«Du bist so… das ist scheußlich selbstgefällig, Philomena.«
«…reguliert, wie soll ich's nennen… mittelbar… die Wahrscheinlichkeit der Öffnung oder Schließung mechanosensitiver Ionenkanäle in den jeweiligen Nasen. Oder Schnäbeln, wenn die Dummen Vögel sind. Auf diese Weise verhilft man den Verbesserungskandidaten zu biologischen Magnetometern, die ihnen günstigstenfalls in Zukunft das Sichzurechtfinden auf… unvertrautem… Gelände erleichtern und eventuellen Zeugen wie dir und mir den Anblick und Eindruck peinlicher Begebenheiten, die nach allen gültigen Gesetzen der Gesittung…«
«Du wirst dich nochmal beim Plappern in deinem Satzbau verirren und dir aus Versehen den Arsch abbeißen.«
«Ich habe keinen Arsch, mein Freund«, wisperte die Libelle.
Der Wolf glaubte dabei ihre haarfeine Zunge über seine Stirn streichen zu spüren wie einen Laserpunkt.
Dmitri Stepanowitsch, der sich nicht provozieren lassen wollte, bleckte die Zähne und spuckte aus Höflichkeit etwas nanotischen Speichel, der im Sand zu einer Handvoll stäubchenkleiner schlauer Spinnen wurde, die sofort zurückliefen auf den großen Platz. Sie waren dazu bestimmt, der Dachsin Georgescu, zum Dank für Gastfreundschaft und Amtshilfe, ein paar Tage lang das Fell zu säubern.
Der Wolf neigte das Haupt recht förmlich. Er nahm die zur Antwort erhobene rechte Tatze Georgescus kaum wahr, trottete lieber schweigend weiter. Im Marktgürtel angekommen, von Käufern und Händlern umwuselt, reckte er den Hals, nach den Raben zu schauen, die ihn aus der Heimat hierher geleitet hatten und ihn jetzt neu ausrichten sollten.
Magnetometer.
Verbesserungsbedürftige.
Früchte, Brot.
Den Wolf befiel ein ihm bis dahin unbekannter Zweifel.
5. Heiße Stufen
«Was zitterst du«, fragte, selbst von verhaltener Wut bebend, die Älteste der Vestalinnen auf der Treppe des Isottatempels eine jüngere Schwester.»Du wußtest doch, daß sie sich hier treffen würden und ihre Kriegsgeschäfte besprechen?«
«Das Blut… Ich mag's nicht, wenn man uns beim Vergießen zusieht«, erwiderte die andre. Sie hätte sich gewünscht, daß man das anders machte — bei Nacht, im Fackellicht, so heimlich und heilig, wie die Malerei an vielen der Fassaden entstanden war, die noch aus der Zeit unmittelbar nach der Befreiung stammte: das allgegenwärtige Bild der gefiederten Schlange, meist in Vinyltinte, die Tierwappen in geometrischen Formen, die Sterne und Zeichen.
«Lange wird von uns nicht mehr erwartet werden, daß wir das Blut ausgießen«, tröstete die Erfahrene das unzufriedene Mädchen.»Das Wetzelchen wird bald verkündet werden.«
Dann deutete sie mit zweien der sieben Finger ihrer Rechten auf die verbrannte Stadt rings und auf die Monumente. Mit ihren scharfen Habichtsaugen erkannten beide, daß in den Fenstern der Kaufhausruinen und des Telekomhochhauses neue Gräser wuchsen, Veilchen blühten. Das Versprechen des Löwen war keine Floskel gewesen: Wir werden Gärten gründen.
«Zurück, Kinder. Zur Reinigung, zur Vorbereitung«, mahnte aus dem Tempelinnern ein bläulicher Schatten.
Die Habichtsmädchen gehorchten; sie gingen in die Hocke und beugten die Oberkörper zu den Treppenstufen, um nach den Resten der letzten Wimmelgreuel zu picken, die den Zugang zum Tempel entweihten. Einsammeln, knacken, ausspucken: Selbst das Blut der Heiligen hatte diese winzigsten Splitter der letzten Auseinandersetzung um den Stadtbesitz nicht von den Stufen waschen können.
Manchmal halfen nur Schnäbel.
6. Gutes und Schönes
Auf der Landstraße, die nach den vierzehn Vorstädten von Kapseits durchs sonst feuchte, in diesem satten Sommer aber ausgetrocknete Umland ins Weite führten, lagen, als wären sie Holzscheite, in großen Stapeln tote Abgetane.
