He, Ildi, sieh mal, da vorn ist Gyula, sagt Nomi, als wir die Küchentür hinter uns schliessen, Gyula, einer unserer Cousins, der schönste, mit wilden Augen, so sagt man, und wenn er nicht unser Cousin wäre, ja dann, dann wären wir auch in Gyula verliebt, aber wo ist er jetzt hin, frage ich, und wir gehen über den dunklen Innenhof, am Schweinestall vorbei, und das vereinzelte Grunzen vermischt sich mit der Musik, es ist immer noch warm, sagt Nomi, ja! und wir bespritzen uns am Ziehbrunnen, ich will wissen, wo dieser Gyula ist, sage ich, und wir gehen auf das Hühnergatter zu, ein breites Gehege, das jetzt leer ist, pass auf die Hühnerkacke auf, ruft Nomi, sonst liegst du auf dem Boden, und wir trippeln vorsichtig über die rutschigen Pflastersteine, öffnen da, wo es am dunkelsten ist, die Gattertür, stehen inmitten eines kleinen Schrottplatzes, Pneus, Möbelteile, altes Spielzeug, sogar einen rostigen Auspuff gibt's da, ein Ort, den wir nur tagsüber gut kennen, pssst! flüstere ich, da ist er, und Nomi und ich, wir ducken uns hinter eine schiefe Kommode, wir halten den Atem an, weil wir wissen, dass das, was wir sehen, nicht für unsere Augen bestimmt ist.
Gyulas Hintern sieht aus wie der volle Mond, flüstert Nomi nach einer Weile, aber im Gegensatz zum Mond bewegt sich Gyulas Hintern vor und zurück, ziemlich schnell, und seine heruntergelassene Hose sieht peinlich aus, aber das finden ja nur Nomi und ich, die einzigen Zuschauerinnen, wir sollten besser wegsehen! aber wenn wir schon mal da sind, sage ich, und zum Glück ist es ziemlich dunkel, so dass man nicht viel sieht, nur wie Gyula seinen Mond vor und zurück bewegt und wie er mit seinen Händen Beine hält, die neben seiner Hüfte herunterhängen, und der wirkliche Mond, der über uns hängt, ist nicht voll, sondern eine Sichel. Weisst du, wer es ist, frage ich Nomi. Terez, antwortet sie, ziemlich sicher, die haben sich die ganze Zeit schon so angeguckt. Was, Terez? die ist doch verheiratet! Ja genau, Terez ist verheiratet und Gyula ist verlobt, und ab und zu hören Nomi und ich das vereinzelte Gegacker eines Huhnes, die Hühner träumen wahrscheinlich auch, flüstert Nomi, aber sicher von nichts anderem als von Maiskörnern, für etwas anderes sind sie zu doof. Und wir müssen uns andauernd irgendwelchen Blödsinn zuflüstern, um uns von dem, was wir sehen, abzulenken, von den Stöckelschuhen, die sich jetzt an Gyulas Schenkeln festklammern, von den merkwürdig angestrengten Tönen, die sich die beiden hin- und herschieben, und Nomi schmiegt sich eng an mich, sagt mir lachend ins Ohr, komm, wir wecken die Hühner auf, Ildi, ich hab Lust, dass etwas passiert!
Und danach, danach löst sich die hintere Zeltplache, da, wo das Brautpaar gesessen ist, sie rutscht so weit runter, dass man das Herz aus Nelken und die Heiligenbildchen nicht mehr sieht, sondern den dunklen Innenhof. Unglück! rufen die einen, das kann nichts Gutes bedeuten, an so einem Tag! Ach was! hört doch auf! Luft! Zuversicht! Freiheit! rufen die anderen, allen voran Tante Manci, sie klatscht in die Hände, jetzt feiern wir erst recht! Und es werden gefüllte Paprikaschoten, Kalbspaprikasch, Rinds-, Lamm-, Schweinepörkölt aufgetragen — und ich erinnere mich genau an die paar Suppenspritzer am Anfang des Abends, Brotkrümel, die zu Beginn des Festes noch unter den Tisch gewischt werden, ein paar wenige Gläser, die aus Unachtsamkeit umfallen oder weil man mit schwärmerischen Armen nochmals die Schönheit des Brautpaares beschreiben muss, die Zigaretten, die noch nicht von Schuhspitzen ausgedrückt werden; aber es ist logisch, dass Ferkelsülze glitschig ist, von einer etwas unsicher gehaltenen Gabel flutscht, und ist das nicht eine grossartige Leber, wenn sie auf dem Tischtuch eine so mächtige Spur hinterlässt? Ich erinnere mich genau, dass das Tischtuch bereits wild gefleckt ist, die Männer hängende Kiefer haben, nach Bier schnippen, obwohl noch ein halbvolles vor ihnen steht, als Vater sich auf dem Tisch abstützt — die Musiker haben gerade die letzten Takte von Ich habe meine schöne Heimat verlassen gespielt, Nomi, die mich in den Arm kneift, weil Gyula in diesem Moment wieder ins Zelt schlüpft und ein paar Minuten später, Terez, na, was hab ich dir gesagt? Vater, der vor dem Lied Grossonkel Pista die Lage der Welt erklärt hat, auf einer imaginären Karte, aber gut sichtbar für alle, die keine Maulwürfe sind, Grossonkel Pista, der in seinem jetzigen Zustand eigentlich nur noch nicken kann — ich beobachte also, wie Vater sich auf dem Tisch abstützt, langsam aufsteht, die Tischplatte loslässt, wackelt, sich dann, als er sich eingependelt hat, den Krawattenknopf und das hellgraue Jackett richtet, nach einem Löffel langt, was kommt jetzt, flüstert Mutter, weil sie so gut wie ich und Nomi weiss, was jetzt kommt, und Vater klopft mit dem Löffel gegen zwei Gläser, bittet um Ruhe, weil er jetzt etwas sagen möchte, er möchte jetzt etwas sagen und nicht viele Worte verlieren, und es wird still im Zelt, ich, die sich umsieht, sehe geknickte Köpfe, eingelegte Augen, Löcher in hoch getürmten Frisuren, Lidstriche, die sich verbreitert haben, Nomi, flüstere ich leise, lass uns wieder verschwinden — aber es ist zu spät.
