Billy Hitchins packte seinen Stand und seine Ausrüstung zusammen und trug die Sachen mit Hilfe seines Angestellten einen Kilometer die Straße runter zu seinem Buchmachergeschäft in der High Street von Ascot. Mit achtzehn Jahren hatte Billy seine Lehrer dadurch in Entsetzen gestürzt, daß er auf die Universität pfiff und seinen scharfen mathematischen Verstand in den Dienst eines Buchmachers stellte. Mit vierundzwanzig hatte Billy das Geschäft übernommen, und jetzt, drei Jahre später, stand er kurz vor einer Expansion.
Alles in allem hatte er einen guten Tag gehabt, und nachdem er die Gesamtsumme errechnet hatte, lud er seinen Geschäftsführer in den Pub ein.
«Schon komisch«, sagte der Geschäftsführer beim zweiten Bier.»Dieses neue Konto — Sie wissen schon, das, das Sie gestern für diese Krankenschwester eingerichtet haben.«
«O ja. die Krankenschwester. Hat mir zehn Dollar im voraus gegeben. Das passiert nicht oft. «Er trank seinen Scotch mit Wasser.
«Ja. also, dieser Finland hat vor der Flimmerkiste gesessen und zwei Wetten durchtelefoniert, beide auf die Ergebnisse der Fotos, und er hat beide Mal richtig getippt.«»Nein, nicht möglich«, sagte Billy mit gespieltem Ernst.
«Er hat keine anderen Wetten plaziert, verstehen Sie? Schon ungewöhnlich.«
«Was sagten Sie noch, wie war der Name?«fragte er.
«Jamie Finland.«
Das Barmädchen beugte sich über die Theke; ihr freundliches Gesicht zeigte ein Lächeln, und ihr pinkfarbener Pullover überließ kaum etwas der Phantasie.»Jamie Fin-land?«wiederholte sie.»Ein netter Junge, nicht wahr? Wirklich eine Schande, daß er blind ist.«
«Was?«fragte Billy.
Das Barmädchen nickte.»Er und seine Mutter, die beiden leben gleich die Straße runter in einer dieser neuen Wohnungen, sind Nachbarn von meiner Schwester. Er sitzt die meiste Zeit drin, lernt und hört seinen Radios zu. Und man sollte es nicht glauben, aber er kann Farben unterscheiden; kann er wirklich. Meine Schwester meint, es wäre richtig unheimlich, aber er hat ihr gesagt, sie trüge einen grünen Mantel, und das stimmte.«
«Ich fasse es nicht.«
«Es stimmt. So wahr Gott mein Zeuge ist«, sagte das Barmädchen gekränkt.
«Nein«, sagte Billy.»Ich kann nicht fassen, daß er, selbst wenn er einen grünen Mantel von einem roten unterscheiden kann, die Farben auf einem Fernsehschirm erkennt, wenn drei oder vier Pferde Brust an Brust die Ziellinie überqueren. Das kann selbst jemand mit guten Augen nur in den seltensten Fällen.«
Er saß da und dachte nach. Er hatte heute ziemlich viel bei diesen Fotos verloren.
Bei diesen Fotos hatten alle Verluste gemacht. Er hatte gehört, wie mehrere andere Buchmacher sich über den Zulauf beklagten, den Jetset hatte. Billy Hitchins runzelte die Stirn. >Ich verstehe aber nicht, wie man so etwas einfädeln könnte.< Billy setzte sein Glas mit einem Krachen ab, das die ganze Bar aufschreckte.»Haben Sie gesagt, Jamie Finland hört Radio? Was für Sender hört er denn?«
«Woher soll ich das wissen?«fragte das Barmädchen verärgert.
«Er wohnt in der Nähe der Rennbahn«, sagte Billy und dachte fieberhaft nach.»Also, nur mal angenommen, er hätte die Fotoergebnisse irgendwie mitgehört, bevor sie über Lautsprecher bekanntgegeben wurden. Aber das erklärt noch lange nicht die Verzögerung… wieso er die Zeit dazu hatte — und wahrscheinlich nicht nur er, sondern eine ganze Reihe anderer Leute, die dasselbe gehört haben —, das Geld zu setzen.«
«Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte das Barmädchen.
