Congreves Raketen waren zum ersten Mal gegen die Franzosen im Golf von Biskaya eingesetzt worden. Doch die Zielgenauigkeit war derart mangelhaft gewesen, dass sie für die britischen Schiffe eine ebenso große Gefahr dargestellt hatten wie für die feindliche Flotte. Drei Jahre später waren die Raketen jedoch so weit verbessert worden, dass die Armee zwei Raketentrupps aufgestellt hatte. Hawkwood hatte Congreves Raketen in Aktion gesehen und sich eingestanden, dass sie ihn zu Tode erschreckt hatten. Glücklicherweise hatten die Franzosen noch mehr Angst davor. Doch das stand jetzt nicht zur Debatte. Wichtig war allein die Frage: Warum war der Colonel zu dieser Besprechung hinzugezogen worden?
»Hawkwood? Ach ja, natürlich«, sagte Congreve und streckte ihm zu seiner Überraschung die Hand hin. »Es ist mir eine Ehre, Captain.«
Captain? Hawkwood hörte, wie sich hinter seinem Rücken der Erste Seelord missbilligend räusperte.
Der Colonel achtete nicht auf die unausgesprochene Rüge von Charles Yorke, sondern kam sofort zur Sache: »Nun, Gentlemen, wie darf ich diese Aufforderung verstehen, sofort im Ministerium zu erscheinen? Was hat es damit auf sich? Da Ihr Bote derart heftig an meine Haustür geklopft hat, gehe ich davon aus, dass es um etwas sehr Wichtiges geht, Richter Read.«
Der Colonel trat an den Tisch. Beim Anblick der darauf liegenden Skizzen weiteten sich seine Augen vor Erstaunen und er rief: »Allmächtiger Gott!«
»Nun?«, wollte der Erste Seelord wissen. »Was meinen Sie, Colonel? Handelt es sich um dieselbe Konstruktion?«
Der Colonel beugte sich über die Zeichnungen und prüfte sie genau. Schließlich richtete er sich wieder auf und sagte ernst: »Anhand dieser Skizzen ist das schwer zu beurteilen. Es gibt zwar gewisse Ähnlichkeiten, aber ich wage zu behaupten, dass es sich hierbei um ein weiterentwickeltes Modell handelt.« An James Read gewandt, fügte der Colonel hinzu: »Wie, zum Teufel, sind Sie an diese Skizzen gekommen?«
Nachdem der Oberste Richter Colonel Congreve die Geschichte erzählt hatte, sagte der Colonel: »Ein Runner, der ermordet wurde, hatte sie bei sich? Verdammt merkwürdig! Was denken Sie, Hawkwood? Wie sind die Dokumente Ihrer Meinung nach in den Besitz Ihres ermordeten Kollegen gekommen?«
Ungehalten stieß Hawkwood hervor: »Colonel, ich weiß noch nicht einmal, worum es hier, zum Teufel noch mal, eigentlich geht.«
Congreve starrte zunächst den Runner und dann die anwesenden Herren des Ministeriums irritiert an.
Admiral Dalryde seufzte. »Der Richter wollte Hawkwood gerade den Zusammenhang erklären, als Sie reingeplatzt kamen, Colonel. Vielleicht hätten Sie die Güte, das zu übernehmen, da Sie ja unser Wissenschaftsexperte sind.«
Lag in der Stimme des Admirals ein ironischer Unterton? Wenn ja, so schien der Colonel ihn überhört zu haben, oder er zog es vor, dem keine Beachtung zu schenken. Nachdenklich betrachtete er noch einmal die Skizzen auf dem Tisch, fixierte dann Hawkwood streng und sagte: »Kein Wort von dem, was ich Ihnen sage, darf nach außen dringen. Haben Sie mich verstanden?«
Hawkwood nickte bedächtig.
»Bei diesen Zeichnungen handelt es sich womöglich um die Pläne für die teuflischste Waffe, die je erfunden wurde«, sagte der Colonel.
Eine Waffe? Der Zündmechanismus hatte also doch etwas zu bedeuten!
»Handelt es sich dabei um eine Art Bombe?«, fragte Hawkwood.
»Nein, obwohl Sie mit Ihrer Annahme nicht weit danebenliegen«, erwiderte Congreve mit einem dünnen Lächeln. »Sagen Sie, Captain Hawkwood, wie gut ist Ihr Französisch?«
»Sir?«
»Le bateau poisson haben die Froschfresser es getauft, einige zumindest. Andere nennen es le bateau plongeur. «
Fischboot? Tauchboot?, übersetzte Hawkwood verwirrt. »Tut mir Leid, Colonel, aber das verstehe ich nicht. Wo soll das Ding tauchen?«
Congreve sah Hawkwood an, als würde er an dessen Verstand zweifeln. »Was glauben Sie denn, Mann? Unter Wasser, natürlich! Das ist verdammt noch mal ein Unterseeboot.«
»Ein was?«, staunte Hawkwood und sah den Colonel ratlos an.
