Sandy Nutbridge gab der Vollblutagentur telefonisch durch, für wen er tätig gewesen war, und meldete den erfolgreichen Verkauf. Sein Chef, Ray Wichelsea, dem die Agentur gehörte, hielt große Stücke auf Sandy Nutbridge, vor allem als Verkäufer, aber auch als Mensch. Für Ray Wichelsea waren Sandys gedrungene Gestalt, sein drahtiges, langsam ergrauendes Haar und seine erkennbar englische Stimme vertrauensbildende Faktoren, die die Kunden für die Agentur einnahmen und sie ermunterten, ihr Geld aus der Tasche zu ziehen.
«Unser Mr. Harlow«, berichtete Sandy Nutbridge,»ist einer von der schweigsamen Sorte. Ich würde nicht sagen, daß er sehr viel von Pferden versteht. Er hat zwar den
Kauf der Zweijährigen mit Handschlag bestätigt, aber ich habe ihn nicht, wie ich es Ihren Anweisungen gemäß ja auch nicht sollte, um eine Anzahlung gebeten.«
«Gut. Wie sah er aus?«
Verwirrt antwortete Sandy Nutbridge, so gut er konnte:
«Also… er ist etwas kurz geraten. Ich schätze, so um die Fünfzig. Durchschnitt. Aber doch mit so was wie einem erstklassigen englischen Akzent. Trug einen grauen Anzug mit Schlips. In einer Menschenmenge würde er nicht weiter auffallen.«
«Unser Mr. Harlow«, sagte Ray Wichelsea mit ruhiger Betonung,»der Mr. Harlow, den Sie gerade beschrieben haben, ist, dessen bin ich mir fast sicher, der Computererfinder Harlow. Ein schöpferischer Mensch. Ein Unternehmer.«
«Und was hat das für uns zu bedeuten?«fragte Nutbridge.
«Er kann sich einen ganzen Stall voller Zweijähriger leisten.«
Der ruhige Mr. Harlow hatte die prächtige Zweijährige als Verlobungsgeschenk für die lebenslustige Witwe gekauft, die beschlossen hatte, daß er ihr Ehemann Nummer drei werden sollte. Bei Nummer eins und zwei hatte sie spuren müssen, dann waren sie gestorben und hatten ihr große Vermögen hinterlassen. Jules Harlow war noch reicher, doch ihm machte es mehr Vergnügen, sie ihre Wege gehen zu lassen. Die Witwe himmelte ihn an.
Sie wußte alles über Pferde und verbrachte ganze Tage vergnügt auf der Rennbahn. Vor ihrer Bekanntschaft hatte Jules kaum je vom Kentucky Derby gehört. Seine Tage bestanden darin, Schaltkreise für Mikrochips zu ersinnen und zu entwickeln, und weil er meistens in Gedanken vertieft war, war er so still.
Nachdem die beiden zum ersten Mal miteinander zu Abend gegessen und geschlafen hatten, erwiesen sich ihre unterschiedlichen Interessen und Persönlichkeiten als harmonische Mischung. Und die Zeit hatte dann ein übriges getan, um ihren Zusammenschluß zu festigen.
In England packte Sandy Nutbridges Mutter erregt ihren Koffer und versuchte — ohne Erfolg —, die überschäumende Freude ihrer beiden Enkelkinder Bob und Miranda (zehn und acht) zu zügeln, die sie nach South Carolina begleiten sollten, um dort zwei Wochen ihrer Osterferien mit ihrem Vater zu verbringen.
Seit seiner Scheidung sah Sandy Nutbridge seine Kinder nur noch selten. Auf den bevorstehenden Besuch, auch seiner Mutter, freute er sich von ganzem Herzen. Zwei ganze Wochen! Er hatte Ray Wichelsea gebeten, ihn während dieser Zeit nicht in Anspruch zu nehmen.
Er hatte Geld geschickt, um die Reisekosten aller drei zu decken: Seine verwitwete Mutter lebte von einer mageren Pension, seine inzwischen wiederverheiratete Exfrau hatte gemeint, wenn er seine Kinder zu Besuch haben wolle, könne er auch für sie bezahlen. Er holte sie am Flughafen ab und fand inmitten der Umarmungen und Küsse, daß es jeden Dollar wert gewesen sei. Seine Mutter, die neue Kleider trug, wischte sich die Tränen aus den Augen, und die Kinder, die niemals zuvor aus England herausgekommen waren, bestaunten die überraschende Geräumigkeit Amerikas mit echter Ehrfurcht und offenen Mündern.
