Auf dem Tonband, dachte ich, war Joggers Stimme.
Ich hatte am Ende doch nicht aufgeschrieben, was er gesagt hatte, und obwohl ich es noch mehr oder weniger gut wußte, war ich mir nicht sicher, ob der Wortlaut genau stimmte. Kein noch so umfassendes Reimlexikon würde mir nützen, wenn ich von den falschen Wörtern ausging. Ich kramte in der Küche nach einem Kreuzschraubenzieher und anderem Werkzeug und schälte die zerschlagene Kassette vorsichtig aus dem Anrufbeantworter, um das Band nicht zu zerreißen, stellte aber fest, daß die Axt eine der Spulen getroffen und dabei viele Meter Band in kleinste Stücke zerlegt hatte.
Fluchend suchte und fand ich eine alte Kassette mit unwichtigem Inhalt, nahm sie auseinander und entfernte das Tonband. Dann löste ich behutsam das längste Stück Band von der unbeschädigten Spule des Anrufbeantworters und rollte es der Länge nach auf eine der freigewordenen Spulen. Das Endstück klemmte ich in die zweite freie Spule ein, drückte beide wieder in das Kassettengehäuse und schraubte es zusammen.
Dann suchte ich im ganzen Haus nach einem selten benutzten Taschenrecorder, der noch irgendwo herumliegen mußte, doch als ich ihn endlich aufstöberte, waren natürlich die Batterien leer.
Es gab eine kurze Verzögerung, während ich ein anderes Gerät mit gleich großen Batterien plünderte, aber mit einer Art Stoßgebet drückte ich schließlich auf» Stan «und hielt den Atem an.
«Ich kann den blöden Apparat nicht leiden«, sagte Joggers Stimme.»Wo stecken Sie denn, Freddie?«
Laut und deutlich. Halleluja!
Seine ganze Nachricht war drauf, wenn auch etwas verzerrt, weil ich das Band nicht ganz gleichmäßig aufgerollt hatte. Als ich es zurückspulte und von vorn laufen ließ, war das Leiern verschwunden. Ich nahm ein Blatt Papier und schrieb Wort für Wort auf, was er gesagt hatte, mit
Pünktchen für seine Sprechpausen, aber was er mir sagen wollte, verstand ich immer noch nicht.
Ein toter Cousin in der Schmiergrube, im vorigen August.
Höchst unwahrscheinlich. Egal, wessen Cousin, das hätte mir jemand erzählt, auch wenn ich den August zum großen Teil in Frankreich (beim Pferderennen in Deauville) und in Amerika (bei den Rennen in Saratoga) verbracht hatte.
Was reimte sich auf Cousin? Gobelin, Kretin, Mannequin, Ragout fin…
Nichts da. Was ging mit Cousin zusammen?
Cousin und Cousine.
Cousine. Apfelsine, Beduine, Biene, Blondine, Brah-mine, Gardine, Kabine, Lawine, Maschine, Pelerine, Sardine, die Delphine.
Ein toter Delphin? Tote Sardinen? Toter Brahmine? Toter Beduine? Eine Lawine von toten Bienen?
Ich würde den Text Nina geben, dachte ich, und das Kollektivgehirn der Sicherheitsleute des Jockey-Clubs darauf loslassen. Wobei es ebensogut sein konnte, daß die Nachricht, falls wir den Code knackten, sich als belanglos erwies. Jogger hatte offensichtlich nicht geahnt, daß er sterben würde. Er hatte mir keine ungeheuer wichtige Nachricht hinterlassen im Gefühl, es könnte seine letzte sein.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem neuen Computer zu und hoffte, als ich ihn einschaltete, daß es nicht gleich mit Blitzen und Gezisch zu einem neuen Festplatteninfarkt kam. Wundersamerweise aber hatte der Experte mir das volle Computerleben wiedergeschenkt, und alles funktionierte wie vorher. Ich rief Isobels Bürogerät auf, um zu sehen, was sie und Rose seit heute früh schon eingegeben und gespeichert hatten.
Sie waren beide fleißig gewesen. Schnell, gewissenhaft, großzügig mit ihrer Zeit. Ich hatte ihnen gesagt, sie sollten mit den Buchungen vom Tage anfangen und zwischendurch, wenn ihre andere Arbeit es erlaubte, langsam zurückgehen, auf keinen Fall aber weiter als bis zum Monatsanfang.
«Lassen Sie es erst mal auf Papier«, sagte ich.
«Aber die Tabellenkalkulation…«:, sagte Rose.
«Die kann warten.«
«Wenn Sie meinen«, stimmte sie zweifelnd zu.
«Wir sind doch selbst schuld, daß wir alles verloren haben«, sagte Isobel traurig.