Pferdedamen aus der feinen Gesellschaft der Schlafstadt pißten, wenn sie hier Rast hielten, mit Vorliebe auf diese schauerlichen Reste und hörten dabei in den Raschelbewegungen der dichtbelaubten Äste ausgewachsener Fahlbäume das primitive Pherinfonradio der Menschen vor den vielen Kleinigkeiten warnen, die jenen Unglücklichen ihr Ende bereitet hatten:»Achtung, das Wasser ist zu meiden. Es wurde kompromittiert und kontaminiert. Zur Arbeit für den Feind gezwungen! Achtung, das Wasser ist zu meiden! Wer Perrhobakter darin findet, soll sich nicht vor Dämonen fürchten, sondern die Probe an die Auswertung bei der Abwehr weitergeben! Achtung, das Wasser ist zu meiden!«
«Die reden«, entrüsteten sich die vornehmen Rösser,»mit ihren Leuten, als wollten sie den Trennungsstrich nicht ziehen zwischen wissenschaftlicher Gefahrenabschätzung und abergläubischer Angst.«»Die können«, gaben ihnen ihre Leitraben recht,»gar nicht genug betonen, daß es mit den Perrhobakterplagen eine ganz diesseitige Bewandtnis hat, daß das unsere Waffen sind.«
«Achtung«, imitierten die Stuten aus Kapseits dann manchmal leise wiehernd das Gezeter (und zugleich die Sprache des Amtes für gentile Wehrwissenschaften unter Izquierda, um auch dem Löwen und seiner Regierung etwas Spott anzutun),»das Wasser ist zu meiden, aber pfffrhh das Bewußtsein davon ist auch immer wachzuhalten, daß, wenn der pfrrhhhh einzelne Perrhobakter, ein Ergebnis von Evolution aus ganz und gar physikalischen Voraussetzungen genannt zu werden verdient — und jede gegenteilige Annahme oder Behauptung, whrhpffrr, stellt eine grobe Verletzung des Evolutionsprinzips an sich dar — , wir auch sagen dürfen, Löwe hin, Löwe pfrrrh her, daß es sich bei so einem Perrhobakter letztlich um etwas durch sich selbst Erschaffenes und Erhaltenes handelt, das pffrrhh sich innerhalb der Grenzen des Erwartbaren bewegt und aufführt, mithin um ein Wesen, das nicht autonomer ist als, zum Beispiel, ein Kristall. Achtung, das Wasser ist zu meiden, rrrrha, während man den Merksatz aufsagt, daß eine recht alltägliche Sorte Selbstbestimmung im Werden des Kristalls allzeit pfrrhhaa so unmittelbar gegeben ist wie im Werden des Perrhobakters.«
Die Pferdedamen prusteten vor Abscheu, teils auch aus Mitleid.
Sie waren nicht so herzlos, wie sie schienen. Was sie den Menschen zugedacht hatten, wäre ihnen für Gente als eine unbegreifliche Grausamkeit erschienen. Anderen Untertanen des Löwen die Hilfe zu verweigern fiel ihnen nicht ein.
Oft trugen sie vielmehr kompakte, auf ganz bestimmte Gente zugeschnittene Cytokincocktails über Land, ihnen anvertraut von Ärmeren, die sich die Verschlüsselung guter Gaben für Verwandte in Pherinfonsequenzen nicht leisten konnten. Aus diesem karitativen Postwesen hatten die Einfallsreicheren unter den Pferden inzwischen sogar etwas wie eine neue Kunstgattung gemacht, die sie in ihren eigenen Foren den» Tanz der lokativen Barmherzigkeit «nannten.
Von Dachspatrouillen dafür oft zurechtgewiesen (»Wie sollen wir das verzollen, als Geschenke, Kunstwerke, Kommunikationsmittel?«), sagten sie:»Warum nicht Gutes tun und zugleich Schönes?«
Das war ein Zitat des Löwen und damit unangreifbar.
7. Ob man die Frauen schützen sollte
Post aus guten Wünschen statt aus Waren: Die Dachse kennzeichneten alles, man wußte bei jeder Fracht, woran man war. Personae dazu, amtlich bestätigte Absender und Empfänger, gab's für alle gratis — der Name» Pferd «zum Beispiel bezeichnete natürlich nicht dieselbe Sorte Wesen wie vor der Befreiung, sondern der neue Pferdekopf wies so gut wie jedes andere Haupt jedes anderen Geschöpfs, das Sprache hatte, Hominidenzüge auf.
Hinter allen Gentestirnen blühte Bewußtsein aus demselben ersten Funken, den der Löwe den Gente eingehaucht hatte. So war ein Muster aus glühfädchenziehenden Markern auf den Karten der Taxa entstanden.
Die Unterscheidungen zwischen den echten Spezies aber waren, da jedes Geschöpf nur mehr nach seiner je eigensten Art schlug und nahezu alle mit allen andern Nachkommen zeugen konnten, ebenso sinnlos geworden wie die Unterscheidungen zwischen den Menschenrassen von dem Augenblick an gewesen waren, da der homo sapiens sich die Natur erstmals so weit dienstbar gemacht hatte, daß nun auch seine Gesellschaft nach vernünftigem Plan hätte eingerichtet werden müssen. Nach der Befreiung und der darauf folgenden größten Explosion im terrestrischen genetischen Gesamtmaterial seit dem Kambrium verstand man Post zwischen den Artenadressen, grobmaterielle wie pherinfonische, ähnlich wie Reisen, als ein Mittel, überall Verbindungen umzubauen. Die wichtigste Sorte Post waren selbstverständlich die Nachrichten von den großen geschichtlichen Umwälzungen selbst.
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