«Ich soll mich…«, sie sah aus dem Fenster, schien zu träumen, er wurde lauter:»Frau Späth?«
«Ah? Presente. Ja. «Sie blinzelte, als wäre sie mit den Gedanken tatsächlich bereits weiter weg gewesen, als irgend jemand sonst zu denken wagte (was wahrscheinlich stimmte, gruselte er sich).
Sankt Oswald sagte:»Das heißt, ich werde nun… Pram…«
«Padmasambhava, right. Eine kleine rote Echse. Hör mal, also du wirst folgendes machen«, sie lehnte sich nach vorn. Er bewunderte die Schönheit ihrer Schultern und achtete auf jedes Wort der Instruktion:»Du wirst ein paar Roboter mieten, um für eins deiner doofen Spiele mit diesen Zuddelköpfen da…«
«Meine Spiele sind das nicht…«, wehrte er schwächlich ab, sie ging drüber hinweg:»… für eins davon ein paar Echsen zu fangen. Aber du wirst die Fänger so vorbereiten, daß sie nur mit einer einzigen Echse zurückkommen. Mit ihr. Dann aber wirst du sie nicht etwa bei dir aufnehmen — tust du das, traut sie dir nicht und läuft dir weg, sie ist ein bißchen widerborstig, das hat sie von ihrer Mutter —, sondern du schenkst sie einem deiner Nobelfreunde… diesem, wie heißt der Trottel, Eon vielleicht?«
Er zog ein starrkrampfartiges Gesicht, sie nickte knapp,»Genau, na bitte. Und der wird's natürlich komplett vermasseln mit ihr… ich meine, er wird schnell begreifen, daß sie für seinen Zirkusquatsch zu außergewöhnlich ist, und also wird er sich in den Kopf setzen, sie zu erziehen, sie bei den Aristoi einzuführen, ist ja schon vorgekommen…«
Sankt Oswald schnaufte schwer — in der Tat, das war der beliebte Stoff von sehr viel Kitsch und schlechter Kunst in den Burgen: Wie wir die wertvollen Späne, die manchmal aus dem Flammenmeer des experimentum crucis fliegen, bei uns bergen, wie wir Echsen zu Aristoi machen…
«Und dann wird sie ihm aus dem Ruder laufen. Da schlägt deine Stunde. Du fängst sie ab. Sammelst sie ein. Und erziehst sie, bildest sie, aber richtig, gemäß einem curriculum , das ich dir übermitteln werde.«
«Wann?«fragte er, um wenigstens durch Ungeduld ein bißchen Eigenständigkeit zu demonstrieren.
«Alles zu seiner… eher: meiner Zeit, es ist wie bei der Musik«, sie lächelte,»eine Frage des Taktes, nicht. And I'll be a friend to my friends who know how to be friends. Und jetzt hätte ich mich gern geduscht — erzähl mir nicht, daß ihr in euren fabelhaften Schlössern kein fließendes Wasser habt?«
«Mit Duft- und Reinigungszusätzen«, flötete er säuerlich.
«Prächtig, Brettchen«, schmatzte die Unbegreifliche und schlug ihm im Aufstehen die flache Rechte ins Kreuz, daß er dachte, er müßte zersplittern.
5. Entrée
Wenn man der späteren Schönfärberei der offiziellen Quellen nicht auf den Leim gehen will, dann darf man über Padmasambhavas Ankunft in der schönsten der Burgen eigentlich nicht sagen, die Echse habe sich dort durchgesetzt oder einen Kampf um Anerkennung und Zutritt gewonnen, auch wenn ihr selbst, erzogen zur agonalen Auffassung vom Leben durch Jahre des Tötens, eine solche Wertung naturgemäß nahelag.
Sie bewegte sich in Wirklichkeit zu keinem Zeitpunkt zielstrebig auf die Burg VII in Hellas Planitia zu; es handelte sich eher um eine Art Drift.
Als sie schließlich vor den Toren jener Burg in einer Kurzkoalition mit etwa sieben anderen Echsen einer anstürmenden Übermacht von zweiundvierzig weiteren trotzte, unter die sich außerdem ein halbes Dutzend opportunistischer Herzhunde gemischt hatte, drei Tage lang, heldenhaft, aber wie bei allen derartigen Widerstandsakten fast völlig sinnlos, näherten sich von den Zinnen der Burg her plötzlich neun schwarzglänzende Kampfroboter, unter gewaltigem Rotorenlärm. Erst nahmen sie Padmasambhavas Feinde unter Sperrfeuer, bis deren kümmerlicher Resthaufe sich vom Schlachtplatz zurückzog.
