Wissen Sie vielleicht, wann die Männer nun umziehen müssen?
Weiß und hellblau ist der Himmel über dem Bode-Museum, grün und schwarz das Wasser rings um das Fundament.
So bald jedenfalls nicht, es hat zwei neue Windpockenfälle gegeben, murmelt die schöne Äthiopierin, denn während sie die ersten Reißzwecken befestigt, hält sie die anderen zwischen die Lippen gesteckt.
Absurd ist allerdings, sagt sie, als sie fertig ist und von der Leiter herabsteigt, dass den Männern nur die Hälfte des versprochenen Geldes ausgezahlt wurde, den Rest bekommen sie erst im neuen Quartier, hat mir gestern einer erzählt. Als seien Bakterien bestechlich.
Ja, das ist wirklich absurd, sagt er. Ihm fallen wieder die Kartoffelkäfer ein und sein Einweckglas, das bis zur Hälfte mit Essig gefüllt war.
Ich muss los, sagt sie, eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein, die Betreuer haben mir Hausverbot erteilt, aber so früh kommen sie nicht kontrollieren.
Hausverbot? Aber Sie unterrichten doch zweimal die Woche.
In den Unterrichtssaal darf ich noch kommen, aber nicht hier hinauf zu den Zimmern. Es heißt, ich brächte zuviel Unruhe ins Haus.
Er kann sich schon vorstellen, was die Betreuer mit Unruhe meinen, sagt aber trotzdem:
Das ist ja unglaublich.
Und ist gleichzeitig froh, dass sie die Nacht also nicht mit dem halbnackten Mann verbracht hat.
Vielleicht denken Sie noch über das nach, was ich Sie gestern gefragt habe — den Unterricht für die Fortgeschrittenen-Gruppe?
Aber ja, sagt er, da ist sie mit ihrem Auf Wiedersehen schon draußen, er hört ihre entschiedenen Schritte sich den langen Flur hinunter entfernen, schnell ist sie fort, so wie immer.
Ob irgendeiner von den Männern hier je im Bode-Museum war?
Als Richard abends zu Hause ankommt, weiß er nicht mehr, wie das Gespräch eigentlich begonnen hat. Er hatte nicht mehr bei einer der Türen anklopfen wollen, hinter denen die Schlafenden waren. Beim Hinuntergehen dann sah er den dünnen Mann mit dem Besen. Der fegte, als habe er alle Zeit dieser Welt, die unbewohnte erste Etage. Das Gespräch mit ihm hat viel länger gedauert als all die anderen Gespräche, aber das kann Richard sich nicht wirklich erklären.
Ich weiß, woran das liegt, sagt die Stimme. Der dünne Mann trägt noch immer die gelbe, zerlöcherte Trainingshose und hat den Besen noch immer in der Hand. Manchmal macht er eine kleine Pause und stützt sich mit beiden Händen darauf, und dann fegt er weiter.
Oder ist es noch immer nicht zu Ende?
Ich schaue nach vorn und nach hinten und sehe nichts.
Das war der erste Satz, den der Mann in der leeren Etage gesagt hat, und von diesem Satz aus ging es viele, viele Male im Kreis. Jetzt ist Richard zu Hause und hört immer noch dessen Stimme.
Mit acht oder neun Jahren haben meine Eltern mich bei der Stiefmutter gelassen, der ersten Frau meines Vaters, und sind mit meinen zwei Brüdern und meiner Schwester in ein anderes Dorf gezogen. Mit elf habe ich meine erste Cutlass bekommen, das Messer, um auf den Feldern zu arbeiten, für 3 °Cent in der Stunde. Mit achtzehn hatte ich soviel verdient, dass ich einen kleinen Kiosk aufmachen konnte. Mit neunzehn verkaufte ich den Kiosk, um nach Kumasi zu gehen.
Richard schaltet das Licht im Wohnzimmer ein, in der Bibliothek und in der Küche, so wie er das immer macht, wenn er abends nach Haus kommt.
Ich ging zu meinen Eltern, meinen Brüdern, meiner Schwester und verabschiedete mich. Länger als eine Nacht konnte ich nicht bei ihnen bleiben, dazu war ihr Zimmer zu klein.
Ich fuhr nach Kumasi und fing bei zwei Händlern, die auf der Straße Schuhe verkauften, als Helfer an. Ich lernte ein Mädchen kennen, aber ihre Eltern gaben uns die Einwilligung zum Heiraten nicht, weil ich zu arm war. Dann gingen die Händler, bei denen ich angestellt war, pleite.
Ich fuhr zu meinen Eltern, meinen zwei Brüdern und meiner Schwester. Länger als eine Nacht konnte ich nicht bei ihnen bleiben, dazu war ihr Zimmer zu klein.
I didn’t feel well in my body in that time.
