Feuer schämte sich, daß er zurückgepfiffen werden mußte — er hatte eben damit angefangen, mit langen Schritten den Weg nach Hause fortzusetzen. Nun blieb er stehen und verstand, daß er nicht wußte, wie es weiterging. Wo lebte die Maschine?
«Komm mit. Ins Schilf, in den Sumpf. Wir müssen erst sicher sein, daß sie unsere Spur nicht aufgenommen haben.«
So begann Feuers lange Flucht.
1. Rot
Das eigene Blut auf den Füßen und Händen, dunkle Sirupspritzer von hoher Viskosität, in schneller Gerinnung, mit den schwarzen Punkten der spintronischen Blocker darin, kleinen Marienkäferchen, zwischen den eigenen kleinen Krallen, so schlang sich das Reptilmädchen in der ewigen Schlacht um die anderen Echsen, die sich gegenseitig vom Hauptknoten wegschnitten und in die Beine bissen, aufeinander schossen, einander spießten und schlachteten; so schlängelte es sich durch die enge Furt, die ganz angefüllt war vom Schreien und Sterben, von Gledhill nordwestwärts nach Hellas Planitia hinein.
Das Echsenmädchen empfand nicht Angst noch Schmerz dabei, nur Lust und Neugier.
Diese sehr junge Kriegerin konnte im Kopf die Bücher abrufen, wenn sie etwas wissen mußte; die Seiten wurden von Schutzengeln aufgeblättert, da fand sie alles über die Signale der Hörner, über die Verlaufsaussichten der Scharmützel und die Ballistik der Geschosse. Bald fing sie eigene Einträge in die Bücher an. Denn so klein sie war, so wenig Fleisch ihre Zähne noch reißen konnten, so sehr sie angewiesen blieb auf Waffen zum Schneiden und Stechen, weil sie die anderen, mit denen man schießen mußte, noch nicht hätte benutzen können, da die einen Rückstoß verursachten, den ihre Knochen erst später vertragen würden, so sicher wußte sie andererseits, daß einmal viel von ihr die Rede sein würde als von einer großen Heldin, die sich schon kurz nach der Geburt aufs Schlachtfeld gewagt, zwischen allen Burgen, in allen Gräben überlebt und Kenntnisse erworben hatte, die in vielen Büchern Echos finden sollten.
Von Visniac, Liais und Rayleigh im Süden während dreimal zwei roten Jahren stritt sie sich durch bis hinauf nach Tikhow und Wallace, immer nach Westen, nach Norden. Die älteren Männchen mochten sie, das war ein Grund, warum sie durchkam. Viele andere Weibchen wurden totgebissen, geköpft oder verloren Gliedmaßen, wenn diese schweren Kerle ihnen begegneten. Bei der kleinen Echse aber zogen die ältern Männchen es vor, sich zu freuen:»Du bist ganz schön rot«, und jung und glatt und stark: Sie paarten sich mit ihr und waren danach oft so erschöpft, daß es der roten jungen Echse gelang, sie zu töten oder wenigstens zu bestehlen. Wenn das, was sie ihnen wegnahm, Waffen waren, die sie nicht selbst benutzen konnte — etwas zum Abfeuern mit Rückstoß, ein Plasmagewehr, ein spektraler Streuer oder einer jener schweren Lähmer, die den Körper des Feindes mit polykristallinen Metalloxidschichten überzogen, bis er erstickte —, trug sie die Ware gelegentlich in Nester zur Zwischenlagerung, in Nischen großer Schluchten oder auf Felshalden, manchmal auch gleich zu den Siedlungen der Erzspinnen, Dunkelbären, Solitonisten und Herzhunde, zu den Grenzgebieten, wo die Nashornkühe in großen, unbeherrschbar gefährlichen Herden auf den Flitterfeldern weideten, und verkaufte denen, was sie bei sich trug.
So kam sie bald zu großem Rüstungsreichtum, nämlich bionischem und anderem Gerät, das ihre Überlebenschancen stetig verbesserte: Druckminderer und Ventile aus Erzspinnenfabrikation schützten ihre Muskeln und Gelenke, ihre Augen konnten, verbessert von den Solitonisten im Tausch gegen Schocker, bald ultraviolettes und infrarotes Licht sehen und waren schließlich mit raffinierter diffraktiver Optik, wie sie das dritte Auge der Herzhunde aufwies, beidseitig bestückt. Unter ihrem Kiefer saßen solitonische Nahkampf-Diodenlaser; ihre Flügelverankerung, mit der sie auf die Welt gekommen war, wurde nach und nach durch feinsteuerbare Kleinflansch-Bauteile ersetzt, und an den Hinterbeinen steckten bald zwei große Gasentladungslampen, mit denen sie, wenn sie aus der Luft auf Beute niederschoß, Feinde kurzblitzend blenden konnte, bevor sie die erstach oder aufschlitzte.
