«Kannst du auch.«
«Vom Preis ist, leider, nicht die Rede, hm?«
«Preis?«
«Den ich bezahlen müßte, wenn ich mich entfernen würde, und der mich hier festgehalten hat, lang über den Moment hinaus, an dem ich's satt hatte. Den ich nicht zahlen kann, weswegen ich nicht weniger festsitze als… alle hier.«
«Das redest du dir ein«, der Baum bog sich.»Wir sind einander vielleicht nicht halb so ähnlich, wie ich gedacht habe. Du machst dir noch viel vor, um dich zu ertragen, deine Verantwortung für das alles hier.«
«Pff«, machte Frau Späth, löste ihre Glieder aus dem meditativen Knoten, stand auf und wandte sich zum Gehen.
«Halt, nein, warte, laß uns nicht… es tut mir leid. Ich habe mich in etwas eingemischt, das mich nichts angeht.«
«Ganz recht. «Frau Späth zögerte.
«Meine Bitte: Schneid einen Zweig ab, wenn es soweit ist, eine Knospe. Behalt einen Anker, daß ich nicht aus der Welt gerissen werde. Nimm mich mit, wenn sie dich gehen läßt.«
«Gehen? Wohin?«
«Meine Tochter baut eine Arche. Sie weiß, daß die Gente keine Wahl haben als nur die eine: Katahomenleandraleal und den Keramikanern die Erde zu überlassen. Sie paßt hierher, die neue Göttin. Sie braucht nicht mehr als das Irdische, ihr Wachstum wird geregelt sein, in den natürlichen Kreis eingetragen. Aber diesen Kreis müssen… wir… Älteren… dafür räumen, wenn wir weiterleben wollen. Sogar Ryuneke sieht's ein. Wir haben uns unterhalten. Mit Mühen. Flüstern. Verzögerungen.«
«Und du glaubst, daß ich diese Arche betreten werde? Daß ich mitfahren will?«
«Du wärst längst freiwillig in Katahomenleandraleal aufgegangen, wenn du nicht sehr daran hängen würdest, du zu sein.«
«Vielleicht. Andererseits: Was, wenn ich nur was mit mir auszumachen hatte, bis jetzt noch? Vielleicht muß ich mit mir ins reine kommen, mit dem, was von mir stammt, meinen Töchtern und Söhnen, und dann…«
«Auch das geht mich nichts an. Aber da du selbst davon sprichst: Wir wollen doch mit denen einig sein, die wir zeugen. So ich mit meiner Tochter, so du mit… Geh, darum bitte ich dich, nicht allein zu Lasara, wenn du zu ihr gehst. Nimm mich mit, dann kann ich hier… ohne Furcht… absterben. In den Boden eintauchen, mich in Nichts zurückbilden.«
Frau Späth dachte eine Weile darüber nach.
Dann sagte sie, nicht unfreundlich:»Na gut. Wenn… nein: falls ich gehe. Dann nehme ich dich mit.«
«Ich danke dir.«
2. Abwehren statt Reizen
«Der Gürtel gleicht, abgesehen davon, daß er uns einschnürt, seit sie von Nordafrika aufs alteuropäische Festland übergesprungen sind, durchaus im großen den Gürteln, die wir, wenn auch viel kleiner, um die drei Städte gezogen haben, damit dort…«Die Fledermaus klang verschnupft.
Georgescu gähnte, als hätte sie eine Maulsperre.
Der Löwe, der als holographische Projektion dieser Notsitzung des Kabinetts sehr würdig präsidierte, übersah die kleinen Unehrerbietigkeiten: Daß der Affe Stanz sich von seiner Assistentin lausen ließ, daß der Atlantiker Ropicc in seinem Tank mit offenen Augen zu schlafen schien, daß die Insekten durcheinanderschwirrten, statt Formation zu halten.