Richard geht in die Küche, macht das Fenster zum Garten auf, blickt in die Nacht und denkt einen kurzen Moment, dass jetzt alles ganz still ist. Dann hört er hinter sich wieder das Schleifen des Besens.
Etwas veränderte sich, aber ich wusste nicht, ob zum Schlechten oder zum Guten.
Ich fing auf einer Farm zu arbeiten an. Ich sollte mich um die Tiere kümmern, Ziegen und Schweine. Ich besorgte ihnen das Futter, schnitt Gras, Holz und Blätter. Aber der Besitzer behielt meinen Lohn ein, er sagte: Soviel kostet mich deine Verpflegung.
Richard macht die Balkontür wieder zu und dreht sich um. Der Mann stützt sich mit beiden Händen auf seinen Besen, lächelt und sagt:
Eines Nachts hatte ich einen Traum. Mein Vater lag auf der Erde, ich wollte ihn umarmen, aber konnte ihn nicht halten, unter meinen Armen wurde er flach und sank nach unten, in die Erde hinein.
In der nächsten Nacht hatte ich wieder einen Traum. Drei Frauen wuschen den toten Leib meines Vaters. Ich sollte ihnen helfen, aber ich wusste nicht, wie man das macht.
In der dritten Nacht sah ich, wie meine Mutter neben dem Körper meines Vaters steht, so als würde sie über ihn wachen.
Einen Tag später erhielt ich Nachricht aus meinem Dorf, dass mein Vater gestorben war.
Wo er den Besen überhaupt her hat?
Ich wusste, dass mein Geld nicht reicht, um acht Wochen später zur großen Totenfeier für meinen Vater zu fahren. Aber ein Sohn muss kommen und seinen Vater betrauern.
Jetzt fegt er wieder weiter, mit ruhigen, weitausholenden Bewegungen. Schaden kann es schließlich nicht, denkt Richard.
Die erste Woche arbeitete ich.
Die zweite.
Die dritte.
Die vierte.
Am Ende der vierten Woche sagte mir der Besitzer, das sei nur der Probemonat gewesen und gab mir wieder kein Geld.
Ich fand Arbeit auf einer anderen Farm. Dort grub ich Felder um, auf denen Yam angebaut wurde. Die erste Woche arbeitete ich. Von vier Uhr morgens bis um halb sieben am Abend.
Die zweite Woche.
Die dritte Woche.
Die vierte.
Aber hätte ein Mädchen mir nicht umsonst zu essen gegeben, hätte auch das Geld, das ich dort verdiente, für die Reise zur Totenfeier und für den Kauf einer Ziege, die ich dort opfern wollte, niemals gereicht.
Vielleicht wäre ein kühles Bier doch gut an so einem Abend, denkt Richard und geht in den Keller hinunter.
Ich fuhr mit der Ziege in einem Sammeltaxi nach Nkawkaw.
Ich fuhr mit der Ziege in einem Bus nach Kumasi.
Ich fuhr mit der Ziege in einem Sammeltaxi von Kumasi nach Tepa.
Ich fuhr mit der Ziege von Tepa nach Mim.
Richard erinnert sich daran, wie er gelacht hat, als der Mann ihm erzählte, wie schwer es war, so eine lebendige Ziege zwischen all die anderen Passagiere in ein Auto zu zwängen.
Ich traf genau an dem Tag ein, an dem die Totenfeier für meinen Vater stattfand. Wir opferten, so wie es Brauch ist, die Ziege. Länger als eine Nacht konnte ich nicht bei meiner Familie bleiben, dazu war das Zimmer zu klein. Von jetzt an musste ich allein für meine Mutter und meine drei Geschwister sorgen.
In einem benachbarten Dorf bekam ich Arbeit auf einer Kakaoplantage.
Nach einem Jahr beschloss ich, mit dem Geld, das ich verdient hatte, nach Accra zu gehen.
Ich ging zu meiner Mutter, meinen Brüdern, meiner Schwester und verabschiedete mich. Länger als eine Nacht konnte ich nicht bei ihnen bleiben, dazu war ihr Zimmer zu klein.
Während Richard nun mit seinem Bier auf dem Sofa sitzt, fegt der Mann in der gelben, zerlöcherten Hose den Wohnzimmerteppich.
Ich fuhr nach Accra und kaufte die ersten 4 Paar Schuhe für meinen eigenen Handel. Am Nachmittag hatte ich 2 Paar verkauft. Ich kaufte 2 neue Paar nach, und verkaufte am Abend noch 1 Paar. Von dem Gewinn für die insgesamt 3 verkauften Paar Schuhe konnte ich mir Essen kaufen, eine Schlafmatte und eine Plane, um auf der Straße zu schlafen. Nachts stahl mir jemand die Plane.
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