»Mit anderen Worten«, warf Colonel Congreve ein, »es war weitaus besser, wenn er aus unserem Zelt nach draußen pisste.«
Sir Charles Yorke, der Erste Seelord, und Admiral Dalryde verkneiften sich das Lachen. James Reads Miene blieb ausdruckslos, obwohl Hawkwood glaubte, ein Zucken in den Mundwinkeln des Obersten Richters bemerkt zu haben.
Fulton hatte ein weiteres Zugeständnis verlangt. Er hatte mit Dampf als Antriebskraft experimentiert und während seines Aufenthalts in Paris an Boulton &Watt, eine Firma in Birmingham, geschrieben und darum gebeten, eine Maschine für ein Dampfschiff in den Vereinigten Staaten bauen zu dürfen. Womit die britische Regierung natürlich nicht einverstanden war und ein Exportverbot aussprach. Sollte Mr. Fulton jedoch nach England kommen … nun, dann sei alles möglich.
»Ich war damals Mitglied der Kommission«, sagte Colonel Congreve lächelnd und fügte hinzu: »Und der Kerl war mir recht sympathisch.«
Sofort nach Fultons Ankunft im April 1804 in England hatte Premierminister Pitt eine Sonderkommission mit der Überprüfung der Erfindungen des Amerikaners beauftragt.
Mitglieder dieser Kommission waren unter anderem der angesehene Wissenschaftler Henry Cavendish, Admiral Sir Hope Popham und Sir Joseph Banks, der Präsident der Königlichen Akademie der Naturwissenschaften.
»Die ersten Ergebnisse der Prüfungen hat Fulton nicht gut aufgenommen«, sprach der Colonel weiter. »Die Konstruktionspläne eigneten sich zwar für den Bau eines Unterseebootes, aber ein Kampfeinsatz wäre undenkbar gewesen. Der Meinung waren wir jedenfalls damals«, gestand der Colonel mit einem gequälten Lächeln. »Die Kommission interessierte sich weitaus mehr für Fultons Unterwasserbombe – seinen Torpedo, wie er es nannte.«
»Seinen was?«, fragte Hawkwood.
»Torpedo, die lateinische Bezeichnung für Zitterrochen. Das ist ein Fisch, der bei Berührung Beute oder Feinde durch elektrische Schläge lähmt. Da ich kein Zoologe bin und mich in der Ichthyologie nicht auskenne, weiß ich nicht genau, wie das funktioniert. Jedenfalls gab er seinem Wassergeschoss diesen Namen«, erklärte Congreve.
Trotz der Ausführungen war Hawkwood kein bisschen klüger. Genauso gut hätte der Colonel chinesisch sprechen können.
»Aber Premierminister Pitt war derart beeindruckt, dass er einen Vertrag unterschrieb, der Fulton vierzigtausend Pfund für die Konstruktion eines funktionstüchtigen Unterseeboots samt aller Rechte an seinen Erfindungen garantierte. Hinzu kamen zweihundert Pfund Gehalt im Monat, ein Kreditlimit von siebentausend Pfund und weitere vierzigtausend Pfund Prämie für die Zerstörung des ersten französischen Schiffs. Die Admiralität wurde angewiesen, Marinewerften und Material zur Verfügung zu stellen.
Vor Boulogne-sur-Mer haben wir später in jenem Jahr diese Torpedos zum ersten Mal versuchsweise eingesetzt«, sagte Congreve. »Allerdings ohne großen Erfolg. Das Potenzial dieser Waffe aber haben wir sofort erkannt. Allein die Gerüchte, die sich um diese neue Geheimwaffe rankten, hat den Froschfressern einen heiligen Schrecken eingejagt. Das System musste noch weiterentwickelt, ausgefeilt und getestet werden. Erst ein Jahr später konnten wir einen zweiten Versuch wagen. Können Sie sich an die Dorothea erinnern, Blomefield?«
»Bei Gott, ja!«
Die Dorothea, erklärte der Colonel, sei eine alte dänische Brigg gewesen, die vor der Küste von Dover ankerte. Und Fultons Unterwassergeschosse hatten aus dem Boot Kleinholz gemacht.
»Auf diesen Erfolg hatten wir gewartet. Jetzt waren wir gerüstet. Wir planten, Fultons Torpedos und meine Raketen gegen die französische Flotte vor Cadiz einzusetzen. Wir hätten das großartigste Feuerwerk in Europa veranstaltet«, sagte Colonel Congreve und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Unser einäugiger Admiral ist uns leider zuvorgekommen«, ergänzte Thomas Blomefield.
Gemeint war Lord Nelsons Sieg über die französisch-spanische Flotte bei Trafalgar.
»Nach diesem vernichtenden Schlag brauchten wir Fultons neumodische Waffe nicht mehr. Denn es gab nichts mehr in die Luft zu sprengen.«
»Fulton hat trotzdem darauf bestanden, dass wir ihm die vertraglich vereinbarte Summe zahlen!«, empörte sich der Erste Seelord.
