Die Bilder kamen in ein Lagerhaus unterhalb der westlichen Stützstreben des Benzolrings, eine feste Adresse hatte Dmitri schließlich nirgends auf der Welt.
Das Lynxchen: Jetzt, da er wußte, daß es einmal ein Löwenjunges gewesen war, fand er's vor allem vorlaut und verzogen. Es war alles da, was ihm die bessere Gesellschaft der drei Städte schon immer widerlich gemacht hatte — die witzig gemeinten kleinen Phrasen:»und übrigenstens«,»hol's der Dachs«, die fehlerhaften Redewendungen (»in drei Gottes Namen«, sie glaubte wohl wirklich, daß das so hieß; sehr oft kollidierten Wendungen aus der Langeweile bei ihr zu Malapropismen), auch die blöde Manier des Dauerwiderspruchs: Kein Gespräch, dachte Dmitri entnervt, darf bei diesen Gente der besseren Herkunft je klären, was man voneinander will, keins darf Einigkeit herstellen wollen, um zum Handeln überzuleiten, jedes muß in der unernst indirekten, passiv aggressiven Kritik von etwas nicht einmal Ausgesprochenem, in der immer neuern Erwiderung auf eine Erwiderung sich erschöpfen, ein Zeugnis der Emanzipation von allen irgend nachvollziehbaren Absichten.
«Nein, weißt du, Schatz, ich finde…«, das war hundertmal mehr von oben herab gesagt, als wenn der Löwe ihn» Wölfchen «nannte. Schlechter Tanz: Zwei führen, niemand folgt, indem eins dem andern sofort, wenn dieses einen Schritt gemacht hat, auf die Pfoten tappt.
Dmitri sah dem Affen zu, wie der eine Kohlezeichnung fertigte: Erst wurden die schweren Massen per Schatten erschaffen. Dann entstand Schicht um Schicht, per weißer Höhung, die Genauigkeit und Präsenz eines Leibs. So, wie der arbeitet, dachte der Wolf, müßte man leben.
Er machte sich bereit zum Aufbruch; Dmitri war jetzt dankbar für die Mission.
«Also es dient dir als Vermögensspeicher«, spöttelte Clea Dora, die enttarnte Lasara.»Das Affengeschmier da.«
«So was brauchst du nicht, ich weiß. Dein Reichtum ist, daß du geboren wurdest.«
«Werd nicht so«, zog sie ihn auf, fast vorsichtig jetzt.
Diese Vorsicht kam zu spät.
Er wandte sich ab, sah aus dem Fenster ins Weite, wo es Arbeit für ihn gab.
Der Affe fuhr fort mit dem Malen, als wären sein Sammler und dessen vornehme Freundin gar nicht bei ihm.

Dann wieder wußte sie so vieles, was Dmitri auch wissen wollte, daß er einfach nicht von ihr lassen konnte — aus der Geschichte und der Vorgeschichte vor allem, aus der Langeweile. Die letzte Schlacht etwa, in der die Menschen noch organisierten Widerstand geleistet hatten, konnte sie beschreiben, als ob sie dabei gewesen wäre — die steinernen Riesen, als welche die Menschen, gerüstet mit großen grauen Körperpanzern (»das Modell hieß ›Mann og kvinne‹, es hätte sie sogar auf dem Ground Zero einer Nuklearexplosion geschützt«), in einer Gegend namens» Vigeland «herumgestampft waren, Dachse getötet hatten und Festungen errichtet, schilderte sie so lebhaft, daß er sie beinah sehen konnte, daß er den Geruch von Öl und Feuer wahrnahm, den ganzen volatilen Gemischdampf, den der Boden von Vigeland ausgedünstet hatte, bevor die Perrhobakter aus Izquierdas Laboratorien jene schweren Rüstungen dann geknackt hatten.
