Das war die Erbschaft der Keramikaner, aus Geheimnissen entwickelt, die man denen gestohlen hatte. Seine Haut war bronzen, bis auf den in kleinen rautenförmigen Plättchen gepanzerten Rücken, die Oberarme und die Schädeldecke; die Haare auf dem Rücken kräuselten sich bunt und bildeten ineinandergestellte V-Muster; die Frisur auf dem Kopf leuchtete kupferfarben. Er mußte sie sich nicht stutzen lassen, sie wuchs nur bis zur Länge der spitzen Krallenzehen seiner gespaltenen Füße, dann nicht mehr. Manchmal, wenn er sich sehr auf eine Denkaufgabe konzentrierte, glommen die Spitzen der Haare wie glosende Kohlepunkte. Sein Gesicht war schön und schmal, die Nase fein, die Wangenknochen standen hoch, die Lippen waren voll, die Augen glänzten mandelförmig, weißgolden, mit schwarzen, katzenhaften Pupillen darin. Das, wie die Freunde mit Fell fanden, Putzigste an ihm, in diesen jungen Jahren, waren die langen, spitzen Ohren, in deren Muscheln sich ein feines Netzwerk von Blutgefäßen fand, wie bei manchen Schakalen und Luchsen auf der alten Welt.
Wenn Blut sehr rasch durch diese Gefäße floß, wurde Hitze abgegeben, und der Kopf konnte abkühlen. Das war wichtig, dort am warmen Stein,»in der heißen Höhe«, wie Feuer gern sagte, dem es da sehr gefiel. Die Ohren blieben lebenslang, wie sie waren, sie lagen später nur enger am Kopf. Seine Stimme aber veränderte sich, als er 45 Tage alt war. Davor klang sie weich, hoch und fragend, danach rauher, voller, tief.
Er lernte erst singen, als die Stimme sich verändert hatte.
Selten aß er Fleisch; Lebewesen, die keine Sprache hatten und die man deshalb essen durfte, waren rar auf dem Plateau, deshalb recht scheu, man mußte sehr geschickt sein, um sie erfolgreich zu jagen. Sie schmeckten ihm ohnehin nicht besonders. Nur weil die Freunde mit Fell ihn anhielten, ab und an Fleisch zu sich zu nehmen, der Proteine wegen, und weil die Jagd ihn auf seine» große Aufgabe «vorbereitete, ließ er sich überhaupt dazu überreden.
Diese Aufgabe, das Ungreifbarste, manchmal für ihn Aufwühlendste, dann wieder Gleichgültigste, was es in seinem Leben gab, hatte, soviel verrieten ihm die Freunde, etwas mit einer Reise zu tun, die er würde unternehmen müssen, mit einem sogenannten» Isottatempel«, den er würde suchen und finden müssen, denn dort sei» die schwache Hälfte vom Wetzelchen«, und» darauf, es zu gebrauchen, hat keiner hier ein Recht außer dir«.
Später fragte er sich: Wer hatte ihm das gesagt?
Die gläserne Amme, die Freunde mit Fell, die Salamander oder die Ameisen, die Stimmen in den langen Nächten, von denen er nicht wußte, ob sie zu seinem Kopf gehörten oder sein Kopf zu ihnen, oder keins von beidem, oder beides?
Lieber als jedes Fleisch, selbst das weiße, gekochte der Hühner, aß er Gemüse, Leuchtbohnen etwa oder schwarze Stabgurken, die zwischen den beiden großen Vulkanadern nördlich seiner Nichthöhle unter den Gräsern und Schachtelhalmen zu finden waren. Auch die Gräser selbst verschmähte er nicht, und wenn die Freunde gebacken hatten, streute er Minze und Süßholz auf die breiten, flachen Brote oder brockte sie in einen scharfen Brei mit Pilzen drin, den die Salamander aus der Amphibienkolonie am flachen See ihm zuzubereiten beigebracht hatten. Feuer lernte viel von allen, am meisten aber von den Freunden mit Fell, fast alles, was die wußten und konnten: daß man, wenn sich Farbtöne änderten, oft glaubte, es ändere sich die Lichtstärke, was gar nicht stimmte (das zeigten sie ihm an lichtbelebten Oberflächen, großen und kleinen); daß evolutionäre Veränderungen am Lebendigen nicht rückgängig gemacht werden können, auch wenn das manchmal so aussah; daß die Naturgeschichte mit dem Erscheinen der Sprache zu Ende gegangen war; daß man Muskeln, Drüsen, Atmung, Herzbewegung und neurale Reaktionen wie Musik in sich selbst arbeiten hören konnte, wenn man lebte wie Feuer und jede Sprache hatte.