Vater, der es tatsächlich tut, sein Glas erhebt, auf das Brautpaar! auf Nándor und Valeria! auf den 4. 8. 1980! darauf, dass Tito vor genau drei Monaten ins Gras gebissen hat! Und ich wünsche ihm, und ich hoffe, ihr tut es auch, dass er in einem hundertfachen Fegefeuer schmort!
Nándor und Valeria, die höflich und hilflos lächeln, kein hundertfaches Fegefeuer, sondern ein blutrotes, ruft einer, hebt sein Glas in Vaters Richtung, steht auf, aber sonst, sonst bleiben alle sitzen, und eine speckige Frau ruft, ihr Spinner, geht doch raus, wenn ihr politisieren wollt! und sie zeigt energisch zum Zeltausgang, und jemand klatscht in die Hände, Musik, Musik! Der Miklós hat schon recht, ruft einer, aber die Geiger und Sänger streichen und singen schon, schön sind, schön sind die, deren Augen blau sind… Hört mal zu, ruft jemand noch und formt mit seinen Händen einen Trichter, es war ein blöder Bubenstreich, das mit der Zeltplache, hört mal zu, das waren die beiden Buben da drüben! — aber das interessiert jetzt niemanden mehr.
Willst du uns alle im Grab sehen, sagt Onkel Móric, der sich, kaum haben die Musiker zu spielen angefangen, neben Vater an den Tisch gestellt hat, so nah, dass er ihn mit seiner geäderten Nase fast berührt, wünschst du uns den Krieg, zischt Onkel Móric, sag mal, oder ist dir einfach dein Mund ausgerutscht? Mutter sieht in ihrem grasgrünen Kleid immer noch schön aus, aber hilflos, und niemand hört ihr zu, als sie sagt, könnt ihr das nicht auf einen anderen Tag verschieben? Vater und Onkel Móric, die sich mit Worten bespucken, du wünschst uns den Krieg, sagt Onkel Móric immer wieder, Vater ruft, hör doch auf, ach, hör doch bloss auf, wirbelt seinen Rauch spöttisch gegen das Zeltdach, ist dir dein Humor in deiner Festtagsunterhose verloren gegangen? Und die Girlanden sind jetzt kleine, farbige Bojen, die in einem Meer von Rauch und Flüchen schaukeln. Dass dir Tito nicht gepasst hat, ist mir völlig wurscht, brüllt Onkel Móric, den wir zum ersten Mal fluchen hören, aber ich bin nicht der Einzige, der sagt, dass das Land jetzt aus dem Ruder läuft, und seine ausgestreckte Hand sieht aus wie ein eigenes Wesen. Wo ist dein Realitätssinn geblieben, fragt Vater und muss für "Realitätssinn" ein paar Mal Anlauf holen, du glaubst doch nicht im Ernst, dass ein gestorbener Tito einen Krieg auslöst?
Und es hat sich eine Traube gebildet um Vater und Onkel Móric, keine Ahnung, wer was gerufen hat, wer mit wem gestritten hat, sogar Juli stand plötzlich neben Grossmutter und rief, es schneit, es schneit, der Schnee ist da! ihr Mund, der mit Schlagsahne verschmiert war, Mamika, von der Nomi und ich erwartet haben, dass sie den Streit schlichtet, das sind zwei Brüder, die sich streiten, hat sie gesagt, nur das, und die Musiker haben weitergespielt, obwohl ihnen niemand mehr zugehört oder getanzt hat, es war so laut im Zelt, dass das übriggebliebene Essen auf den Tellern wieder warm geworden ist, und Tito hat seinen Kopf aus dem Fegefeuer und seine Zunge aus dem Mund gestreckt, in unser Hochzeitszelt hinein, so berühmt bin ich immer noch! und seine Nasenspitze glänzte vor Schadenfreude.
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