die während des Sechstagekriegs verkauften
Radios
schickten mich jedenfalls nach Paris
denn mein Vater hatte ein Jahr zuvor mit seinem letzten Kapital fünf Elektrogeschäfte gekauft
eine Nacht lang setzte ich mich vor eine stumme Reihe dieser elektrischen Wundertiere und starrte auf ihre polierten Holzgehäuse die Schleierwand vor dem Harem ihrer Lautsprecher die geriffelten Drehknöpfe an den Außenseiten die glasverkleideten Sendersuchleisten die elfenbeinfarbenen Klaviaturen zur Frequenzwahl ich senkte den Kopf und äugte durch die poröse Rückwand eines Geräts und schaltete es an als könnte über der glühenden Röhrenstadt in seinem Inneren etwas anderes aufsteigen als der Hass auf die Israelis und die vermeintlichen jüdischen Spione in der irakischen Regierung nämlich eine Antwort auf die Frage
ob ich auch allein nach Frankreich gehen sollte
denn wir hatten kaum unsere Koffer gepackt um als glücklich davongekommenes junges Paar ins Ausland zu fahren als Faridas Mutter schwer erkrankte
Anfang August gingen wir ein letztes Mal am Tigris spazieren die Radios wüteten noch immer
2 Millionen Israelis hatten 80 Millionen Araber besiegt (schrieb man im Westen als hätten wir mit Feldsteinen gekämpft und als wäre jeder Mann und jede Frau und jedes Kind dabei gewesen)
es waren die französischen Jagdbomber die deutschen Panzer die amerikanischen Kanonen hörten wir bei uns und wir hörten Doris Day singen wie in jenem Hitchcockfilm den wir Jahre später zusammen in Paris sehen würden Que Sera von einem der Fischrestaurants her wir setzten uns ans Ufer wir waren nicht fähig klar zu denken oder zu fühlen Que Sera war kismet ein beinahe muslimisches Lied es brach ab kaum dass wir uns gesetzt hatten
es ist keine Frage sagte Farida ich komme nach sobald es meiner Mutter bessergeht
ich würde nach Paris gehen mit Hilfe der Radios
ich ging und weil ich (der Jüngste) der Einzige war der studieren konnte noch dazu in Frankreich kam unter meinen Geschwistern jener durchaus nicht nur gut gemeinte Witz auf von meinem Freund Moschel zu reden dem ich das Auslandsstudium verdankte
in Paris träumte ich
neben Hussein in unserer Bude immer wieder vom israelischen Verteidigungsminister der eines meiner Augen verlangte als Provision bis Hussein mich heilte indem er Dutzende von Karikaturen zeichnete auf denen man mich und Mosche Dayan sah die letzte und aufwändigste auf einem großen Blatt auf dem ich den Kopf mit darübergeschlagenen Armen auf meinen Schreibtisch gelegt hatte umwimmelt von Dayans in der Größe von Mäusen Katzen Hunden allesamt mit Augenklappe einige flogen wie Fledermäuse um meinen Kopf oder saßen in kleinen Mirage- oder Mystère-Jagdbombern (ich kann solche Wunderwerke nicht voneinander unterscheiden) von denen einer meinen Papierkorb in Brand schoss ein anderer meinen Anatomie-Atlas
es war noch sieben Jahre später kein guter Witz
als Farida und ich 1974 zurückkehrten
waren wir schon einen Krieg weiter wir feierten die Geburt unseres ersten Kindes an seinem siebten Lebenstag ich hielt Jasmin in den Armen und sie schien mir weniger zu wiegen als eine Taube ich flüsterte ihr dreimal ihren Namen ins Ohr (ich glaube an den Namen des Menschen) wie ihr Faridas fromme Tante kurz nach der Geburt die Fatiha ins Ohr geraunt hatte das geschlachtete Lamm wurde im Innenhof des großen Hauses in Wasiriya gebraten das mein Vater nach dem Radio-Coup noch hatte erweitern können so dass zwei meiner Brüder mit ihren Familien darin Platz fanden uns dreien wäre das Haus meines Großvaters in Betawiyn geblieben aber ich hatte schon eine moderne Wohnung gemietet mein Vater war siebzig damals und noch ganz der große Scheich seiner Geschwister meiner Geschwister meiner Cousins die in seinen Elektroläden arbeiteten ich musste dagegen ankämpfen mich für Jasmins Geschlecht entschuldigen zu wollen aber er sagte doch kein Wort darüber dass die kleine Schiitin Farida ihm eine Enkeltochter serviert hatte nein vielleicht freute er sich sogar vor allem aber freute er sich dass ich tatsächlich zurückgekehrt war
