Helene Böhlau - Halbtier

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Helene Böhlau

Halbtier

1

Fernes Gewittergrollen verliert sich im lauten Treiben des Menschenstroms, der die schwülen Straßen füllt.

Über dem ganzen überspannten, überbürdeten Menschentum lastet die große Sonnenhitze und die Enge der Gassen, die Höhe der Häuser.

All diese Menschen sind so eingezwängt, wenn sie’s auch nicht klar wissen.

Die Enge der Herzen, die Enge der Köpfe und Gesinnungen, der Höfe und Gänge, die Enge der Stuben, der ganze Brodel in dem sie leben, alles lastet und drückt und macht sie stöhnen und stimmt sie unbewußt sehnsuchtsvoll, unbewußt unzufrieden.

Da kam der erste große, freie Donnerschlag.

Oho!

Darauf ein verdächtiges Schauerlüftchen, das den fettigen, feuchten Straßengesichtern den Staub entgegenbläst.

Alles wirbelt.

Das, was einst lebte und nun als ekler Staub geduldig liegt, beginnt zu tanzen – tanzt und fährt den Lebenden widrig in die Augen und bedrängt sie. Es kommt ein Hasten in die stumpfsinnige Menge, so ein gesundes natürliches Hasten, das der Herdentiere.

Wie sie laufen, als ob sie aus Zucker wären und die schweren frischen Regentropfen an ihnen lecken und sie auflösen würden.Und wie wohl thun diese schweren Tropfen! Auf den glutheißen Steinen geben sie dunkle, thalergroße Flecken und von dem aufgehäuften Staub lassen sie lebendigen Erdgeruch aufsteigen.Blitz und Donner und die schweren gesegneten Tropfen! Wenn die in den Städtequalm hineinfahren, das ist etwas! Ein Hochgefühl zum aufjauchzen!

Und wie wohl thun diese schweren Tropfen! Auf den glutheißen Steinen geben sie dunkle, thalergroße Flecken und von dem aufgehäuften Staub lassen sie lebendigen Erdgeruch aufsteigen.Blitz und Donner und die schweren gesegneten Tropfen! Wenn die in den Städtequalm hineinfahren, das ist etwas! Ein Hochgefühl zum aufjauchzen!

Blitz und Donner und die schweren gesegneten Tropfen! Wenn die in den Städtequalm hineinfahren, das ist etwas! Ein Hochgefühl zum aufjauchzen!

Nur immer ärger! immer toller!

Die braunen Güsse, die durch die Rinnen jagen, die braunen Teiche und Tümpel auf Schritt und Tritt, in denen die Tropfen aufspringen und hüpfen und spritzen!

Das ist lustig.

Und die staubkrustigen Bäume mit dem früh hinsterbenden Laub, wenn in sie die Regenflut rauscht, wenn die nicht wissen, wohin mit dem Überschwall von Frische – da lacht einem das Herz.

Nur immer ärger – immer toller, wenn auch ein paar Äste daran glauben müssen!

Und die Straßen so rein gefegt vom Gesindel!

Das thut wohl!

Da sind sie einmal verscheucht, die Alltagsgesichter!

Hei – wie das schön ist! So sauber, so morgenfrisch!

Wenn sie sich doch so bald nicht wieder herauswagen wollten!

Aber die kommen wieder; ganz gewiß, – das weiß man schon.

*

Auf einem alten merkwürdigen Platz, hinter der griechischen Kirche, haben sie eine Fleischbank abgetragen, um eine große Markthalle zu bauen und sind dabei auf menschliche Gebeine gestoßen, – auf eine so große Anzahl von Gebeinen, daß es den Leuten angst und bange wurde.

Auf so etwas waren sie jahraus, jahrein getreten, bei ihren Einkäufen, ihren Spaziergängen und bei manchem Stelldichein.

Gerade an der Straßenecke, in dem dunkeln Winkel, der abends so ungestört, so einladend war, auf dem so viel Generationen heimliche Küsse getauscht haben, hat so ein Großer, Langer gelegen, kaum einen halben Meter unter den Pflastersteinen, so gut noch beisammen, so langgestreckt, und die hohlen Augen gen Himmel gerichtet.

Auf solch einem Grausen hatten die Pärchen also immer gestanden.

Hunderte hatten tagsüber den Platz umlagert und auf das Schauerhandwerk der Arbeiter geschaut.

Die Knochen wurden aus dem dunkelbraunen Sand herausgewühlt und in große Kisten gelegt.