«Du kennst die Welt gut«, sagte eine ältere Echse, ein Weibchen, das sie beim Jungekriegen in einem ausgetrockneten Flußbett überrascht hatte. Dies war ein Fluch, kein Kompliment.
Die Jungen verschlang die kleine rote Echse, die Mutter schonte sie und erklärte ihr das mit den Worten:»Gegessen habe ich schon, was soll ich dich jetzt töten? Wir könnten uns wiederbegegnen, dann schließen wir vielleicht ein Bündnis auf Zeit, weil du dich erinnerst, daß ich dir nur so viel genommen habe, wie ich brauchte.«
«Du kennst sie gut, die Welt«, wiederholte die Besiegte,»du redest wie ein Herzhund.«
Das fade Monster, dachte die kleine rote Echse, sie kennt niemand klügeren als die Herzhunde; sie weiß nicht, daß es droben in den Burgen Roboter, Fische und andere Geschöpfe gibt, gegen die der klügste und erfahrenste Ingenieur der Hundewanderschulen bloß ein einfacher Echsenkrieger ist.
Die kleine rote Echse leckte sich das Kinn und sagte:»Ich kenn die Welt gut, das stimmt. Und ich weiß, daß es nicht nur diese eine gibt, darum sehe ich mich immer nach allen Seiten um, auch nach oben, daß nicht am Ende einmal eine runterfällt und ich davon erschlagen werde.«
«Du meinst die Begleiter, Phobos und Deimos?«
Es wurde finster, hinter den Schaumweiden fingen die Riesengrillen an, ihre grausigen Geräusche zu machen.
Die kleine rote Echse sog Nachtluft durch die Nasenlöcher in den klaren Kopf und erwiderte:»Das sind doch keine Welten. Zwei Brocken totes Gestein, sonst nichts.«
Das arme Luder zweifelte daran:»Kann man da nicht auch wohnen?«
Die kleine rote Echse spuckte aus und sagte:»Wieso sollte man das wollen? Deimos hat nur fünfzehn Kilometer Durchmesser, Phobos nur siebenundzwanzig, und sie bringen nicht mal genügend Schwerkraft auf, eine oder einen von uns bei sich zu behalten — selbst eine Nashornkuh wär dort nicht nennenswert schwer. Wenn sie in die Luft springen würde, könnte es Minuten dauern, bis sie wieder zurück auf den Felsboden schwebt.«
«Minuten«, sagte die andere, glotzäugig und verträumt. Sie schleppte sich, als sie keine Antwort mehr erhielt, in den Schatten eines gespaltenen Sprossenbaums aus drei Stämmen, um nicht, wenn die kleine rote Echse sie verließ, von jemand anderem gefunden und gefressen zu werden.
Die kleine rote Echse sprang in die Höhe wie von Stahlfedern abgeschossen, dann rannte sie davon und warf sich wieder ins Unaufhörliche.

Manchmal war sie seltsam fröhlich bei dem Gedanken, daß es dem Mars mit ihr und den besten Exemplaren der am experimentum crucis beteiligten Arten so ging wie umgekehrt ihr mit der Heimatwelt: Je mehr der Mars mitbekam von denen, die er auf sich leben ließ, desto genauer wußte er, wie es sich anfühlte, der Mars zu sein.
Eine Welt, benannt nach einem Kriegsgott, dem die Wölfe heilig gewesen waren — Wölfe wie mein Vater, dachte die kleine rote Echse stolz —, vernarbte Frucht, rot und orange, mit weißem Mützchen, weißen Söckchen, mit sprudelnden Quellen, aus dem Permafrost befreit, großen dunklen Meeren, auch mit Vulkanen, Schluchtenmustern, eingekerbt zwischen Kratern und lichten Ebenen, halb so groß wie die Herkunftswelt, doppelt so groß wie die erste Stufe der Gente-Auswanderung, Luna, der alte Mond.
Kaum Schwerkraft hier, nur 38 Prozent der altirdischen. Das Jahr frißt 687 altirdische Tage, der Tag ist ein winziges bißchen länger als die Tage auf der Herkunftswelt: 24 Stunden und 40 Minuten.
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