Da hast du mir leid getan. Und da hab ich gesagt, dass sie dir Henry nich wegnehmen wollen. Nur, und da hab ich denn all meinen Mut zusammengenommen, nur, ob das nich vielleicht so besser wär.
«Was?«, hast du gefragt.»Was wär so besser?«
Da hätt ich am liebsten gar nix mehr gesagt, aber nu musst ich ja.»Na, ich mein ja bloß. Ob das im Heim nich besser für ihn wär.«
«Nein«, hast du bloß gesagt. Mehr nich. Aber ich glaub, du warst mir gar nich böse. Du hast nur ganz traurig ausgesehn.
Nee, diese Ingrid! hab ich gedacht. Dass die ihre eigne Mutter so ein Kummer machen muss! Wenn sie dich nu am Ende noch verhaften. Das hätt ja passieren können, das konnten die doch machen. Aber denn haben sie doch bloß Henry abgeholt. Gleich am nächsten Tag haben sie Henry abgeholt ins Heim.
Ein halbes Jahr später hattst du ihn wieder. Das kann ich mir vorstellen, wie du denen da aufn Senkel gegangen bist. Da hast du nich lockergelassen. Und du hast das wirklich geschafft. Du hast ihn wiedergekriegt. Das hat mich gar nich gewundert. Wenn du was wolltst, denn hast du das auch geschafft. Gewundert hab ich mich bloß, dass du das unbedingt wolltst. Dabei hattest du das doch gar nich so mit Kindern. So gut mit Kindern konntst du nich, das hatt ich bald gemerkt. Ich glaub, du wolltst auch nich unbedingt welche. Ich weiß noch genau, wie du mich angeguckt hast, als ich da damals zu dir gekommen bin und nich wusst, ob ich nu lachen oder weinen soll, und dir das auch erst gar nich sagen wollt, aber irgendeinem musst ichs doch erzähln, und wem denn, wenn nich dir.
«Anna, nu bün’ck schwanger«, hab ich gesagt und da wurd mir ganz heiß im Gesicht, so wie früher, als hätt ich was angestellt und müsst das nu sagen. Aber das war doch nu mehr was zum Freuen. Aber du hast bloß gesagt:»Jetzt schon?«
Und da hab ich mich irgendwie geniert, obwohl ich dacht, dass ich mich vor dir ja nu nich genieren muss, weil du noch gar nich so genau Bescheid weißt, hab ich gedacht, wenn du das nu erst wüsstst, wie das so is mit der Ehe, wie ich mich denn erst geniert hätt. Aber ich glaub, grad deswegen. Als wär ich nu irgendwie, wie haben sie das immer noch genannt — gefallen, ja. Hochmut kommt vor dem Fall. Und war ich nich ein bisschen hochmütig vielleicht gewesen, wie ich gesagt hab, ich heirat jetz den Simon Wachlowski, wo du Angst um deinen Theo hattst? So dumme Sachen hab ich da gedacht.
«Na, ich bin doch nu verheiratet«, hab ich gesagt, auf Hochdeutsch.
«Das stimmt«, hast du gesagt. Aber ich glaub, du wolltst was andres sagen. Und da hab ich mich geärgert über dich. Wie du nu so hochmütig sein konntst.
«Na, wart, bis du dein Theo heiratst«, hab ich gesagt. Und ich dacht schon, ich hätt was Falsches gesagt, weil du erst gar nix gesagt hast, und dann:
«Damit wird das auch nich anders.«
Ich glaub, da hab ich dich ganz entgeistert angeguckt.»Was? Was wird da nich anders?«
Und du hast bloß gegrient! Bloß gegrient hast du! Und da dacht ich, ich fall vom Stuhl.
«Ach, Maria, das weißt du doch nu genauso gut wie ich!«
Na, das hattst du jedenfalls fein hingekriegt. Wer hier wohl nu Grund hatte, sich zu genieren! Aber das hattst du nu wieder so hingedreht: dass ich nu wieder wie die Dumme dagestanden hab. Nee, Anna, manchmal war das nich zum Auszuhalten mit dir!
Wie ich denn das zweite Mal schwanger war, hab ich mich schon gar nich mehr getraut, dir das zu sagen. Aber du hast mir das sowieso gleich angesehn. Verheimlichen konnt man nix vor dir. Und da warst du denn auch wieder ganz anders. Da hast du mir denn Mut gemacht, weil ich ja nu das erste verloren hatt und nu Angst hatte, dass das wieder so kommt, und da hast du mich gefüttert mit das bisschen, was ihr noch mehr hattet als wir, und das war vierundvierzig, und du hast Sachen für das Kind gestrickt und hast gesagt, wenns so weit wär, denn wär der Krieg schon längst vorbei, das könnt ja nu nich mehr lange so weitergehn.
«Aber Anna, das darfst du doch nich so sagen«, hab ich gesagt.»Was denkst du, was das wird, wenn wir nu verliern!«
«Na, wenn du nich willst, dass dein Kind das hier mitkriegt, denn betst du besser dafür!«
Und siehst du, du hattest ja recht. Das Kind hat gar nix mitgekriegt. Das war noch gar kein Kind. Und der Krieg war denn ja auch vorbei. Und ich dacht, ich krieg nu gar keine Kinder mehr. Dass das nich geht bei mir. Ich wurd auch gar nich mehr schwanger die Zeit. Einerseits war ich ja froh. Und lieber gar keins als so ein fremdes, hab ich gedacht, weil, denn hattst du ja auf einmal diesen lütten Peter von eine aus Hinterpommern. Und mit Peter war das genau dasselbe wie mit Henry, bloß, dass ich das erst recht nich verstehn konnt, wo das nu schon gar nich dein eignes war und du noch nich mal verheiratet, und dein Theo noch nich wieder da, und die Zeit, Anna, die schlimme Zeit, das war ja schlimmer als wie im Krieg. Man hatte doch gar nix zu beißen die Zeit. Aber diesen lütten Wurm, den hast du dir nich ausreden lassen. Was denn sonst aus ihm werden sollt, er hätt doch sonst keinen mehr, hast du gesagt.