Dann belegten sie die bereits vorschnell triumphierenden Bündnispartner der kleinen roten Echse mit schnellem und dichtem Beschuß. Die sanken hin, wurden zerfetzt, aber die Feuerleittechnik der Burgenroboter war so präzise, daß Padmasambhava nichts geschah. Sie überlegte, ob sie fliehen sollte, rechnete ihre Optionen durch, wählte sogar, in diesem Chaos ein ganz besonders tollkühnes Manöver, das Buch des Lebens an, um mit ihm Zwiesprache zu halten. Zum ersten Mal antwortete es nicht.
Padmasambhavas rechter Flügel war gebrochen.
Der linke hing, von den Feinden verletzt, in blutigen Streifen von ihrer Schulter. Dazu lahmte das linke Bein, und ein paar Zähne waren auf der linken Seite, vornehmlich am Unterkiefer, von einem Schwertknauf eingeschlagen. Die fehlenden würden noch stundenlang nicht nachwachsen, Biß hatte sie keinen mehr. So warf sie ihre losen Waffen von sich, stellte sich aufrecht hin, faltete die Schwingen vor Gesicht und Brust zusammen und wartete, was geschehen würde.
Die Roboter putzten den Rest der Schützengräben und der übrigen, mehr oder weniger gut befestigten Stellungen aus. Dann erst verstand Padmasambhava, die bislang damit gerechnet hatte, daß das Ganze einfach eine ungeheuer brutale Säuberungsaktion werden würde, mit der man die Grabenbewohner daran erinnern wollte, daß sie den Burgen nicht zu nahe kommen sollten, was hier tatsächlich geschah:
Man schießt nicht auf mich. Die Maschinen fliegen im Kreis, es wird überlegt, wo man landen kann und mich aufnehmen. Man will mich lebendig.
«Bist du stolz darauf, daß sie dich holen wollen?«Es war das Buch.
«Ich weiß nicht. Ist das hier ein… Zwischenergebnis fürs experimentum ?«
«Sag du es mir.«
«Na, ich habe überlebt — survival of the fittest , wie's in der alten Sprache heißt. Sie werden mich wohl reinbringen, um mich zu untersuchen und von mir zu lernen.«
«Du meinst, ob die eine, die andere oder die dritte Schule recht hat, läßt sich ausgerechnet am Lebensweg und Schlachtenglück einer kleinen roten Echse aufweisen?«
Um darauf antworten zu können, ging Padmasambhava in einem alten Ordner ihrer Spintronik noch einmal durch, was sie über die drei Schulen wußte, zwischen deren Lehrmeinungen das experimentum crucis entscheiden sollte.
Die ersten beiden waren Vertreter des noch in der Langeweile entstandenen» Darwinismus «gewesen, einer Theorie von Replikation, Variation und Selektion, aus der die erste dieser zwei Schulen das Prinzip der adaptiven Komplexität abgeleitet hatte: Alle Eigenschaften, die sich als materielle oder Softwaredispositive einer evolutionär stabilen Strategie sowohl auf onto- wie auf phylogenetischer Ebene bewährten, trugen nach dem Muster des Wegs des geringsten Widerstands kumulativ zu einer irreversiblen Höherentwicklung, nämlich einem ständigen Komplexitätszugewinn durch neu auftretende Spezies bei.
Die zweite Schule glaubte an keinen derartigen Fortschritt, sondern betonte das löchrige, nur von Katastrophen punktierte Gleichgewicht, in dem sich die evolutionär stabilen Attribute der diversen Spezies im synchronen Vergleich stets befänden, und hielt einige neu aufkommende Eigenschaften fürs Ergebnis eben nicht einer Adaption, sondern einer Exaption , einer Nutzung von aus ganz anderen, ziemlich beliebigen Gründen einmal aufgekommenen Veränderungen durch Individuen oder Populationen, ohne daß dieser Vorgang irgendwie gerichtet wäre: reine Glücks- oder Unglückssache.
Die erste Schule warf der zweiten Blindheit gegen den Zeitpfeil und die Feinmechanik der Auslese vor; die zweite der ersten orthogenetische Romantik und Perfektibilismus.
Erst als die dritte aufkam und eine Synthese von Biologie und Informatik versprach, am äußersten späten Ende der Langeweile, hatte die Streitfrage das Niveau erreicht, auf dem es sich lohnte, einen Riesenversuch zur Klärung zu unternehmen,»und zwar am besten auf dem Mars, denn wenn wir jungfräuliche Welten schon neu besiedeln, dann wollen wir dabei doch auch was lernen«(so die Erfinderin des Plans).
Читать дальше