«Landers«, nahm Georgescu scheinbar träge, aber mit genau berechneten Pausen Izquierdas Faden auf,»werden sie zuerst erreichen. Und wenn sie sich verhalten wie auf dem wilden Kontinent — ich mag die alten Namen nicht, anders als unsere Freundin hier, ihr wißt es, aber für sie will ich es klar sagen: falls sie sich aufführen wie in… Afrika, dann werden sie alle Gente, die versuchen, die Stadt gegen die Linien zu verlassen, mit Feuer und biotischer Kriegsführung zurückschlagen, gleich, ob es sich um einen Ausfall handelt oder um nackte Panik. Kleinere, nicht gesperrte Lücken, die ein Herausströmen der Gente ins Landesinnere ermöglichen, werden dagegen nach allem, was wir gesehen haben, stets geduldet.«
«Weil die Flüchtlingsströme unsere Ökotektur durcheinanderbringen«, stellte der Löwe nüchtern fest,»und uns damit zermürben. Landers platzt aus den Nähten. Auch Borbruck kann keine Gente mehr aufnehmen.«
«Aufnehmen«, sagte Izquierda und kreuzte lustig die Ohren überm Kopf, wobei sie die Stirn in Falten legte,»das ist das Stichwort — sie haben, wenn unsere Wärmetasteraufnahmen denn korrekt anzeigen, was vor sich geht, jetzt genug Biomasse absorbiert: Sie töten nur noch, nehmen nicht mehr auf, bauen nicht mehr um. Große stinkende Haufen bleiben übrig; die Vergewaltigungsphase ist vorbei — auch in Nordamerika übrigens.«
Der Löwe ging kalt darüber hinweg:»Die politische Lage bei uns — Georgescu?«
Die Dachsin zeigte ihr schiefstes Grienen, dann sagte sie:»Ich hätte ein Walhai werden sollen, ganz und gar, nicht nur partiell, nicht als Setzling, sondern, na — ich hätte davonfliegen sollen. Mit einem Wort: Um uns herrscht das Chaos. Die Polyarchen sind noch die Loyalsten, ich hätte nie gedacht, daß ich so etwas Perverses mal äußern würde. Die Isottatempelleute warten aufs Wetzelchen ex machina oder was immer, sind in Klausur. Alles, was sonst überhaupt ein Programm hat, eine Plattform, einen politischen Willen, schwächt im Augenblick unsere Wehrbereitschaft. Die größte Fraktion, Sie werden's nicht gern hören«, das Kopfnicken in Richtung König war ganz lustlos,»sind die neuen Lasaristen. Sie agitieren für den Exodus. An zweiter Stelle schon die Ivanov-Leute…«
«Der abtrünnige Dachs«, knurrte Cyrus Golden.
Georgescu ließ ein verächtliches Atementweichen hören:»Phh… ja, seine Bande. Er war immer ein Arschloch, was soll's? Jedenfalls macht er den Gente seinen Wahnsinn schmackhaft: Übergabe auf Gnade und Ungnade, oder, bei den Gemäßigten: Wir sollen wenigstens Boten schicken, Parlamentäre, um die Chancen für einen Verhandlungsfrieden zu ventilieren, oder…«
Es war nicht der Löwe, der die Abwehrchefin unterbrach, obwohl er solche Reden haßte.
Es war ein Aufschrei der Fledermaus; der letzte, den man von ihr zu hören bekam.
Wo sie saß, schlug etwas, das wie schlechtgewordenes Licht aussah, einen verwischten Bogen in die Luft, der selbst denjenigen einen stechenden Kopfschmerz verursachte, die ihn nur aus den Augenwinkeln sahen.
Dann war Izquierda weg; vom Kabinettstisch fortgestohlen, der mitten im bestbewachten Gebäude der sichersten Stadt im Tierreich stand.
Die Keramikaner hatten gezeigt, woher sie kamen: aus dem Nichts, und wie sie sich Geltung verschafften: unaufhaltsam, unbegreiflich, augenblicklich.
Der König war der erste im Raum, der sich wieder in der Gewalt hatte.
Die Frage, die er stellte, klang recht ruhig:»Wo steckt eigentlich Philomena?«
3. Nicht zu retten
«Steh auf! Steh auf! Steh auf, du Vollidiot! Steh auf!«
Anubis wußte gleich, daß das Menschen waren, die da schrien. So rauhhalsig, kaum artikuliert, am Rand des naturhaft hirnlosen Gurgelns, machten weder Gente noch sprachlose Tiere auf sich aufmerksam.
Der Marder duckte sich dicht auf den Boden; die Lärmenden hatten ihn bei Peinlichem gestört, beim Nestbau.
Er hatte sich von den Freunden entfernt, nachdem beschlossen worden war, daß man im Außenbezirk eines ausgedehnten Waldes ein paar Tage rasten wollte, etwas jagen, die Verbindungen zu den drei Städten ruhen lassen und das weitere Vorgehen besprechen. Querab von der Front, die das Vorandrängen der Keramikaner schuf, hatte die Helden ihre Bahn geführt, so daß sie täglich mehr Abstand zwischen sich und das Wüten der Unverständlichen brachten, ohne doch direkt orthogonal zur vordersten Reihe der Horde vor dieser davonzulaufen.»Wir wollen sie«, hatte Hecate erklärt,»so lange wie möglich im Auge behalten, in Hörweite ihrer größeren Feuerstöße und Freßorgien, damit wir Aufzeichnungen machen können. Vielleicht kann's Georgescu nützen.«
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