Frühtouren waren normal, denn die meisten Trainer bestanden darauf, daß ihre Pferde mindestens drei Stunden vor dem Start auf der Rennbahn ankamen. Im Winter, wenn die Austragungen oft schon mittags begannen, damit das ganze Programm im verkürzten Tageslicht über die Bühne gehen konnte, nahmen die Fahrer nicht selten um sechs oder sieben im Dunkeln ihre Fracht auf und luden sie je nach Fahrstrecke zwölf Stunden später im Dunkeln wieder aus. Nach Frühlingsanfang, wenn die langen, hellen Sommertage winkten, luden wir in der Morgen- und der Abenddämmerung ein und aus, und in den drei Jahren, seit ich die Spedition betrieb, hatte ich ein wiederkehrendes Bild von der energiefördernden Wirkung der Sonne erlebt. Die Arbeitsbelastung mochte im Januar und im Juni gleich sein, aber die Ermüdbarkeit war es nicht.
Die meisten Fahrer saßen in der Kantine, als ich an diesem Freitag ankam. Der Himmel draußen war herrlich rosa und ingwerrot, hoch, klar und kalt. Der Tee in der Kantine hatte die Farbe von Teakholz, mit der entsprechenden Stärke, und weiße Plastikteelöffel standen aufrecht in der Zuckerdose.
«Guten Morgen, Freddie…«
Ich antwortete dem Chor.»Guten Morgen.«
Harve war schon unterwegs nach Wolverhampton. Anhand der Liste, die ich mir vom Computer hatte ausdruk-ken lassen, sprach ich kurz mit den anderen eingeteilten Fahrern, aber sie hatten von Harve und Isobel schon alle nötigen Anweisungen erhalten. Mir wurde klar, daß diese beiden mir seit Dienstag abend sehr viel abgenommen hatten und daß der Schlag auf den Hinterkopf mir doch stärker zugesetzt hatte, als ich wahrhaben wollte.
Phil, Dave und Lewis waren da, Lewis ohne Anzeichen von Grippe. Nigel strömte trotz seiner späten Rückkehr am Abend vorher nur so über von tierischer Kraft. Aziz lächelte wie immer. Etliche andere sahen auf ihre Uhr, tranken ihr Thein, gingen zur Toilette und schlenderten hinaus, um in gemeinschaftlichem Einsatz die Mehrzahl der Pixhiller Pferde abzuholen, die an diesem Tag in Ling-field starteten.
Dave sollte mit Aziz in dem Neun-Pferde-Transporter Zuchtstuten nach Irland schaffen. Die beiden hatten noch reichlich Zeit, und ich bat Dave, auf ein Wort in mein Büro zu kommen. Er kam unbekümmert wie üblich, den Becher Tee in der Hand und einen liebenswürdigen, nichtsahnenden Ausdruck im Gesicht.
Ich bedeutete ihm, in dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen, und schloß die Tür hinter ihm.
«Also, Dave«, sagte ich und setzte mich hinter den Schreibtisch, eher ungehalten als richtiggehend böse auf ihn,»wer hat Ihren Durchfall arrangiert?«
«Was?« Er blinzelte und verwarf den Gedanken, der ihm durch den Kopf geschossen war. Verwarf die Möglichkeit, daß ich wußte, was er getan hatte. Verwarf sie zu früh und zu Unrecht.
«Den Durchfall«, erinnerte ich ihn,»Sie mußten doch an der Tankstelle von South Mimms halten, um Imodium zu kaufen.«
«O… ach so, ja. M-hm. Stimmt.«
«Wer hat diesen Halt arrangiert?«
«Was? Na ja, niemand. Ich hatte eben Dünnpfiff.«
«Machen wir uns nichts vor, Dave«, sagte ich ein wenig müde,»Sie haben Kevin Keith Ogden nicht zufällig mitgenommen.«
«Wen?«
«Den Anhalter. Und lassen wir die Spielchen jetzt. Sie wissen ganz genau, wen ich meine. Sie waren gestern auf der Gerichtsverhandlung zur Klärung seines Todes. Sie und Brett haben nicht wegen irgendwelcher geheimnisvoller Verdauungsstörungen in South Mimms angehalten, sondern um einen Fahrgast aufzunehmen und ihn nach Chieveley zu bringen. Das alles haben Sie dem Coroner verschwiegen.«
Dave öffnete unwillkürlich den Mund, um alles abzustreiten, schloß ihn aber wieder, als er mein Gesicht sah.
«Wer hat das arrangiert?«wiederholte ich.