Schließlich hatte Fulton einen Vergleich vorgeschlagen und für den Wechsel seiner Staatszugehörigkeit zehntausend Pfund verlangt, hunderttausend Pfund für den Beweis, dass Kriegsschiffe mit seiner Erfindung zerstört werden konnten, eine lebenslange jährliche Pension von zweitausend Pfund und sechzigtausend Pfund für die Zusage, seine Erfindung niemals gegen die britische Flotte einzusetzen.
Die Verhandlung vor dem Schiedsgericht endete mit der Feststellung, dass Fulton die ursprünglichen Vertragsbedingungen nicht erfüllt habe und deshalb kein Anspruch auf die Zahlung seiner überhöhten Forderungen bestehe. Das Gericht hatte ihm schließlich vierzehntausend Pfund plus Gehalt und Nebenkosten in einer weitaus geringeren Höhe als die zunächst fürstliche Entlohnung von eintausendsechshundertvierzig Pfund zugestanden.
»Daraufhin hat der Mistkerl alle Geräte abmontiert und hat das Land verlassen«, sagte Generalinspekteur Blomefield. »Mit Sack und Pack.«
»Fulton ist ziemlich verrückt, ich halte ihn sogar für unberechenbar«, sagte Colonel Congreve.
»Der Mann hegt also einen Groll gegen uns?«, folgerte Hawkwood.
»Einen verdammt großen, vermute ich«, bestätigte Congreve.
»Was glauben Sie? Ist er nach Frankreich zurückgekehrt?«
Congreve schüttelte den Kopf. »Nein, nicht Fulton. Mit seiner Gesundheit steht es nicht zum Besten. Er hat einen Stellvertreter geschickt.«
»William Lee«, sagte James Read, »ein alter Freund Fultons. Er hat während der letzten fünf Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Von unseren Kontaktleuten in Frankreich haben wir erfahren, dass er Anfang dieses Jahres in Paris eingetroffen ist.«
»Warum interessieren sich die Franzosen plötzlich wieder für dieses Projekt?«, fragte Hawkwood verwirrt. »Haben sie ihre Meinung geändert?«
»Weil Napoleon den Krieg verliert«, mischte sich Admiral Dalryde jetzt zum ersten Mal in das Gespräch ein. »Unser kleiner Korse hat sich übernommen!«
Colonel Congreve nickte. »Und das gibt Fulton die Möglichkeit, sich an uns zu rächen. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass die Beziehungen zwischen uns und den Amerikanern angespannt sind. Es gab mehrere Zwischenfälle auf See. Unsere Kriegsmarine hat amerikanische Schiffe gestoppt und nach Deserteuren durchsucht. Worauf uns die Amerikaner der Piraterie bezichtigt haben. Ich wäre nicht überrascht, wenn sich die Situation zuspitzen würde.«
»Sprechen Sie etwa von Krieg?«, fragte Hawkwood ungläubig.
In diesem Augenblick räusperte sich der Erste Seelord. Eine Warnung.
Worauf Congreve nur mit den Schultern zuckte und sagte: »Wer weiß?«
Während Hawkwood diese kryptische Antwort zu deuten versuchte, richtete der Colonel das Wort an Admiral Dalryde. »Möchten Sie jetzt fortfahren, Sir?«
Der Admiral räusperte sich ebenfalls, bevor er weitersprach. »Wir hielten es für lohnenswert, Lee im Auge zu behalten, da wir davon ausgingen, Fulton habe sein Projekt weiter verbessert. Letztes Jahr hat er ein Buch veröffentlicht: Torpedo War and Submarine Explosions. Wir haben uns ein Exemplar besorgt. Der Inhalt war derart besorgniserregend, dass wir einen unserer Agenten nach Frankreich geschickt haben, um Nachforschungen anzustellen. Ramillies war einer unserer besten Männer, der schon öfter zu unserer vollsten Zufriedenheit gearbeitet hat.«
An der Stelle bedeutete der Admiral dem Colonel mit einem Blick, in der Geschichte fortzufahren.
»Leutnant Ramillies ist auf Beweise gestoßen, dass Lee tatsächlich ein deutlich weiterentwickeltes Unterseeboot baut. Seine Kontakte zur Widerstandsbewegung der Bourbonen haben ihm geholfen, auf der Werft, in der das Unterseeboot hergestellt wird, zu arbeiten. Und dort ist es ihm tatsächlich geglückt, sich Zugang zu Lees Werkstatt zu verschaffen. Unter größtem Risiko konnte er Kopien der Konstruktionspläne anfertigen.« Der Colonel deutete auf die Skizzen auf dem Tisch. »Das sind zwar keine exakten Konstruktionszeichnungen, aber mehr als ausreichend für unseren Bedarf. Kurze Zeit darauf hat Ramillies erfahren, dass weitere Probeläufe in der Seine bevorstehen. Er schaffte es sogar, in das Sperrgebiet vorzudringen und den Probelauf zu beobachten.«
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