Jetzt kam der Richter Hawkwood zu Hilfe. »Ein Boot, das unter Wasser schwimmen kann.«
Trotz dieser Erklärung glaubte Hawkwood, es müsse sich um einen Irrtum handeln. Völlig entgeistert blickte er zum Tisch hinüber. Ein Boot? Noch nie hatte er einen so komischen Apparat gesehen. Das war doch kein Boot. Und warum hatten die Baupläne für ein Unterseeboot in Warlocks Schlagstock gesteckt?
»Ich weiß, was Ihnen durch den Kopf geht«, deutete der Colonel Hawkwoods Verwirrung falsch. »Aber es ist möglich, so ein Boot zu bauen, glauben Sie mir. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Der Erfinder ist ein Amerikaner namens Robert Fulton«, warf James Read ein.
»Und dieser Scheißkerl arbeitet für Napoleon«, knurrte Charles Yorke.
Hawkwood kam sich vor, als würde er durch knietiefen zähen Schlamm waten. Sosehr er sich auch bemühte, für ihn hatte diese Zeichnung nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Boot. Wenn es schon keine Uhr war, so hätte er auf eine Spieldose getippt.
»Kommen Sie«, sagte der Colonel. Er konnte Hawkwoods Verwirrung und Ratlosigkeit nicht mehr mit ansehen. »Ich erkläre es Ihnen.«
Hawkwood ging mit Colonel Congreve zum Tisch. Als Congreve die Zeichnung umdrehte, merkte Hawkwood, dass er die Skizze verkehrt herum gehalten hatte, mit dem Zylinder vertikal anstatt horizontal.
Der Colonel nahm einen Stift von dem Tablett auf dem Tisch. »Ich will versuchen, das Modell anschaulicher darzustellen.« Er zeichnete einen Umriss. »Das ist der Rumpf mit Bug, Kiel, Heck und Deck. Wenn ich noch Mast und Baum hinzufüge, ist das doch ein Boot, oder? Da, sehen Sie.«
Noch immer fassungslos fragte Hawkwood: »Und was ist das?« Er deutete auf einen Abschnitt des Decks, der höher zu liegen schien, direkt vor dem Mast.
»Das ist eine Metallhaube, der Kommandoturm sozusagen. Stellen Sie sich ein umgedrehtes Fass über einer Luke im Deck vor. Darin kann der Kommandant aufrecht stehen.«
»Und wie sieht er, wohin er fährt?«, fragte Hawkwood.
»Der Turm hat kleine Bullaugen mit sehr dicken Scheiben. Ich würde sagen, man sieht da durch wie durch den Boden einer Brandy-Karaffe.«
Hawkwood hätte am liebsten gesagt, dass er eine Menge Offiziere kenne, die während ihrer ganzen Laufbahn nur einen solchen Durchblick gehabt hatten. Aber er wollte es nicht schon wieder an Respekt mangeln lassen. Stattdessen nickte er und fragte: »Und wie wird dieses Ding angetrieben?«
»Mit Muskelkraft. Ein Bootsmann dreht eine Kurbel, die einen Propeller im Heck in Bewegung setzt. So wird das Gefährt durchs Wasser getrieben. Schauen Sie hier!« Der Colonel deutete auf die Skizze.
Hawkwood wirkte noch immer skeptisch.
»Oh, das funktioniert gut, Captain. Auf dem Wasser, mit zwei Männern an der Kurbel, fährt es so schnell, als würden zwei Männer rudern. Unter Wasser geht’s zwar etwas langsamer, aber es funktioniert. Nicht die Geschwindigkeit ist das Wesentliche, sondern die Unsichtbarkeit des Boots.«
»Und welches Material wird verwendet?«
»Der Rumpf ist aus mit eisernen Bändern verstärktem Holz und wird mit Kupfer verschalt.«
Während Hawkwood dem Colonel zuhörte und zusah, nahm das Bild allmählich Gestalt an. Das verwirrende Durcheinander aus Kurbeln, Zahnrädern, Spulen und Spindeln erhielt nun eine völlig neue Bedeutung.
»Und wie taucht das Boot unter und wieder auf?«, fragte er.
»Durch Pumpen. Zum Gewichtsausgleich dienen Wassertanks im Kiel. Zum Untertauchen wird Wasser hinein-, zum Auftauchen herausgepumpt. Einfach genial!«, sagte der Colonel und schüttelte bewundernd den Kopf. »Gesteuert wird es wie ein normales Boot mit dem Ruder hier, das über ein Getriebe kontrolliert wird. Es gibt noch ein zweites, horizontales Ruder, das über eine Achse mit dem Hauptruder verbunden ist. Damit steuert man den Tiefgang. Der Kiel ist aus Metall, damit das Boot durch sein Gewicht in der Waagerechten bleibt. Er kann im Notfall entfernt werden, um ein schnelles Auftauchen zu ermöglichen.«
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