Karl May - Leïlet
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Karl May
LEÏLET
Leïlet
Es war um die Zeit, in welcher die egyptische Sonne ihre Strahlen mit der gesteigerten Gluth auf die lechzende Erde sendet und Jeder, den nicht die Noth hinaus unter den freien Himmel treibt, sich unter den Schutz seines Daches zurückzieht und nach der möglichsten Ruhe und Kühlung strebt. Auch ich lag auf dem weichen Divan meiner gemietheten Wohnung, schlürfte würzigen Mokka und schwelgte in dem Dufte des köstlichen Djebeli, welcher meiner Pfeife entströmte. Die starken, fast fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrande einigen Einhalt, und die aufgestellten porösen Gefäße, durch deren Wände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphäre so erträglich, daß ich von der gewöhnlichen Abspannung des Menschen während der Mittagszeit wenig oder gar nichts bemerkte.
Da erhob sich draußen die scheltende Stimme Omar-Arha‘s, meines Dieners, der zugleich die Stelle eines Ministers aller inneren und äußeren Angelegenheiten bei mir vertrat, und mit einer Liebe und Ergebenheit an mir hing, die von einem Araber einem Christen gegenüber fast beispiellos genannt werden konnte. Er war früher Soldat seiner viceköniglichen Majestät gewesen und nach langjähriger Dienstzeit in Folge seiner Invalidität ohne Weiteres fortgejagt und fast dem Hungertode in die Arme getrieben worden; damals nahm ich ihn zu mir, heilte ihn von seinen Gebrechen und fand mich in der Folge reichlich dafür belohnt. Er bekam gute Kleidung und trug ausgezeichnete Waffen, zwei Dinge, welche ihn mit unendlichem Stolze erfüllten, und als ich ihm später noch die Vollmacht gab, mit dem königlichen Firman (Reisepaß, Empfehlung) in der Hand mich in den meisten geschäftlichen Angelegenheiten zu vertreten, da fühlte er die ganze Größe seiner Würde und wiederholte mir fast täglich die Betheurung:
»Was war ich, o Herr, als Du mich fandest und Dich mein erbarmtest? Eine todte Ratte, ein Hund, den man von sich stößt! Und was bin ich bei Dir geworden? Ein Sihdi (Herr), vor dem sich der Fellah fürchtet und der Türke zittert. El hamdi lillahi, Gott sei Dank!«
Außer seiner Treue und Zuverlässigkeit besaß er noch eine ganz besonders schätzenswerthe Eigenschaft in einem Humore, der nie zu versiechen schien, bei jeder Gelegenheit hervorsprudelte und selbst der ernstesten und schlimmsten Lage noch eine heitere Seite abzugewinnen wußte. »Mukle«, Spaßvogel, wurde er deshalb von allen Denjenigen genannt, denen er eine solche Vertraulichkeit gestattete; und da er, wie die meisten Araber, bei jedem Selbstgespräche sich eine Person vorstellte, mit welcher er sprach, so hielt er oft unter seinen eigenen zwei Augen die köstlichsten Reden, über welche das Zwerchfell eines etwaigen Zuhörers in die größte Gefahr gerathen wäre.
Jetzt freilich schien seine Stimmung nicht die beste zu sein, denn mit zornigem Tone hörte ich ihn rufen:
»Was? Den Effendi el kebihr, den großen Herrn und Meister willst Du stören – jetzt – in seinem Kef – in seiner Mittagsruhe? Hat der Teufel – Allah beschütze mich vor ihm – Dir den Kopf mit Nilschlamm gefüllt, so daß Du nicht begreifen kannst, was ein Effendi zu bedeuten hat, ein Mann, den der Prophet mit Weisheit speist, und der Alles kann, sogar die Todten wieder lebendig machen, sobald sie ihm sagen, woran sie gestorben sind!«
»Gott erhalte Deine Rede, Sihdi,« ertönte die Antwort; »aber ich muß Deinen Effendi, den großen Arzt aus Frankhistan sehen, denn mein Herr, der mächtige und reiche Abrahim-Arha – Allah möge ihm tausend Jahre schenken – hat mich gesandt, ihn zu sich zu rufen.«
»Abrahim-Arha? Zu sich rufen? Wer ist denn Abrahim-Arha, und wie hieß sein Vater? Von wem wurde er geboren und wo leben die, denen er seinen Namen verdankt? Niemand kennt ihn, selbst ich, Omar-Arha, der tapfere Freund und Beschützer meines Gebieters, habe noch nie die Spitze seines Tarbusch gesehen. Gehe fort und komme in drei Tagen wieder. Morgen reisen wir ab!«
