener Herr. Wie die Empfangsdame der Firma sagt, hat er früher mehr geleistet; in letzter Zeit ist er unzuverlässig geworden. Sie mochte es nicht direkt aussprechen, doch wenn ich recht verstanden habe, kommt Mr. G. manchmal angetrunken vom Lunch zurück und manchmal gar nicht.
Natürlich hat sie solche Zeiten nicht notiert. Sie sagt, sie habe zwei der anderen Partner über Mr. G. sprechen hören — er habe den Schneid verloren und verkaufe seinen Kunden nur noch mündelsichere Papiere. Wer aber zu sehr auf Nummer Sicher gehe, sei ein schlechter Makler. Die Empfangsdame hatte keine Hemmungen, Mr. G. anzuschwärzen, der ihr zufolge unausstehlich wird, wenn etwas nicht nach seinem Kopf geht, und der niemals ihren Fleiß anerkennt (!).
Auf meine Bitte, Mr. G. an seinem Arbeitsplatz sprechen zu dürfen, wurde ich zu ihm vorgelassen und erklärte, wer ich sei. Er sagte, er wisse Bescheid. Ich schickte vorweg, daß ich gehört hätte, er sei der uneheliche Sohn von Mrs. Alicia Pembroke, und damit war das Gespräch sofort zu Ende. Er jagte mich mit körperlichem Einsatz hinaus (Prellungen am linken Arm). Er sagte, ich hätte ihn beleidigt. Schon möglich! Es gelang mir noch, ihm zu sagen, wenn er Geschäftsbelege — Briefe, Abschlüsse — für den fraglichen Dienstag beibringen könne, sei er aus dem Schneider. Er verwies mich an seine Sekretärin, mit der ich auch sprach. Sie bestätigte, daß Mr. G. an dem Morgen ins Büro kam und zwei Briefe diktierte. Danach sagte er ihr, er wolle einen neuen Kunden besuchen, und ging um 10.30 h. Sie wußte nicht, wer der Kunde war, er stand nicht in Mr. G.s Terminkalender. Meistens kamen neue Kunden zwar ins Büro, aber es gab Ausnahmen. Mr. G. kam an dem Tag nicht mehr ins Büro zurück, sondern übellaunig erst am Mittwoch (mit einem Kater?).
Am Freitag davor verließ Mr. G. das Büro gegen Mittag (Notiz der Sekretärin) und kam nicht wieder. (Am Montag arbeitete er den ganzen Tag normal.)
Mr. G. pendelt mit der Bahn, stellt den grauweißen Rover auf dem Bahnhofsparkplatz ab. Wagen sauber und ohne Spuren, als ich ihn sah.
Besuchte Mr. G. zu Hause, um zur Erhärtung des Alibis nach dem Kunden vom Dienstag zu fragen. Mr. G. sagte, das ginge mich nichts an. Vermutung: Der Kunde war entweder eine Geliebte oder eine Flasche, oder aber Mr. G. will, daß ich das glaube.
Mr. G.s Alkoholproblem ist ernst (meine Meinung), macht ihn jedoch nicht arbeitsunfähig. Er tritt ausgesprochen resolut auf, muß aber Unsicherheiten haben (uneheliche Geburt??), derentwegen er trinkt und Leute schikaniert. (Seine Sekretärin mag ihn nicht besonders.) Mr. G. verdient anscheinend gut, nichts deutet auf finanzielle Schwierigkeiten hin.
Aufmerksam gegen Mrs. Alicia. Herrisch und besitzergreifend gegenüber Frau und Kindern. Eifersüchtig auf Mr. Ian und (meine Meinung) fürchtet ihn. (Ich weiß nicht, woran’s liegt. Etwas aus der Vergangenheit? An Mr. Pembrokes Bevorzugung?) Verachtet, aber fürchtet auch Mr. Pembroke. (Lauter große Töne, als er von ihm redete.)
Mr. G. ist körperlich stark, aber ich glaube, das läßt nach. Hat wenig Bewegung, etwas Übergewicht. Schwieriger Charakter. Ein Despot.
Ende der Ermittlung.