«Ich glaube, ich springe mal bei Jamie Finland vorbei«, sagte Billy Hitchins.»Und frage, wen oder was er gehört hat… wenn er überhaupt etwas gehört hat.«
«Bißchen weit hergeholt«, wandte der Geschäftsführer ein.»Die einzige Person, die die Sache lange genug hinauszögern könnte, wäre der Zielrichter.«
«O mein Gott«, sagte Billy, den dieser Gedanke mit Schrecken erfüllte.»Wenn es der Zielrichter wäre.«
Arnold Roper wußte nichts von der langen Zündschnur, die in dem Pub angezündet wurde. Für Arnold war Billy Hitchins nur ein Name eines Buchmacherstands. Er konnte nicht ahnen, daß der gewitzte Billy Hitchins seinen Drink in einem Pub nahm, dessen Barmädchen eine Schwester hatte, die Tür an Tür mit einem blinden Jungen lebte, der über ein gedankenlos angelassenes Radio, mit dem man
Flugfunk empfangen konnte, seine diskrete Übertragung mitgehört hatte.
Arnold Roper reiste in heiterer Gemütsverfassung nach Hause. Sein Walkie-talkie hatte er wie gewöhnlich in seiner inneren Jackettasche versteckt, und die kurze Antenne war nun wieder eingeklappt und unsichtbar.
Seine Anweisungen, die er nur mit schwächster Energie aussendete, waren seiner Meinung nach absolut sicher, da sie nur von einem vorüberfliegenden Flugzeug abgehört werden konnten, und kein Pilot auf Erden würde eine simple Zahl im Äther mit dem Gewinner eines Fotofinishs unten in Ascot oder Epsom oder Newmarket oder York in Verbindung bringen.
Vorhin auf dem Rennplatz hatte Arnold den extrem empfindlichen und teuren Apparat — Eigentum der Firma, in deren Diensten er stand — sorgfältig weggepackt und eingeschlossen. Arnold Roper war nicht der Zielrichter. Arnold Ropers Job bestand in der Bedienung der Fotofinishkamera. Er war derjenige, der zusah, wie die Abzüge entwickelt wurden; derjenige, der sich Zeit lassen konnte, bevor er sie zum Richter brachte; derjenige, der den Gewinner immer als erster kannte.
Der Weg zur Gerechtigkeit ist gewunden, lang, teuer und mühselig, und manchmal führt er nicht zum Ziel. >Winkelzüge< führen dorthin, mehr oder weniger, und erteilen auf dem Weg die eine oder andere Lektion.
Die erste Lektion: Wenn du freundlich sein willst, dann nimm dich gut in acht.
Sandy Nutbridge stützte sich auf die weiß gestrichenen Rails einer privaten Rennbahn im amerikanischen Staat South Carolina und versuchte, sich ein Urteil über den unscheinbaren Mann neben sich zu bilden.
Beide waren Engländer. Sandy Nutbridge versuchte, dem anderen (Jules Reginald Harlow) die zweijährige, in South Carolina gezüchtete Vollblutstute zu verkaufen, die gerade in schnellem Kanter über die Bahn ging. Geritten wurde sie von dem erstklassigen Trainingsreiter, den Sandy Nutbridge jedesmal zu engagieren pflegte, wenn er einen Verkauf in vielstelliger Höhe tätigen wollte.
Sein Trara und das Gewese, das er um die Herkunft der Zweijährigen sowie die Tatsache machte, daß sie schon so früh Anlagen für hohes Tempo zeigte, waren diesmal ehrlich. Der Elan, mit dem er seiner Bewunderung ihres feinknochigen Schädels, ihrer freundlichen, schrägstehenden Augen und tiefen, voluminösen Brust Ausdruck verlieh, war in der Tat berechtigt. Die Zweijährige hatte im Augenblick jedes Kompliment verdient — nur die Zukunft, die ließ sich natürlich, wie bei allem im Leben, nicht sicher vorhersagen.
Jules Reginald Harlow sah sich den flüssigen Lauf der Zweijährigen an und hörte den echten Enthusiasmus in der Stimme des Verkäufers heraus. Er hielt Sandy Nutbridge für einen guten Verkäufer, verwandte den größten Teil seiner Aufmerksamkeit jedoch auf die über die Bahn jagende Zweijährige, die genau das zu sein schien, was er brauchte.
Der Trainingsreiter kam nach zwei Runden — eine in Schritt und Trab, eine in schnellem Kanter — zu den beiden Zuschauern an den Rails hinübergeritten.
«Danke, Pete«, nickte Nutbridge ihm zu.
«Auch ich danke«, fügte Jules Harlow hinzu. Dann wandte er sich an den Verkäufer.»Unter dem Vorbehalt, daß ein Tierarzt die Zweijährige für gesund befindet, nehme ich sie zu dem Preis, über den wir uns geeinigt haben.«
Die beiden Männer besiegelten den Handel mit einem Handschlag; dann stieg Jules Harlow ohne Eile in seinen dunkelgrünen Lincoln Town Car, den er in der Nähe geparkt hatte, und fuhr davon.
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