»So höre, Du Mann mit dem verstockten Ohre, was ich Dir zu sagen habe! Der Effendi soll kommen zu« – hier wurde die Stimme des Sprechers unhörbar, und erst die letzten Worte seiner Rede konnte ich wieder verstehen: »Reicher Lohn wartet sein, wenn es ihm gelingt, den Tod von dem Hause meines Gebieters fern zu halten!«
»Allah akbar, Gott ist groß! Und ich, Omar-Arha Ben Afradin stehe da, mit der Nilpeitsche in der Hand, und vergesse doch, ihr Deinen Rücken zu zeigen. Bei dem Barte des Propheten, Dein Mund spricht solche Weisheit, als wäre der Verstand Dir bei der Fahrt in‘s Wasser gefallen. Weißt Du nicht, daß ein Weib gar keine Seele hat und deshalb auch nicht in den Himmel darf? Mein Herr kennt den Koran und verachtet die Frauen. Die schönste Perle des Harems ist ihm wie der Scorpion im Sande, und seine Hand hat noch nie das Gewand eines Weibes berührt, denn er weiß, daß ich es für ihn thue. Komme in drei Tagen wieder. Morgen reisen wir ab!«
»Du mußt wissen, o Unbarmherziger, daß er ihr Gewand nicht berühren und ihre Gestalt nicht sehen wird, denn die Gesetze des Harems sind streng. Er wird durch das Gitter mit ihr sprechen.«
»Ich bewundere die Weisheit Deiner Rede und die Klugheit Deiner Worte, o Mann! Merkst Du denn nicht, daß die Gesundheit, welche der Effendi spendet, an dem Gitter hängen bleiben würde? Komme in drei Tagen wieder!«
»Ich darf nicht gehen; denn ich werde hundert Schläge auf die Sohlen bekommen, wenn ich den weisen Effendi nicht bringe!«
»Danke Deinem gütigen Herrn, Du Sclave eines Egypters, daß er Deine Beine mit Gnade erleuchtet! Ich will Dich nicht um diese Seligkeit betrügen und Dich deshalb allein ziehen lassen. Wir reisen Morgen ab. Salehm aleïkum, der Herr sei mit Dir; er lasse Dir die Streiche wohl bekommen!«
»So laß Dir noch Eins sagen, tapferer Arha. Der Herr unseres Hauses hat mehr Beutel in seiner Schatzkammer, als Du jemals zählen kannst. Du solltest auch mitkommen, hat er mir befohlen, und Du wirst ein Bakschihsch haben, ein Geschenk, wie es selbst Hafihs-Pascha, der Diamantenspendende, niemals gegeben hat.«
Jetzt wurde der Mann endlich klug und faßte meinen guten Omar bei dem Punkte, an welchem man den Morgenländer zu packen hat, wenn man ihn günstig stimmen will. Der geldlustige Haushofmeister änderte auch sofort den Ton seiner Stimme und gab die etwas weniger harte Antwort:
»Allah segne Deinen Mund, mein Freund! Aber ein Piaster in meiner Hand ist mir lieber als zehn Beutel in der Deinigen. Ich will mir es überlegen, ob ich den Herrn stören darf.«
»Laß den Rath Deines Herzens nicht zögern; hier nimm die Gabe Deines Bruders!«
»Deine Hand ist mager wie der Schakal hinter der Schlinge und dürr wie die Wüste jenseits des Mokkadam. Wie kann das Feld Frucht bringen, wenn nur zwei Tropfen Thau vom Himmel fallen!«
Nach dieser sehr deutlichen Aufforderung vernahm ich zum zweiten Male den klimpernden Ton des Silbers, und nun erst war Omar bereit, »mich zu stören.« Ich konnte ihm unmöglich bös sein. Er handelte nur nach der allgemeinen Unsitte, und übrigens sind hier oben in Nubien die deutschen Aerzte nicht so öfters zu finden, als daß ein reicher Türke, wie Abrahim jedenfalls war, mit einem kleinen Bakschihsch hätte knausern dürfen.
Was mich aber bei der Angelegenheit mit Verwunderung erfüllte, war der Umstand, daß ich – wie ja aus den Reden der Beiden zu ersehen war, nicht zu einem männlichen, sondern zu einem weiblichen Patienten verlangt wurde. Obgleich ich schon mehrere Jahre im Oriente verweilt hatte, besaß das Wort Harem doch immer noch den Reiz des Geheimnißvoll-Romantischen für mich, und wenn ich auch den Character der morgenländischen Frauen nicht achten konnte, so mußte ich doch ihre oft wirklich unvergleichliche Schönheit bewundern, von der ich schon öfters hinter einem fortgewehten Schleierzipfel eine kleine aber überzeugende Probe bemerkt hatte. Da aber der Muselmann die Bewohnerinnen seiner Frauengemächer sogar in den dringendsten Fällen nicht den Augen eines Fremden, auch nicht des Arztes freigiebt, so handelte es sich hier jedenfalls entweder um eine alte Dienerin, oder ich bekam nichts weiter zu sehen, als die Fingerspitzen der Patientin. Deshalb sah ich dem Eintritte Omars mit ziemlicher Gleichgültigkeit entgegen.
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