Mit einem Seufzer heftete ich Gervase zusammen. Norman West, der so untauglich erschien, verstand es ziemlich gut, zum Kern der Dinge vorzudringen.
Wie sah er wohl Ursula? fragte ich mich. Ursula, die stille Frau, die unter Tränen mit Joyce gesprochen hatte.
Hübsch, aber ein wenig konturenlos, erinnerte sie an ein unfertiges Gemälde, ohne Glanzlichter. Sofern Gervase es zuließ, war sie zwar freundlich zu mir, hatte mir aber noch nie ihre Gedanken mitgeteilt. Mit unerwartetem Interesse wandte ich mich Wests Ansichten über Gervases Frau zu.
Mrs. Ursula Pembroke (35), die Frau von Mr. Gervase, lebt mit ihm in 14 Grant St., Maidenhead. Sie hat keine Beschäftigung, außer sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Montags bis freitags kommt früh von neun bis eins eine Putzfrau, mittwochs und donnerstags bleibt sie bis 16 h, hütet auf Verlangen auch zu jeder Zeit die Kinder. (Ich mußte Mrs. U. zweimal aufsuchen. Beim erstenmal hatte sie geweint und wollte nicht reden. Beim zweitenmal war sie hilfsbereit.)
Die Schule der Töchter liegt am anderen Ende von Maidenhead. Mrs. U. teilt sich die Schulfahrten mit einer Nachbarsfamilie; Mrs. U.s Vormittage sind Dienstag und Donnerstag, die Nachmittage Montag, Mittwoch und Freitag.
Mrs. U.s Wagen ist ein cremefarbener Austin. Sauber.
Am Freitag des Überfalls auf Mr. Pembroke waren die Töchter bei der anderen Schulfahrtsfamilie zum Tee eingeladen (die Mutter bestätigt es). Mrs. U. ließ die Töchter nach der Schule dort (16 h). Holte sie gegen 18.30 h ab.
Am darauffolgenden Dienstag bat Mrs. U. die Putzfrau, zu bleiben und den Töchtern ihren Tee zuzubereiten, da sie einen Tag nach London wollte. Die Putzfrau sagte mir, daß Mrs. U. die Schulfahrt gemacht hat, wiederkam, sich umzog und zum Bahnhof fuhr, um den Zug zu nehmen. Sie (Mrs. U.) sagte, sie werde spät zurück sein, da sie nach dem Einkaufen noch ins Kino gehe. Mrs. U. hat das in letzter Zeit mehrmals getan. Sie kam um 22 h wieder. Die Putzfrau fuhr nach Hause. (Mrs. U. erlaubte mir, bei der Frau rückzufragen.) Mrs. U. sagt, sie war doch nicht im Kino, uninteressantes Programm, sie habe nur in einem Steak — House zu Abend gegessen. Außerdem sei sie in eine Kirche gegangen, um zu beten. Sie habe nichts gekauft (nichts paßte).
Mrs. U. war nervös wegen des London-Ausflugs und wich Fragen darüber aus. War sie in Newmarket? Möglich (meine Meinung), daß sie nach London fährt, um jemand zu treffen, von dem ihr Mann und die Putzfrau nichts wissen sollen. Wen? Liebhaber? Ausgeschlossen, ihr fehlt diese Ausstrahlung; könnte die innere Erregung nicht verbergen. Priester? Freund, den Mr. G. nicht akzeptiert? Arzt? Irgendeine Art von Trost, möchte ich meinen.
Mrs. U. unglücklich, wollte aber nicht mit der Sprache heraus. Treu und ergeben. Jede Frau, die Mr. G. zum Mann hat, wäre wohl unglücklich (meine Meinung). Mrs. U. mag die Putzfrau nicht so lange um sich haben. Mr. G. besteht auf Sauberkeit. Mrs. U. nervt das unentwegte Geplapper der Putzfrau. Es verstärkt nur ihren Streß. Mrs. U. würde gern eine Stelle annehmen oder ehrenamtlich tätig sein. Mr. G. läßt das nicht zu.»Die Kinder gehen vor.«
Читать дальше