Sandy Nutbridge wohnte in einer Mietwohnung mit zwei Schlafräumen im vierten Stock eines Apartmenthauses — an einem See mit bezauberndem Blick auf Segelboote,
Wälder, blaugraues Wasser und die untergehende Sonne. Eine einstündige Fahrt über breite Straßen brachte ihn ins Zentrum des Pferdelandes, wo er in Ray Wichelseas Büro regelmäßig die Füße auf den Schreibtisch legte und seinen Kaffee aus Pappbechern trank. Ray Wichelsea bezahlte ihm Kommissionen, kein Gehalt, und er strich diese Kommissionen in bar ein.
Sein Leben glitt an dem Tag, als seine Kinder ankamen, auf einem angenehm hohen Level von Wohlstand dahin: Das Leben eines in vernünftigen Grenzen ehrlichen Maklers ohne politische Ambitionen.
Die Kinder — und seine Mutter — waren trotz ihrer Müdigkeit nach dem Transatlantikflug ganz aus dem Häuschen angesichts eines Abendessens in einem echten amerikanischen Fast-food-Restaurant mit Burgern und Pommes und hatten sich schnell mit unschuldiger Freude den Ausdruck» Mayo Stop «angeeignet.
Das war am Dienstag. Zur Frühstückszeit am Mittwochmorgen zog Sandy Nutbridge einen dünnen Morgenrock über seinen Pyjama, ließ seine Familie allein bei der Entdeckung aller möglichen Sorten von Frühstücksgetreide zurück und ging in Schlappen hinunter in die Empfangshalle der Wohnanlage, so wie er es immer tat, um dort aus dem Verkaufsautomaten die Tageszeitung zu ziehen.
Hinter der Theke in der Empfangshalle saß das blau uniformierte, für vieles zuständige Faktotum der Wohnanlage, das sowohl als Sicherheitswache, als Empfangschef, als Anrufannahme und Übermittler von Botschaften tätig war. Sandy Nutbridge sagte im Vorbeigehen:»Hi, Bill«, so wie er es immer tat, und ging weiter zum Aufzug, ohne den beiden bewaffneten Polizisten, die sich auf Bills Theke lehnten, weiter Beachtung zu schenken.
Bill jedoch sagte zu den beiden Polizisten:»Das ist er«, und sie richteten sich wie elektrisiert auf und stürzten sich auf Sandy Nutbridge, warfen ihn mit dem Gesicht gegen die grüngemusterte Tapete und brüllten ihn an, die Hände hochzunehmen und seine Beine zu spreizen.
Sandy Nutbridge hatte lange genug in den Vereinigten Staaten gelebt, um zu wissen, daß jeder Protest vergebens sein würde. Die Polizisten mußten — dazu zwang sie ihre Angst — sichergehen, daß er in seinem Schlafanzug keine Handfeuerwaffen verborgen hielt. Sandy mochte es für absurd halten, daß sie ihm mit größter Grobheit die Handgelenke mit Handschellen auf den Rücken fesselten und» seine Rechte vorlasen«, die hauptsächlich aus der Drohung zu bestehen schienen, alles, was er sagte, vor Gericht gegen ihn zu verwenden. Nun, das schien in Amerika alles ganz normal zu sein.
«Was soll ich getan haben?«fragte er.
Die Polizisten wußten es nicht. Sie waren lediglich losgeschickt worden, um» Nutbridge zum Verhör herzuschaffen«.
Sandy Nutbridge fragte, ob sie ihn vielleicht nach oben begleiten könnten, damit er sich anziehen und auch seinen Kindern sagen könne, daß er für einige Stunden nicht da sei. Die Polizisten machten sich nicht einmal die Mühe, ihm zu antworten, sondern drängten ihn zur Tür und nach draußen.
«Sagen Sie meiner Mutter Bescheid, Bill«, rief Sandy noch über die Schulter zurück, aber er war sich nicht sicher, daß seiner Bitte entsprochen werden würde. Man konnte sich auf Bill nicht im geringsten verlassen.
Sandy Nutbridge nahm diese Farce einer Verhaftung immer noch nicht ernst und lachte, als die Polizisten im Kreis herumfuhren, weil sie den Weg zurück zur Hauptstraße in die Stadt nicht fanden. Aber wie lächerlich die Sache auch war, die Situation wurde schließlich ernsthaft besorgniserregend, als man ihn im Hauptquartier der Polizei ohne jede Umschweife in eine verriegelte Zelle drängte und dort einschloß.
Auf seinen energischen Protest hin gestattete man ihm schließlich ein Telefongespräch, das er darauf verwandte, einen Freund zu alarmieren, der Anwalt war, und ihn anzuweisen, ihm sofort zu Hilfe zu kommen, nachdem er seine zweifellos verängstigte Familie aufgeklärt und beruhigt hatte.
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