«Schht!«machte Anubis ziemlich hilflos,»streng dich nur nicht an. Es wird dir noch…«
Huan-Ti schaute so streng zum Frettchen, daß es verstummte.
Die Wölfin keuchte, röchelte und setzte dann neu an:»Ge… schichtslos. Geschichtslos, hat er gesagt. Ein trübes Volk. Selbst… selbst wenn wir recht hätten, fand Stepans Sohn… wäre das ein… Recht ohne Wert, ein… ein Urkommunismus für… Anspruchslose. Er wollte… sagte er… es nicht besser machen als die Menschen… ohne… es auch… besser zu wissen… ich glaube…«, sie spuckte Blutspray, Anubis wandte sein Gesicht ab.»Ich glaube nicht, daß er… da richtig… lag… und man das… trennen darf…«
Der Tiger stimmte zu, in sanftem Baßton:»Es ist viel schlimmer, wenn man's besser weiß, ohne es besser zu machen.«
Die Wölfin nickte, japste.»Ja, aber das… das wollte… ich gar nicht sagen. Es ist… nur… daß ich… seit ich die Keramikaner… gesehen habe… weiß… weiß ich… was er meinte… als er… sagte: Ein blindes Rudel… eine… blinde Rotte… es reicht mir… nicht… ein Teil davon… zu sein…«
«Aber die Wölfe sind keins. Nicht blind. Sie bieten ihren Leuten einfach eine Alternative zum Weg des Löwen«, sagte Hecate,»loyale Opposition.«
«Die Wölfe…«, sagte Britt,»sind keins… wir… sind… keins… aber… die Keramikaner… sagt ihm… er hatte recht… den… rohen… Urkommunismus… zu fürchten… und die Anspruchslosen…«
Hecate wollte der Wölfin das Versprechen geben, diese Worte auszurichten, den Bruder zu suchen, und setzte schon zum Reden an, da rang sich Britt mit letzter Kraft die Worte ab:»Sagt… ihm auch… daß wir ihn… nicht vergessen haben… und… ihn lieben und… und daß wir immer der… Meinung waren, daß nicht nur wir… das Recht hatten, unsere Freiheit… gegen… den Löwen zu behaupten… sondern auch… auch er das… das Recht hatte, sein… seine… gegen uns… seine Freiheit… gegen… unsere Freiheit…«
Wenige Atemzüge später schwieg die Wölfin.
Sie hatte zweihundertneunzig Jahre lang frei gelebt.
4. Abwerbung
Im Ballsaal hingen Lüster, im Empfangssaal brannte ein Kamin mit Flammen aus Eis darin; auf dem Zwischendeck standen gefrorene Skulpturen von Gente in allen Körperhaltungen. Es gab Wölfe, Löwen, Vögel… Dmitri Stepanowitsch brauchte Wochen, bis er das meiste gesehen und fürs erste genug hatte.
Kapitän Patel hielt sich meist abseits der täglichen Fahrtgeschäfte in ihrem weitläufigen Quartier auf.
Dort machte Opernmusik die Eiszapfen klirren;»ich komponiere selbst und lasse dann Maschinen spielen, was ich gedichtet habe«, verriet sie ihm beim Essen.
Die Pinguine waren immer emsig, hatten eigentlich nicht einmal Zeit, auf Dmitris seltene Fragen (»Die Metallrohre im Eis, durch die das heiße Zeug fließt, tauen die auch wirklich nichts von der Hülle weg?… Und das Temperaturgleichgewicht muß nicht künstlich gehalten werden?«) zu antworten.
Manchmal belauschte er sie, vor der Kombüse oder auf dem Korridor, wie sie in alten Dialekten aus der Zeit der Langeweile esoterische Fragen der Gentepolitik erörterten (früher, meinte er sich an Erzählungen im Rudel zu erinnern, hatten Matrosen geflucht und gesungen, nicht biophilosophiert):»Katahomenleandraleal, like the Lion, relies upon comparison and extrapolation from artificial to natural. The Lion moves from artifical to neonatural selection, Katahomenleandraleal from human to ceramical machines.«»Yeah, but you see, both rely on the central argument that a common mechanism works much more powerfully in nature.«»But wasn't the whole point of the liberation to end all forms of naturalization of social relations?«»Points like that, my friend, tend to get lost in the shuffle of any revolution.«
Der Wolf fühlte sich an das Gedibber der Kätzchen im Reich der Comtesse erinnert: Anagramme, und um Inhalt ging es gar nicht; entsprechend nahm er an, das, was hier beredet würde, sei vermutlich nur zu verstehen, wenn man die formalen, die sprachlichen und logischen Muster kannte, denen diese Gespräche folgten.