Sie brachten ihm bei, was die Welt für ein Gestirn war, die er bewohnte: daß sie kleiner war und nicht so dicht wie die, von der das Leben kam und die man hier» die alte «nannte. Jene alte Welt kam Feuer staubig, unwirtlich, ja unbewohnbar vor, er rümpfte die Nase, als er erfuhr, daß sie ihren Bewohnern ein viel zu kurzes Tagesmaß und dafür ein gedehntes Jahresmaß aufgezwungen hatte. Woher hatten sie dort gewußt, wann es Zeit wofür war?
Vulkane, hier das Allergewöhnlichste, gab es dort auch, aber sie hatten eine viel kürzere Lebensdauer.»Das liegt an der Plattentektonik«, erklärte ein Freund mit Fell,»die Kruste dort ist zerbrochen, und die Teile verschieben sich gegeneinander. Da werden dann die heißen Punkte überdeckt.«
Woher, fragte sich Feuer, wußten sie dort dann, wo sie waren, wenn nichts je am selben Ort blieb, auch nicht der Ort als solcher?
Als die Freunde merkten, wie er über das dachte, ermahnten sie ihn, er solle» Respekt haben «vor der» Wiege des Lebens und der Sprache«, schließlich sei die Welt, die er selbst bewohne, erst seit jüngster Zeit bevölkert — dreitausend Tage habe es gedauert, bis die Technik der Gente (das Wort bezeichnete Geschöpfe, die es, wie die Menschen, nicht mehr gab, und war anscheinend Synonym eines drolligen andern Worts:»die Altvorderen«) mit den Widernissen der Weltbelebung fertig geworden sei,»und das, obwohl man parallel mehrere Strategien verfolgt hat«. Die flachen Meere und Seen, inzwischen wieder abgebaut oder in den Boden versickert, Heimat künstlicher blaugrüner Algen, hatten Kohlendioxid in Sauerstoff umgewandelt, während überschüssiger Druck von den Siebenzweiern und Siebendreiern aus der Atmosphäre abgelassen und ins All gepumpt worden war. Im dritten Arbeitsgang hatten dann sonnenkraftgetriebene Pendelfrachter Wasserstoff von einer Welt namens» Saturn «importiert. Diese Frachter waren mehrere Kilometer lang gewesen und pflegten viele Wochen lang im Tagestakt einer nach dem andern in die kochenden jungen Meere zu stürzen, wie Meteore.
Von all den folgenreichen Vorkommnissen gab es entweder keine Aufzeichnungen, oder man wollte sie Feuer, da er zu jung war, sie einzuordnen, nicht zumuten. Er träumte auch so davon, als wäre er dabeigewesen: Schau, der Einschlag, die riesigen Wellen, das Zischen, der Schaum, bedeck deine Ohren, schütz deine Augen.
Viele Stunden, ganze Tage verwandten die Freunde mit Fell darauf, Feuer mit der lokalen Geographie vertraut zu machen. Bald kam es ihm vor, als hätte er die Welt selbst geschaffen, so sehr spürte er unter seinen Füßen, in seinem Bauch, unter seinen Haarwurzeln die Hochländer, die vulkanischen Schrägen und Planitiae, die nach allen Seiten endlos weiten Täler, die hohen Regiones,»also das, was man auf der alten Welt Kontinente genannt hätte«: Isthar Regio im Norden, wo Feuer lebte, unweit der Maxwell Montes, und Aphrodite Regio am Äquator. Zwei kleine Terrae gab es, Töchter der Regiones:»beachte die Inselhochländer«, das eine kompakt, Lada Regio, das andere dreigeteilt in Beta, Phoebe und Themis.
«Man hätte sie besser Regan, Goneril und Kordelia genannt«, sagte eine der Freundinnen mit Fell.
Feuer verstand nicht, fragte nach, erhielt eine verwirrende Auskunft:»Ach, die alten Namen, weißt du, die langsam abgeschliffen werden, und teilweise sind neue im Gebrauch — das flache Wasser heißt anders als lange der Krater hieß, in das man es geschüttet hat, so ändert der Inhalt den Namen des Gefäßes. Es sind alles weibliche Namen, aus ganz alten Mythen, aus der Zeit noch vor den Gente, die man die Langeweile nennt: Viers-Akka etwa, so oder ähnlich hieß eine Fruchtbarkeitsgöttin in Lappland, und Vellamo, hier drüben auf der Karte, das war eine finnische Meerjungfrau, und das da, Xochiquetzal, so hieß die aztekische Göttin der Blumen.«
«Azte…«
«Stämme der Menschen, lange ausgestorben.«
So viel, für Feuer fast zu viel, wußten die Freunde mit Fell, und manchmal kostete es Feuer alle Beherrschung, zu der er fähig war, nicht entnervt nachzufragen, worin eigentlich der Nutzen solchen Wissens liegen sollte.
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