Die waren ja nu alle fünfundvierzig hierhergekommen, da wollt ja auch keiner mehr da bleiben, nach dem, was die alles gehört hatten vonne Russen, wie die Russen da gehaust haben inne Ostgebiete, da konnt dir das kalte Grausen kommen, wie die das so erzählt haben, und wie sie überfallen worden waren auffe Flucht und die Hälfte das gar nich geschafft hatte bis hierher. Und was hatten wir für eine Angst, dass uns das nu genauso gehen würd, wenn erst die Russen bis hierher wärn, dass uns das denn genauso dreckig gehen würd, und Anna, da hab ich gedacht, wenn das so kommt, denn bring ich mich um. Bevor mich einer vonne Russen anfasst, bring ich mich lieber um. Ich wollt sowieso nich mehr, die Zeit wollt ich gar nich mehr. Und da hab ich mich immer gefragt, wie du das so machst. Dass du gar keine Angst hattst, wie sie die alle bei euch einquartiert haben, die Flüchtlinge, und erst warst du auch noch ganz alleine mit die, bis denn dein Vater zurückkam. Uns hatten sie ja auch welche zugeteilt, aber bloß eine junge Frau mit ihre Mutter, und die waren anständig, und ich hatt ja da auch meine Schwiegereltern, und Simon war auch bald wieder da, und die haben sich nich gemuckt, und wie sie nu erst mitkriegten, dass Simons Eltern aus Polen waren, da waren sie nu ganz verschüchtert, da wollten sie nu gar nix mehr von uns nehmen, und da mussten wir denen erst sagen, dass wir ihnen nu bestimmt nix tun würden.
Aber die meisten hatten sie ja in die Schnitterkaserne gesteckt, und da sind denn auch paar noch gestorben, in das kalte Loch, und alles voller Wanzen, da hätt ich um nix auffer Welt drin sein wollen, da waren gar keine Scheiben mehr drin, das sah schon damals nich viel anders aus als heute. Und da war auch die Frau dabei, die Mutter zu dem Lütten, und die war so krank. Und du bist da immer hin und hast ihr Brot gebracht oder mal eine Suppe, und das ging aber auf die Dauer nich, weil die andern dich schon böse angeguckt haben, wie du gesagt hast, die hatten ja auch Hunger und sahen nu immer, dass die eine was kriegt und sie nich. Und denn hast du die auch noch in dein Haus geholt, die Frau mit ihrem lütten Kind, aber das war bloß paar Tage, und da is sie denn gestorben. Malius hat sie geheißen, jetzt weiß ich das wieder, Frau Malius, hast du immer gesagt, na, und ihr Lütter, das war ja Peter, und den hast du denn einfach behalten. Und das war auch gar nich so verkehrt zuerst, weil denn ja auch die Russen da warn, wo der Krieg vorbei war, und die hatten denn ja das Sagen, da haben sie auch gleich den Bürgermeister verhaftet, obwohl der nu gar nich son Nazi war, aber zwei Pistolen hat er gehabt, und das hat gereicht, und der is auch nich wieder aufgetaucht, und denn hatten die sich da im Gemeindehaus einquartiert, aber das war ja man nich sehr geräumig. Und denn habt ihr auch noch zwei Soldaten ins Haus gekriegt, das war nu euer Pech, dass ihr so ein schönes großes Haus hattet, das hatten die sich ausgeguckt, und wie die Soldaten nu das Kind bei dir gesehn haben, da haben sie natürlich gedacht, das wär deins, und denn haben sie dich auch in Ruhe gelassen, weil, Frauen mit Kindern haben die eigentlich nix getan. Die haben ihm immer übern Kopp gestreichelt und» schjonn, schjonn «gesagt, hast du gesagt. Und dass das auch noch halbe Kinder warn, vor die man nu keine Angst zu haben brauchte. Hilda Roggelin hat das auch immer erzählt später, wie sie, wenn die Russen vorbeikamen, immer schnell nach ihre Tochter gerufen hat und sie auffen Schoß genommen hat und wie sie ihr denn immer wieder die Zöppe geflochten hat und immer wieder aufgemacht und wieder neu geflochten, bis sie wieder weg waren, die Russen. Na, ich war jedenfalls froh, dass ich meinen Simon hatt. Und nich wie die Rieshöft mit ihrem Polen, wo der Mann nu schon so lange weg war, und keiner wusst, ob er nu tot war oder nich, und denn hatten sie ihr den Polen gegeben, zum Arbeiten, und wie nu die Russen kamen, sollt er weg, und denn haben sie ihn ihr auch weggenommen und wohl wieder nach Polen geschickt, ob er nu wollt oder nich, und der wollt ja gar nich, weil die Rieshöft, wie gesagt wurde, ja nu anscheinend mit ihm, na, weil er ja nu nich grad im Stroh schlafen musst, wie sie gesagt haben.
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