John Grisham - Die Akte

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John Grisham "Die Akte",originalausgabe: "The Pelican Brief".
Zwei mysteriöse Mordfälle im Umfeld höchster politischer Kreise der USA. Ein Skandal in der Dimension von Watergate bahnt sich an… Die junge Jurastudentin Darby Shaw findet Zusammenhänge, an die niemand zu denken wagt, und legt eine Akte an. Eine tödliche Dokumentation: denn nicht nur Darby muss um ihr Leben fürchten, sondern alle, die die Akte kennen…

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Der Jet schien seine Flughöhe erreicht zu haben. Der Kopilot erschien an der Kabinentür. Er war höflich und stellte sich vor.

«Uns wurde gesagt, dass Sie uns kurz nach dem Start ein neues Ziel nennen würden.«

«Stimmt«, sagte Darby.

«Gut. In ungefähr zehn Minuten müssen wir es wissen.«

«Okay.«

«Gibt es in diesem Ding irgendwo etwas Alkoholisches?«fragte Gray.

«Nein. Tut mir leid. «Der Kopilot lächelte und kehrte ins Cockpit zurück.

Darby und ihre langen Beine nahmen den größten Teil der kleinen Couch ein, aber er war entschlossen, neben ihr Platz zu finden. Er hob ihre Füße an und setzte sich ans Ende. Sie lagen auf seinem Schoß. Rote Zehennägel. Er streichelte ihre Knöchel und dachte an nichts anderes als an dieses große Ereignis dass er ihre Füße hielt. Für ihn war das etwas sehr Intimes, aber ihr schien es nichts auszumachen. Sie lächelte jetzt sogar ein wenig, entspannte sich. Es war vorbei.

«Haben Sie Angst gehabt?«fragte er.

«Ja. Und Sie?«

«Ja, aber ich fühlte mich gleichzeitig sicher. Ich meine, es ist schwierig, sich gefährdet vorzukommen, wenn man von sechs bewaffneten Männern umgeben ist. Und es ist schwierig, in einem fensterlosen Transporter das Gefühl zu haben, dass man beobachtet wird.«

«Voyles hat es Spaß gemacht, meinen Sie nicht auch?«

«Er war wie Napoleon, machte Pläne und befehligte seine Truppen. Für ihn war es ein großer Augenblick. Morgen früh wird er unter Beschuss geraten, aber es wird von ihm abprallen. Der einzige Mensch, der ihn entlassen kann, ist der Präsident, und ich würde sagen, er kann Voyles im Moment nichts anhaben.«

«Und die Morde sind aufgeklärt. Ihm muss sehr wohl sein in seiner Haut.«

«Ich glaube, wir haben seine Amtszeit um zehn Jahre verlängert. Ausgerechnet wir!«

«Ich glaube, er ist tüchtig«, sagte Darby.»Anfangs mochte ich ihn nicht, aber irgendwie nimmt er einen für sich ein. Als er von Verheek sprach, sah ich eine Spur von Feuchtigkeit in seinen Augen.«

«Ein reizender Mensch. Ich bin sicher, Fletcher Coal wird entzückt sein, wenn dieser nette kleine Mann in ein paar Stunden bei ihm aufkreuzt.«

Ihre Füße waren lang und schlank. Einfach perfekt. Er streichelte den Spann und kam sich vor wie ein Schuljunge, der bei der zweiten Verabredung vom Knie aus höher vordringt. Sie waren blass und brauchten Sonne, und er wusste, sie würden in wenigen Tagen braun sein, und zwischen den Zehen würde sich Sand festgesetzt haben. Sie hatte ihn nicht eingeladen, sie später zu besuchen, und das beunruhigte ihn. Er hatte keine Ahnung, wohin sie wollte, und das war Absicht. Vielleicht wusste sie selbst noch nicht, wo sie landen würde.

Das Spiel mit den Füßen erinnerte sie an Thomas. Jetzt, in dem leise dröhnenden und leicht vibrierenden Jet, war er plötzlich viele Meilen von ihr entfernt. Er war erst seit zwei Wochen tot, aber es kam ihr viel länger vor. So vieles hatte sich verändert. Es war besser so. Wenn sie noch in Tulane wäre, an seinem Büro vorbeigehen, seinen Hörsaal sehen, mit anderen Professoren reden, von der Straße aus zu seiner Wohnung hinaufschauen würde, dann wäre das fürchterlich aufwühlend. Auf lange Sicht sind die kleinen Erinnerungen angenehm, aber in der Zeit des Trauerns stehen sie im Wege. Sie war jetzt ein anderer Mensch, mit einem anderen Leben an einem anderen Ort.

Und ein anderer Mann streichelte ihre Füße. Anfangs war er eine Pest gewesen, arrogant und aufdringlich, ein typischer Reporter. Aber er war sehr schnell aufgetaut, und unter der zynischen Schale war ein warmherziger Mann zum Vorschein gekommen, der sie offensichtlich sehr gern hatte.

«Morgen ist ein großer Tag für Sie«, sagte sie.