Er wußte nicht, was er sagen sollte. Ich konnte die sich überschlagenden Gedanken förmlich ahnen, die Unschlüssigkeit deutlich sehen. Ich wartete, während er seinen Tee zu Rate zog und auch am heller werdenden Himmel jenseits des Fensters nach Antworten suchte. Die Lausbubensommersprossen gaben seinem Gesichtsausdruck immer etwas von natürlicher Unschuld, doch aus dem listigen, fast verschlagenen Blick, mit dem er mich schließlich taxierte, sprach eher das Schuldbewußtsein eines Erwachsenen.
«Da war doch nichts dabei«, sagte er beschwichtigend.
«Woher wissen Sie das?«
Er versuchte es mit seinem gewinnenden Lächeln, gegen das ich inzwischen immun war.»Wie kommen Sie darauf, daß das arrangiert war? Ich sagte Ihnen doch, da war dieser Typ, der wollte mitgenommen werden.«
«Schluß jetzt, Dave«, unterbrach ich ihn.»Wenn Sie Ihren Job behalten wollen, sagen Sie mir die Wahrheit.«
Der Schock saß. So grimmig kannte er mich nicht.»Die Wahrheit«, drängte ich.
«Ehrlich, Freddie, es war nicht bös gemeint. «Er sah allmählich besorgt aus.»Was war denn schon dabei?«
«Was sollte da laufen?«
«Also, es konnte doch nicht schaden, mal einen Anhalter mitzunehmen.«
«Wer hat Sie bezahlt?«»Ich. also.«
«Wer?« beharrte ich.»Oder Sie steigen jetzt auf Ihr Rad und lassen sich hier nicht mehr blicken.«
«Niemand«, sagte er verzweifelt.»Also gut. Gut. Ich sollte Geld kriegen, hab aber keinen Pfennig gesehen. «Seine Empörung wirkte echt.»Ich meine, Sie sollten ja nichts von ihm wissen, aber wie er dann starb…«Seine Stimme versagte, als ihm aufging, daß er sich verplappert hatte.»Die sagten, ich würde am Freitag in aller Frühe einen Umschlag im Fahrerhaus des Neuners finden, aber der Neuner stand dann ja die ganze Nacht vor Ihrem Haus, und ein Umschlag war am nächsten Morgen nicht drin, ich hab nämlich beim Saubermachen nachgesehen, ja, und seitdem hab ich nichts mehr von denen gehört, und das ist unfair.«
«Geschieht Ihnen recht«, sagte ich ohne Mitgefühl.»Wer sind die?«
«Bitte?«
«>Die<, die gesagt haben, Sie würden im Fahrerhaus einen Umschlag finden.«
«Also.«
«Dave!«sagte ich erbost.»Jetzt reden Sie schon.«
«Würde ich ja, aber ich weiß es nicht.«
Ich sagte sarkastisch:»Sie haben sich bereit erklärt, etwas zu tun, was ich Ihnen immer wieder verboten hatte, und Sie wissen nicht, für wen Sie da Ihren Job aufs Spiel gesetzt haben?«
«Nein, aber…«
«Kein Aber«, sagte ich.»Wie haben >die< sich mit Ihnen in Verbindung gesetzt, und war es ein Mann oder eine Frau?«
«Äh.«
Gleich erwürge ich ihn, dachte ich.
«Na schön«, sagte er.»Schön. «Er holte unglücklich Luft.
«Es war eine Sie, und sie hat mich zu Hause angerufen, und meine Frau ging dran und fand es überhaupt nicht gut, daß da eine Fremde anrief, nicht Isobel oder so, aber jedenfalls meinte diese Frau nur, es würde sich für mich lohnen, den Anhalter mitzunehmen, und so einen unverhofften Gewinn schlägt man doch nicht aus. Ich meine… das ist doch reines Trinkgeld, oder?«
«Haben Sie ihre Stimme erkannt?«
Er schüttelte geknickt den Kopf.
«Was für einen Akzent hatte sie?«
Die Frage schien ihn lediglich zu wundern.»Die war aus England«, sagte er.»Keine Ausländerin.«
«Was hat sie gesagt?«
«Na ja, eben, daß ich den Mann mitnehmen soll.«
«Wie sollten Sie ihn erkennen?«
«Sie sagte, er wäre an der Zapfanlage, und er würde uns kommen sehen und mich ansprechen. und so war es auch.«
«Wer hat sich den Durchfall ausgedacht?«
«Na ja, die. Ich brauchte einen Vorwand, damit Brett in South Mimms anhält, meinte sie. Also hab ich Brett gesagt, wenn er nicht anhält, müßte ich die Hosen im Transporter runterlassen und er müßte es aufwischen. «Er lachte verlegen.
«Brett sagte, dann drück ich dich mit der Nase rein. Aber jedenfalls hat er angehalten.«
«Brett war also nicht mit von der Partie?«
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