Ein fideler Kapuziner, der zur Beaufsichtigung der Angelegenheit beigegeben war, hatte hin und wieder den Deckel einer Kiste gehoben und schmunzelnd Umschau über seine Schutzbefohlenen gehalten.

Es waren halt auch Kapuziner gewesen, diese braunen Knochen. Der Kapuziner hatte daher etwas ganz Kollegialisches im Verkehr mit ihnen.

„Wir sind vom selben Orden. Ich kenne eure Schliche, Fratres.“

Er wog einen Schädel in der Hand – und schmunzelte. Er wog einen Schenkelknochen und schmunzelte, nahm es, Gott Lob, von der leichten Seite.

Und das alte Bahrtuch, das über jede der großen Kisten gebreitet war, deckte er allemal vorsorglich darüber, wenn wieder ein Schupp Knochen eingeschüttet war.

Ehre, wem Ehre gebührt.

Dabei schmunzelte er nicht, das nahm er ernst.

Die Schulbuben waren wie versessen auf das seltene Schauspiel, und auch die alten Weiber hatten gestanden und gestanden ohne Aufhören. Was thut nicht so ein altes Weib, wenns was zu sehen giebt. Da haben sie Kräfte wie Dämonen.

Die Schulbuben hatten sich um die uralten Sarghenkel gerauft, die hin und wieder zu Tage gefördert wurden, verrostet und wie in eine Schicht von Kies eingebacken.

Es waren Altertümer – wirkliche Altertümer, die Jahrhunderte bei den Toten gelegen – also ganz echt, wahre Schätze.

Über diesen Haufen neugieriger Lebewesen, die sich um die armen Knochen drängten, war das Hochgewitter hereingebrochen.Der erste, große, freie Donnerschlag hatte auch sie überrumpelt, und der mächtige Regenguß sprühte die Menge an und vertrieb sie.Sie waren wie weggewaschen, – auch der Kapuziner und der pflichtgetreue Schutzmann; nur die Knochen unter den zerrissenen triefenden Bahrtüchern blieben über der aufgewühlten Erde, die im Nu zu einem braunen Tümpel umgestaltet war.*Ein Schädel war vom Regenstrom aus dem Sande frei gespült.Er lag mitten im Wassertümpel. Seine Glatze schaute ein wenig darüber hinaus. Die Wellchen spülten um die kleine beinerne Insel.Aus dem Fenster eines großen Zinshauses schaute ein Mädchen auf den eirunden gelblich bräunlichen Fleck.

Der erste, große, freie Donnerschlag hatte auch sie überrumpelt, und der mächtige Regenguß sprühte die Menge an und vertrieb sie.

Sie waren wie weggewaschen, – auch der Kapuziner und der pflichtgetreue Schutzmann; nur die Knochen unter den zerrissenen triefenden Bahrtüchern blieben über der aufgewühlten Erde, die im Nu zu einem braunen Tümpel umgestaltet war.

*

Ein Schädel war vom Regenstrom aus dem Sande frei gespült.

Er lag mitten im Wassertümpel. Seine Glatze schaute ein wenig darüber hinaus. Die Wellchen spülten um die kleine beinerne Insel.

Aus dem Fenster eines großen Zinshauses schaute ein Mädchen auf den eirunden gelblich bräunlichen Fleck.

‚Ein Stein‘ dachte sie – ‚oder?‘

Schon lange hatte sie sich am Fenster aufgehalten und hinausgesehen, bald halb knieend, auf dem Stuhl, bald im Stuhl lehnend, die jungen Hände um das Knie gefaltet; bald hatte sie mit den Fingern am Fensterglas leise geklimpert oder eine Lockenspitze zwischen die Zähne genommen und daran geknabbert.

Der kleine feste Kopf mit dem dunkeln Geschau, prächtig frei auf dem schlanken Hals sitzend, war unverwandt auf das geschäftige Wühlen der Arbeiter gerichtet.

Wenn sie da unten wieder einen Fund gethan, ist sie immer mit ganzer Seele dabei gewesen. ‚So etwas! – so ein Glück, die grausliche Geschichte vor dem Fenster zu haben! Wie gut, daß sie hier gemietet hatten!‘

Sie sah so befriedigt aus. Über ihr, am weißen, verwaschenen Fenstervorhang, hängt ein fünffaches Kißchen, eins über dem andern, aus gelbem Atlas, ein Riechkißchen mit Irispulver gefüllt, und dieser trockene Duft berührt mit jedem Atemzug ihre Geruchsnerven.

Das Zimmer, in dem sie sich aufhält, paßt nicht gerade gut zu der verwöhnten hingerekelten Gestalt des jungen Geschöpfes.

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