Sehr mochte er auch die Literatur, die sie ihm rezitierte, die er in ihren Blicken aus ihrem Kopf herauslesen durfte,»lectorem delectando pariterque monendo«, Dichtungen der Überwundenen,»therfore do you my rimes keep better measure, And seeke to please, that now is counted wisemens threasure«, und wie sie ihm vorsang vom Rosenroman, von Ferrante Pallavicino, von Ezra Pound, von Guido Cavalcanti, von Liane de Pougy, von Jiji Zhenjing, von» the secret transmissions state that by using one human being to supplement another, one naturally obtains the true essence«, von Al-Tifashi, von Zoé Valdés, von Ernest Dowson, Maxime Du Camp, Rainer Maria Gerhardt, den kleinen Mädchen des Herrn Vladimir Nabokov und den großen Mädchen des Herrn Henry Miller, von den Mores schließlich, aus denen das alles gewachsen war:»Wie, sexuelle Orientierung? Also ehm das hieße ja praktisch«, Dmitri kratzte sich am Kopf, mit allen Krallen seiner Rechten,»eine Münze werfen und ab da nur noch mit denen, die wie man selber sind oder gerade anders oder wie?«
«Naaa«, sagte Lasara gedehnt und streckte sich, daß er gleich wieder ihre Streckbank sein wollte,»es ging ihnen eben nichts über die primären Geschlechtsmerkmale als Orientierungshilfen in Sachen: Wer bin ich.«
«Also Schwanz und Muschi — das war's dann schon? Das verstanden die unter Sex? Sag mal, haben die einander denn nicht geküßt?«
5. Freunde
Was den Ruhm der drei Helden in Wahrheit begründete, waren nicht ihre Taten, nicht die Berichte von ihren Fahrten und den Wundern, die sie sahen. Man liebte sie, weil sie zusammenhielten. Daß sie eine Einheit von Mut und Witz bildeten, daß sie alleine gar nicht denkbar waren, das machte die Legende aus.
Hecate, Huan-Ti und Anubis: Wer einen dieser Namen nannte, mußte die andern nennen.
Es paßte, weil sie einander ergänzten: Hecate war eine starke Tinkerstute mit gelber Mähne, geschecktem Leib und festen Füßen, Huan-Ti ein weißer Tiger mit furchtbarem Brüllen sowie einer Vorliebe für lange Nächte und träge Tage, Anubis ein Frettchen aus dem Süden, das grobe Lieder wußte, schlechte Scherze und beste Auswege aus beinah jeder Lage. Sie hatten sich in Kapseits kennengelernt, wo Huan-Ti es als Veranstalter exklusiver Sportspiele und Organisatorin von Wetten zu Vermögen gebracht hatte.
Das war während der schweren Jahre der frühen Kriegsvorbereitungen gewesen, während der Pherinfonsperre und des Transkontinentalembargos für Pflanzen wie für alles andere Lebendige, das keine Sprache hatte. Diese Anordnungen sollten das Einsickern von Spionen Katahomenleandraleals verhindern; Wirtschaft, Politik und Kultur in den drei Städten wurden dadurch sehr verändert.
Damals waren die drei Helden bis in die frühen Morgenstunden zusammen um die Häuser gezogen und hatten so viel lustigen Krawall gemacht wie überhaupt möglich. Bei der Gelegenheit hatte sie schließlich ein Nektarvogel, der für Ryunekes weitverzweigte Weltpherinfonnachrichten- und Unterhaltungsgruppe arbeitete, als proaktive Reporter verpflichtet. Die unmöglichen Situationen, in die sich die drei brachten, kamen auch Ryuneke selbst bald quirlig genug vor, um damit alle Gente zu zerstreuen.
In Borbruck, Landers, Kapseits wuchs mit jedem neuen Streich der Helden ihre Gefolgschaft: Besäufnisse, Sexualausschweifungen, Schlägereien, sogar ein paar unfreundliche Begegnungen mit der Dachsenwacht gehörten dazu.
Endlich, als, wie Anubis sagte,»die Stadt komplett verkommen und vom alten Glanz kein Fetzchen mehr übrig «war, hatte Hecate vorgeschlagen, man könne sich doch zwecks Verjüngung, Weitung der Perspektive und gepflegter Zeittotschlägerei auf eine gemeinsame Weltreise begeben.
«Tja, was heißt Welt — ein bißchen übern Rand des zivilisierten Tierreichs raus, dahin, wo nicht nur Gente leben, sondern auch das Volk haust, das keine Sprache hat.«
Ryunekes Nachrichten- und Unterhaltungsgruppe erklärte sich bereit, das Unternehmen mit baren und logistischen Mitteln zu unterstützen:»Wir können alle ein bißchen Abwechslung gebrauchen, knapp, wie die Annehmlichkeiten geworden sind«, ließ der Fuchs verlauten. Er spielte auf die Wirtschaftslage an; die Energieguthaben, die Umleitung von Ressourcen in immer neue Fonds für das, was Izquierda und ihr rasch weiter anwachsender Stab (von 30000 Gente war zuletzt die Rede) im Präferenzgebirge trieben.
Hecate, Huan-Ti und Anubis brachen auf; suchten und fanden Abenteuer, von denen Lieder, Filme und die bildende Kunst der Gente noch lange berichten sollten.
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