Er trank einen Schluck Sprite. Er hätte ein kleines Vermögen bezahlt für ein eiskaltes Importbier in einer grünen Flasche.»Großer Tag«, sagte er, die Zehen bewundernd. Es würde mehr sein als nur ein großer Tag, aber er hatte das Gefühl, es herunterspielen zu müssen. In diesem Augenblick galten seine Gedanken ihr, nicht dem Chaos des morgigen Tages.

«Was wird passieren?«fragte sie.

«Ich werde wohl in die Redaktion zurückkehren und darauf warten, dass die Bombe einschlägt. Smith Keen hat gesagt, er würde die ganze Nacht dort sein. Eine Menge Leute werden sehr früh kommen. Wir versammeln uns im Konferenzraum, und weitere Fernseher werden hereingebracht. Wir verbringen den

Vormittag damit, zuzusehen, was sich tut. Es wird ein Mordsspaß sein, die offizielle Stellungnahme des Weißen Hauses zu hören. White and Blazevich werden etwas von sich geben. Bei Mattiece bin ich da nicht so sicher. Von Runyan wird ein Kommentar kommen. Voyles wird eine große Rolle spielen. Die Anwälte werden Geschworenengerichte einberufen. Und bei den Politikern wird das ganz große Flattern anfangen. Sie werden den ganzen Tag über auf dem Capitol Hill Pressekonferenzen abhalten. Es wird ein Tag werden, an dem eine wichtige Nachricht auf die andere folgt. Schade, dass Sie das verpassen werden.«

Sie gab ein sarkastisches kleines Schnauben von sich.»Was wird Ihre nächste Story sein?«

«Wahrscheinlich Voyles und sein Tonband. Es ist damit zu rechnen, dass das Weiße Haus jede Einmischung bestreitet, und wenn für Voyles die Tinte zu heiß wird, schlägt er zurück. Ich möchte dieses Band haben.«

«Und danach?«

«Das hängt davon ab, wie sich die Dinge entwickeln. Nach sechs Uhr morgen früh haben wir die Konkurrenz auf dem Hals. Es wird eine Million Gerüchte und tausend Stories geben, und jede Zeitung im Lande wird mitmischen wollen.«

«Aber Sie werden der Star sein«, sagte sie bewundernd, aber nicht sarkastisch.

«Ja, ich werde meine Viertelstunde haben.«

Der Kopilot klopfte und öffnete die Tür. Er sah Darby an.

«Atlanta«, sagte sie, und er machte die Tür wieder zu.

«Warum Atlanta?«fragte Gray.

«Sind Sie schon einmal in Atlanta umgestiegen?«

«Natürlich.«

«Haben Sie sich beim Umsteigen in Atlanta schon einmal verlaufen?«»Ich glaube, ja.«

«Plädoyer beendet. Der Flughafen ist riesig und herrlich überfüllt.«

Er leerte die Dose und stellte sie auf den Boden.»Und wohin von dort aus?«Er wusste, dass er nicht fragen sollte, weil sie es ihm nicht von sich aus gesagt hatte. Aber er wollte es wissen.

«Ich fliege so schnell wie möglich irgendwohin. Auf die übliche Tour mit Tickets zu vier verschiedenen Flughäfen. Es ist wahrscheinlich unnötig, aber ich fühle mich dabei sicherer. Zum Schluss werde ich irgendwo in der Karib ik landen.«

Irgendwo in der Karibik. Das engte es auf an die tausend Inseln ein. Weshalb war sie so vage? Vertraute sie ihm nicht? Er saß da und spielte mit ihren Füßen, und sie wollte ihm nicht verraten, wohin sie reiste.

«Was soll ich Voyles sagen?«

«Ich rufe Sie an, wenn ich angekommen bin. Vielleicht schreibe ich auch ein paar Zeilen.«

Großartig! Sie würden Brieffreunde sein. Er konnte ihr seine Stories schicken, und sie schickte ihm Ansichtskarten vom Strand.

«Wollen Sie sich vor mir verstecken?«fragte er und sah sie dabei an.

«Ich weiß noch nicht, wo ich landen werde, Gray. Das ergibt sich erst, wenn ich dort bin.«

«Aber Sie werden anrufen?«

«Ja, irgendwann. Ich verspreche es.«

Um elf Uhr abends waren nur noch fünf Anwälte von White and Blazevich im Hause, und sie saßen im Büro von Marty Velmano im zehnten Stock. Velmano, Sims Wakefield, Jarreld Schwabe, Nathaniel (Einstein) Jones und ein bereits im Ruhestand befindlicher Partner namens Frank Cortz. Auf

Velmanos Schreibtisch standen zwei Flaschen Scotch. Die eine war ganz leer, die andere fast. Einstein hockte allein in einer Ecke und murmelte vor sich hin. Er hatte wirres, struppiges graues Haar und eine spitze Nase und sah in der Tat verrückt aus. Besonders jetzt. Sims Wakefield und Jarreld Schwabe saßen vor dem Schreibtisch, ohne Krawatte und mit aufgekrempelten Hemdsärmeln.

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