Er sagte unsicher:»Sie haben meinen Vater festnehmen lassen.«
«Weißt du auch, warum?«
«Nicht. nicht wirklich.«
Ich erzählte ihm von der Öltransaktion, wobei ich die Illoyalität (um es milde auszudrücken), die Per Bj0rn seinem Land gegenüber bewiesen hatte, herunterspielte. Aber offenbar war mit Mikkels Verstand im Prinzip alles in Ordnung, denn als ich fertig war, schwieg er eine Weile, und sein Körper entspannte sich langsam Glied um Glied.
«Wenn das herauskäme«, sagte er,»würde er seinen Job verlieren. Er würde die Achtung aller verlieren. Er würde so nicht leben können. nicht mein Vater.«
Seine Stimme klang jetzt endlich wieder normal und beherrscht — doch es war fast zu spät. Die Lampe ging langsam aus.
«Die Decke«, sagte er,»ist bei den Betten.«
Er versuchte aufzustehen und mußte feststellen, daß seine Beine taub waren — so taub wie die meinen, wenn nicht noch tauber. Das ließ ihn auf der Stelle zu sich kommen.
«Ich friere!«
«Ich auch.«
Er sah zu mir her, erkannte wohl zum ersten Mal in aller Deutlichkeit unsere mißliche Lage.
«Stehen Sie auf«, sagte er.»Gehen Sie herum.«
Leicht gesagt, aber es mußte sein.
«Können wir den Ofen anmachen?«fragte ich.»Wir haben noch vier Streichhölzer, die Pappkartons und den Tisch und die Stühle, wenn wir sie kleinkriegen.«
Wir hatten uns inzwischen beide hochgerappelt. Die Lampe leuchtete noch traurig mit einer Kerzenstärke.
«Wir haben keine Axt hier«, sagte Mikkel.
Die Lampe ging endgültig aus.
«Tut mir leid«, sagte er.
«Schon gut.«
Wir hüpften in der Dunkelheit auf und ab. Wäre es nicht so dringend notwendig gewesen, so hätte es nicht der Komik entbehrt. Das Blut kam jedoch wieder in Bewegung und strömte dorthin, wo es gebraucht wurde, und nach einer halben Stunde war uns wieder einigermaßen warm, so daß wir eine Pause einlegen konnten.
«Ich kann die Decke finden«, sagte Mikkel und fand sie auch.
«Sollen wir sie teilen?«
«Aber sicher.«
Wir hatten beide warme Jacken an, und er kam (als ihm wieder eingefallen war, wo er sie hingelegt hatte) auch zu einer Mütze und Handschuhen, wie ich sie hatte. Wir legten die zusammengeklappten Feldbetten auf eine isolierende Unterlage aus Pappkartons, wickelten uns von der Hüfte an abwärts in die eine Decke ein wie in einen Kokon und saßen dicht nebeneinander, um uns jedes bißchen Wärme zu teilen. Es war zu dunkel, als daß ich hätte sehen können, was er dachte, aber hin und wieder ging immer noch ein leichtes Zittern durch seinen Körper.
«Ich habe das übrige Bettzeug gestern zu Tante Berit runtergebracht«, sagte er.»Mit dem Schlitten.«
«Schade.«
Das Wort gab seinen Gedanken eine andere Richtung. Er fragte plötzlich:»Glauben Sie, daß Arne tot ist?«
«Ich weiß nicht«, sagte ich. Aber ich glaubte es.
«Was geschieht mit mir? Wo ich doch diesen Mann umgebracht habe?«
«Nichts. Berichte den Vorfall nur genau so, wie du ihn mir berichtet hast. Niemand wird dir Vorwürfe machen.«
«Sind Sie sicher?«
«Ja.«
«Ich bin genauso schlimm wie jeder andere, der tötet«, sagte er, aber diesmal lagen statt Hysterie Hinnahme und Verzweiflung des Erwachsenen in seiner Stimme. Ich fragte mich, ob es möglich war, daß ein Junge in einer einzigen Nacht um zehn Jahre alterte, denn es wäre für ihn, dachte ich, besser so.
«Erzähl mir von Bob Sherman«, sagte ich und spürte den Ruck, der bei Nennung dieses Namens durch ihn hindurchging.