als Arzt in den Irak
(das Land der unendlichen ärztlichen Arbeit)
die Wärme ist da sie umgibt mich meine Geschwister haben nicht geglaubt dass ich wiederkomme und jetzt ist ihre Freude ehrlich ich mag denken fürchten hoffen was ich will ich bin
zunächst einmal
zuhause ich spüre wieder die Hitze die vertrauten Stoffe rieche die Gewürze gehe unter den Dattelpalmen am Tigris streife die Lehmziegelmauern die Teppiche die Tücher wandere über die Brücken bummle mit Farida die Abu-Nuwas entlang und über die Suks ertaste die rissige jahrhundertealte Haut der Stadt als berührte ich einen mächtigen Elefanten mit der Ausdünstung von Kebab Kardamom Kohlenmonoxid Karbid sehe wie sich die modernen Wohnblocks die internationalen Geschäfte die neuen Hotels eingenistet haben und die Heimstatt der Weisheit die Wohnstätte der Vernunft die Mutter der Welt BAGDAD mit einem betonharten glasharten Versprechen auf ungeahnte Zukunft armiert während schon die Volkswagen Opel Renaults sogar Straßenkreuzer aus den USA durch ihre großen Arterien fahren
es ist die Idee dass vielleicht noch in einem einzelnen Land funktioniert was für alle arabischen Länder gemeinsam nicht herstellbar war eine Idee für die wir die Augen zukneifen und die untrüglichen Anzeichen ihrer baldigen gnadenlosen Pervertierung energisch
verkennen
ich spüre will unbedingt spüren
dass meine große oder beste Zeit beginnt mit Jasmins wundervoll bemühtem Hineinstarren in das über dem Innenhof schwebende blaue Quadrat der Zukunft
es war mir
sieben Jahre später
als richtete sie den gleichen Blick auf mich als sie von dem Fußball aufschaute den sie als schnellstes der Mädchen vor sich hergekickt hatte und mich am Zaun ihrer Schule stehen sah
wieder
in Uniform
Kompass
Mein Land liegt zwischen den Mühlsteinen Ost und West.
Sie drehen sich mit der Macht der großen Katastrophen
in entgegengesetzte Richtung.
Unaufhaltsam nähern sie sich einander.
Gehst Du nach Norden, verschwindet Dein Gesicht.
Gehst Du nach Süden, wartet in Basra der Tod.
Bleibe bei mir.
Sieh auf die Steine.
Wünsche Dir nichts.
Wir waren spät abends in Granada angekommen die Taxifahrt durch die engen Sträßchen und Gassen kam mir wie ein hastiger Tauchgang durch eine von orangegelben Scheinwerfern ausgestrahlte Unterwasserstadt vor der Zeitraffer mit dem alles gefilmt wurde erklärte das Wunder der immer gerade noch rechtzeitig zurückweichenden Menschenmenge dann die hohen alten Mauern und die Märchennachtblicke über die Stadt
das Morgenlicht des ersten Erwachens in dem Luisa über mich gleitet ihre Brüste mit der Fruchtschwere und Taubenwärme des Paradieses mit noch verschlafen seufzendem Behagen seid eine Kleidung füreinander (heißt es) Schleier Seidenmantel Pelzhandschuh schwarzer Nerz der über meinen Bauch gleitet sich über seinem Fund wölbt feuchter elastischer Ring erstaunlich kühl zunächst dann aber seine Glut verströmend das Feuer in unseren Körpern flammt auf
in
einander
gekleidet im hellen Licht der Fenster deren schwere große Läden Luisa geöffnet hat noch bevor sie selbst
erschien
vor den Gärten der Alhambra
die wir noch nicht gesehen haben die draußen in der noch frischen Morgenluft auf uns wartet noch heftig atmend liegen wir beieinander ein winziger silberner Vogel schießt vorbei auf der Suche nach seinem goldenen Baum der kräftige Körper neben mir Luisa buche sechs Monate im Voraus ein Zimmer im zweiten Stock sagt sie eine Hand auf meinen Nabel gelegt (als wäre ich — wie alle Paradiesbewohner — niemals geboren) und du bekommst noch vor dem Frühstück eine waschechte Andalusierin
Читать дальше