Nach drei Wochen gleichförmiger Reise bat die Eisbärin den Diplomaten per Pherinfonsignal in den großen Heizraum im Bug des Schiffes.
«Mich fragt ja keiner«, sagte sie vergrummelt, als sie das Schott aufdrehte und er neugierig, aber abwartend beobachtete, wie kristalline kleine Frostspitzen an ihren Zotteln gegeneinanderstießen.
«Ich, weißt du, bin keineswegs der Meinung, daß du bereit bist.«
«Wofür?«fragte der Wolf und folgte der Eisbärin in die Gluthitze.
Sie schüttelte sich. Die Spitzen fielen aus dem Pelz wie kleine Pfeile, auf den Boden. Schmolzen. Bildeten, zusammenlaufend, eine kleine Pfütze.
«Wofür?«wiederholte der Wolf, und Rolfa Patel erwiderte:»Riech an der Pfütze. Schau rein. Spiegle dich.«
Der Wolf wollte die Frage mit mehr Emphase wiederholen, sah aber an der krausgezognen Stirn der Bärin, daß das keinen Sinn hatte. Also tat er, wie sie ihn geheißen hatte.
Das Gesicht im Wasser war nicht seins, sondern das eines Fuchses.
«Angenehm, lieber Löwenbote.«

Der Wolf wußte nicht, wie er reagieren sollte, also deutete er vorsichtig eine Verbeugung an. Ryuneke lächelte.
«Oh, ich bin keineswegs der Meinung meiner verehrten Freundin«, die schlauen Äuglein blickten Richtung Rolfa Patel,»daß du, nur weil du so lange Löwenbote, na, Löwendiener warst, für das hier nicht bereit bist. Ich bin vielmehr der Meinung, daß es höchste Zeit ist. Wenn wir dich jetzt nicht auf unsere Seite ziehen, bist du für die Sache verloren.«
Die Sache. Unsere Seite. Dmitri hatte das Gefühl, ein schwerer Vorhang werde vor seinen Augen beiseite gezogen. Er mußte ans Geschnatter der Crew denken: Es hängt zusammen, alle sind eingeweiht, nur ich bin's noch nicht. Er leckte sich über die Lippen und sagte:»Was für eine Seite… und was für eine… Sache?«
«Ich glaube, es ist müßig, das abstrakt zu referieren. Du mußt es dir mit eigenen Augen ansehen, denke ich, und auch dafür ist es höchste Zeit.«
Die Eisbärin seufzte, sagte aber nichts.
Dmitri blieb mißtrauisch:»Und was… müßte ich tun, um mir… den eigenen Augenschein zu verschaffen, von… eurer Seite, eurer Sache?«
«Du solltest zur Raketenbasis reisen. Wo wir den Exodus vorbereiten, oder wie ich's lieber nenne: die zweite Befreiung.«
«Reisen. Noch weiter. Nimm's mir nicht übel, Fuchs, aber ich war gerade auf dem Heimweg.«
«Ach was, das Zuhause, zu dem du zurückkehren willst, gibt es längst nicht mehr. Geh von Bord.«
«Jetzt? Mitten im Meer?«
«Wir haben Fische, die dich führen werden. Und deine Kiemen…«
Der Wolf schüttelte sich, wie vorhin Rolfa, und murrte:»Ah, ich hätte gedacht, ich wäre das los.«
«Der Weg ist nicht weit. Die Basis findest du auf der Insel, die früher England geheißen hat.«
Der Wolf dachte nach. Ryuneke ließ ihm Zeit dazu.
Dann sagte Dmitri Stepanowitsch:»Nein, ich bleibe an Bord. Ich verrate euch niemandem — dich nicht, Rolfa Patel nicht«,»Vielen Dank«, brummte die Bärin, und Dmitri fuhr fort,»schon weil ich gar nicht so genau weiß, was ihr da Antileonisches ausheckt. Aber ins Wasser spring ich auf gar keinen Fall. Wieso sollte ich, für Gente, die ich gar nicht kenne und die mir nie etwas Gutes getan haben?«
Der Fuchs blinzelte.»Wie kommst du darauf, daß wir Leute sind, die du nicht kennst? Das wird unsere Anführerin gar nicht gerne hören.«
«Eure An…«
«Lasara. Sie sagt, ich solle dir sagen: Lynxchen wartet nicht gern.«
IX. DER UNTERGANG DER DREI STÄDTE
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