«Ich. kann nicht.«
«Mikkel. ich weiß, daß Bob die gestohlenen Analysen aus England mitgebracht hat, um sie an deinen Vater zu übergeben.«
«Nein«, unterbrach er mich.
«Was sonst?«
«Bob mußte sie Arne abliefern. Ich wußte nicht, daß sie für meinen Vater bestimmt waren, als ich. «Er verstummte.
«Als du was?«
«Ich darf es Ihnen nicht sagen. Ich kann es nicht.«
Ich fragte in der Dunkelheit ruhig, fast schläfrig:»Hat Bob dir gesagt, daß er ein Päckchen mitgebracht hatte?«
Er antwortete widerwillig:»Ja.«
Ich gähnte.»Wann?«
«Als ich ihn in Oslo getroffen habe. An dem Abend, als er ankam.«
Ich fragte mich, ob jetzt er den Stoß spürte, den mir diese Mitteilung versetzte.
«Wo in Oslo?«fragte ich beiläufig.
«Er stand mit seinem Sattel und seiner Reisetasche vor dem Grand Hotel. Ich war auf dem Nachhauseweg von einem Freund und blieb bei ihm stehen. Er sagte, er wolle mit der Straßenbahn fahren. Ich fragte ihn, ob er nicht erst noch einen Kaffee mit mir trinken wolle, und so machten wir uns auf den Weg zu unserem Haus. Ich trug seinen Sattel. «Er machte eine Pause und sagte dann:»Ich mochte Bob. Wir waren Freunde.«
«Ich weiß«, sagte ich.
«Mein Vater war nicht zu Hause. Wie meistens. Meine Mutter saß vor dem Fernseher. Bob und ich gingen in die Küche, und ich machte Kaffee. Wir aßen von einem Kuchen, den meine Mutter gebacken hatte.«
«Worüber habt ihr gesprochen?«
«Zuerst über die Pferde, die er am nächsten Tag reiten sollte. Dann sagte er, er hätte aus England ein Päckchen mit herübergebracht und es geöffnet, da sei aber gar nicht das drin gewesen, was man ihm gesagt hätte. Er sagte, er solle es Arne Kristiansen auf der Rennbahn aushändigen, wolle aber, bevor er das tue, ein bißchen mehr Geld verlangen.«
Unter der Decke zitterte sein Körper an dem meinen.
«Er hat dabei gelacht, wirklich. Er sagte, sie hätten ihm zu verstehen gegeben, daß Pornographie in dem Päckchen sei, aber das stimme gar nicht. Er wisse aber nicht, was es sei, obwohl er es gesehen habe. Dann holte er das Päckchen aus seiner Reisetasche und sagte, ich solle es mir mal ansehen.«
Mikkel hielt inne.
«Und als du«, sagte ich,»den Inhalt des Päckchens gesehen hast, da hast du gewußt, was es war?«
«Ich hatte solche Unterlagen schon gesehen. ich meine. ich wußte, daß es eine Ölanalyse war. Ja.«
«Hast du Bob gesagt, worum es sich handelte?«
«Ja, das habe ich. Wir haben uns dann ein bißchen darüber unterhalten.«
«Und weiter?«
«Es war spät geworden. Zu spät für die Straßenbahn. Bob fuhr deshalb mit dem Taxi zu Gunnar Holths Stall raus, und ich ging ins Bett.«
«Was ist am nächsten Tag passiert?«
«Ich habe versprochen. ich habe versprochen, daß ich es niemandem sage. Ich habe es der Polizei nicht gesagt. Ich darf es Ihnen auch nicht sagen. Vor allem Ihnen nicht. Das weiß ich.«
«Na gut«, sagte ich.
Die Zeit verging. Es war fast zu kalt, um noch denken zu können.
«Ich erzählte meinem Vater auf der Fahrt zu den Rennen von dem Päckchen«, fuhr er plötzlich fort.»Er nahm mich im Auto mit. Ich erzählte es nur, um irgend etwas zu sagen. Weil ich dachte, es könnte ihn interessieren. Aber er sagte nicht viel. Er redet nie viel. Ich weiß nie, was er denkt.«
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