«Schwamm drüber. «Ich sagte ihnen immer noch nicht, daß ich vielleicht mit vollständigen Sicherungskopien aufwarten konnte, wenn erstens der Schlosser sie beim Öffnen des Safes nicht irgendwie beschädigte und wenn zweitens Michelangelo, der Virus, sie nicht bereits ausradiert hatte. Außerdem wollte ich keinen Zweitangriff auf mich oder mein Eigentum provozieren, falls jemand hörte, daß die Kopien existierten und annehmen mußte, daß sie brisante Informationen ans Licht bringen könnten. Auch wenn die Schwellung an meinem Kopf zurückging, mein Wagen und mein Wohnzimmer erinnerten mich nach wie vor daran, daß eine Woge melodramatischer Ereignisse in Pixhill durch meine Tür gerollt war und sich nicht unbedingt schon erschöpft hatte.
Vom Bildschirm las ich die Transportaufträge für den nächsten Tag ab. Nicht übel für die Woche: Hindernispferde nach Wolverhampton und Lingfield Park. Zuchtstuten für drei Gestüte. Irische Pferde zum Flughafen Bristol, auf dem Rückweg von Cheltenham.
Die Vorauspläne für Samstag sahen gut aus. Ich rief das Inhaltsverzeichnis auf, um zu sehen, was Isobel und Rose
sonst noch eingegeben hatten, und entdeckte eine ungewöhnliche Datei:»Besucher«.
«Besucher«, so zeigte sich, war die von mir gewünschte Liste der Personen, die ihres Wissens in jüngster Zeit zum Bauernhof gekommen waren.
Die Lieben, dachte ich erfreut. Hilfsbereiter als man verlangen konnte.
Die Liste lautete:
Alle Fahrer bis auf Gerry und Pat, die Grippe haben.
(Nächste Woche oder kurz darauf wollen beide wieder
antreten.)
Vic und seine Frau (beide haben jetzt Grippe).
Tessa Watermead (wollte zu Nigel oder Lewis).
Jericho Rich (wegen seiner Pferde).
Wachtmeister Smith (wegen des Toten).
Dr. Farway (wegen des Toten).
Mr. Tigwood (Sammelbüchse).
Betsy (Mr. Watermeads Sekretärin).
Brett Gardner (bei seiner Kündigung).
Mrs. Williams (Putzfrau).
Lorna Lipton (wollte zu F. C., der aber auf Pendelfahrt
war).
Paul (Isobels Bruder, hat sich Geld geliehen).
Desinfektionsmittellieferant.
Ich tippte ein Dankeschön unter die Liste und legte eine Sicherungskopie von den Neueingaben auf einer sauberen, freien Diskette an, obwohl ich vermutete, daß man im Büro von jetzt an knöcheltief durch Sicherungskopien waten konnte. Ich schaltete den Rechner aus, machte mir etwas zu essen, trank den restlichen Champagner und dachte eine Menge über Viren nach, organische wie elektronische.
Gegen zehn rief gähnend Nina an.
«Wo sind Sie?«fragte ich.
«Im Fahrerhaus des Transporters, auf dem Bauernhof. Wir haben getankt, und Nigel spritzt gerade den Wagen ab, Gott sei Dank. Ich bin gerädert.«
«Was ist passiert?«
«Nichts, keine Sorge. Die Fahrt ist nach Plan gelaufen. Wir haben das Springpferd abgeliefert. Der Vater der Besitzerin, Jericho Rich, war beim Ausladen dabei und hat alle herumkommandiert. Was für ein Rhinozeros. Ich hätte ihm beinah den Kopf abgerissen, dachte aber aus Rücksicht auf Sie, ich laß es mal. Sonst war nichts weiter, aber so ein Ferntransport ist doch eher was für kräftige junge Männer, da haben Sie schon recht.«
«Wie sind Sie mit Nigel ausgekommen?«
«Mein Gott, ist der geil. Hatte ein paarmal die Hand auf meinem Knie, dabei könnte ich seine Mutter sein. Sonst ist er gar nicht so übel. Keine Klagen. Wir haben viel geschwätzt. Kann ich Ihnen das morgen erzählen?«Sie gähnte wieder.»Er ist mit dem Waschen beinah fertig. Eine unerschöpfliche Ausdauer.«
«Sein größter Vorzug«, stimmte ich bei.
«Also bis morgen. Tschüs.«
Am Morgen fuhr ich zeitig zum Bauernhof, da ich einige der Fahrer sprechen wollte, bevor sie ausrückten. Harve selbst hatte eine frühe Tour nach Wolverhampton, und wenn er nicht da war, hielt ich meistens die Stellung für den Fall, daß sich in letzter Minute noch Fragen oder Änderungen ergaben.
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