«Ich habe einen, ja.«
«Und wie sind Sie zu dem gekommen?«
Ich möchte aufspringen und hinauslaufen. In diesem Moment ertönt neben mir ein lautes, nervöses Piepen, tiet-tiet-tiet, tiet-tiet-tiet, tiet-tiet-tiet. Es ist das Handy der Kundin zwei Stühle weiter. Offenbar weil in meinem Kopf durch das Gespräch mit Frau Sophies Mann einiges durcheinandergeraten ist, möchte ich einen Witz dazu machen, ich sage:
«Na, wessen Herzschrittmacher schlägt denn da Alarm, hehe?«
«Ähähähä«, lacht Frau Sophie verlegen.
Ich schaue hinüber und sehe zum ersten Mal die Kundin, bei der es gebimmelt hat: Sie ist ungefähr neunzig Jahre alt. Ich merke, daß ich rot werde, sogar die Ohren werden rot. Wieso? Wieso passiert so etwas immer mir?
«Wann haben Sie denn da angefangen?«will Frau Sophies Mann wissen.
«Früh«, sage ich.
«Und haben gleich Erfolg gehabt?«
«Hm, hm.«
Wieder versinkt er in Schweigen und starrt mich an. Ihm geht allerhand durch den Kopf, das sehe ich ihm an. Ich sehe sogar, was: Das abenteuerliche Leben des Herrn Edwin — Schriftsteller — Ghostwriter — halbe-halbe .
«Kannst du dich noch erinnern, wie die Dings da war, die Den…«
«Ja, Catherine Deneuve hat mal in Wien einen Film gedreht«, sagt Frau Sophie,»und ich war ihre persönliche Friseurin. Aber glauben Sie, sie hätte ein gemeinsames Foto machen lassen? Nicht jetzt, hat sie immer gesagt. Aber ich habe meinen Salon für sie zusperren müssen, damit die gewöhnlichen Kunden sie nicht stören. Und dann gibt es kein Foto.«
Die alte Frau und die wartende Kundin mischen sich ins Gespräch. Es wird über Catherine Deneuves Verhalten diskutiert. Frau Sophie erzählt weitere Details von ihrer Arbeit mit der berühmten Schauspielerin. Alle verurteilen den französischen Star, der sich beschwert hat, Frau Sophie hätte nicht einmal etwas dabei, um einen abgebrochenen Fingernagel sofort zu reparieren. Aber eine tolle Frau, sagt Frau Sophie. Die Unterhaltung, die schon beendet schien, entzündet sich von neuem, es wird über Samantha Fox gesprochen. Diese interessiert Frau Sophies Mann offenkundig nicht so sehr, und er will lieber von mir wissen:
«Wie heißen Sie denn eigentlich?«
«Glanz«, sage ich. Ich melde mich auch am Telefon gern mit» Glanz«, denn da kann ich später immer noch behaupten, ich sei falsch verstanden worden, ich hätte ja Glavinic gesagt.
«Und wie heißt Ihr letztes Buch?«
Ich stottere herum. Ich habe das Gefühl, den Titel eines meiner Bücher hier auszusprechen wäre Verrat, er würde schal klingen, bestenfalls, und im schlechtesten Fall würde mich ein Blitz treffen. Endlich fällt mir ein Ausweg ein:
«Ach was, ich bringe Ihnen einfach mal eines mit.«
«Ja! Das wäre schön! Ja! Eines! Mit!«
Frau Sophie ist mit mir fertig. Ich springe auf, fahre in meine Jacke, zahle.
«Es wäre aber wirklich nett, wenn Sie uns einmal ein Buch borgen könnten«, sagt Frau Sophie.
«Nein, das kriegen Sie geschenkt«, sage ich und schiele zur Tür.
«Aber, das ist doch nicht nötig, wir geben es Ihnen natürlich zurück.«
Vor der Tür sehe ich, ich habe einen Anruf auf meinem Mobiltelefon versäumt. Karen Kablier. Ob man Telefonnummern ebenso wie Emailadressen blockieren kann? Ich glaube schon. Ich hoffe es.
Bis zum Zahnarzt sind noch zwei Stunden Zeit. Zu Hause schreibe ich einen Artikel fertig, den ich dem Mitarbeiter der Wiener Village Voice für sein Blatt versprochen habe. Christoph Singer, der Chefredakteur eines Lifestylemagazins aus einem westlichen Bundesland, ruft an, er ist gerade in Wien, und zwar mit einem Fotografen. Da sein Magazin ja oft etwas über mich bringt, aber keine guten Fotos hat, wäre es toll, wenn… und unbedingt muß es der Naschmarkt sein, Naschmarktfotos sind wundervoll, haben Flair usw. Ich sage, ich komme vorbei. Gleich darauf bereue ich es.
Ich treffe die beiden an der Ecke zur Schleifmühlgasse. Wir begrüßen uns. Die beiden wirken betrunken, dabei weiß ich mit Sicherheit, daß zumindest Christoph nicht trinkt. Ich kenne ihn schon sehr lange, ich kann ihn gut leiden. Ich weiß aber auch, daß er ein Landei ist und Wien ihm angst macht. Wie er das zu überspielen versucht, habe ich schon mehrmals erlebt, und er fängt auch gleich wieder damit an.
«Schleifmühlgasse, da waren wir gerade was essen, die Gasse haben wir umgetauft auf Schwanzlutschgasse, höhö. Klingt gut, nicht? Das wäre eine Schlagzeile: Haben in Wien in der Schwanzlutschgasse gegessen, höhöhöhö.«
Ich sage, ich muß zum Zahnarzt und habe wenig Zeit.
«Mußt du ins Puff? Höhö!«
Der Fotograf sagt keinen Ton, findet aber alle Witze von Christoph lustig. Er knipst drauflos. Im Hintergrund Obst- und Gemüsestände, stehe ich da und schaue knapp an der Kamera vorbei. Und die ganze Zeit über denke ich: Warum? Warum mache ich das?
«Ein schöner Scheißdreck, dieses Wetter«, unterhält mich Christoph, während der Fotoapparat klickt.»Da können einem die Eier abfrieren. Das wäre eine Schlagzeile: Haben uns in Wien die Eier abgefroren, höhöhö.«
«Herr Glawatschnig bitte!«
Auf dem Behandlungsstuhl habe ich Zeit, ein wenig nervös zu werden. Ich bin zwar nur wegen der Brücke da, aber man weiß nie. Dr. Paulesker ist nämlich nicht» mein «Zahnarzt, der heißt Dr. Pregel und ordiniert in Graz. Ihn verehre ich, ihm vertraue ich, bei ihm bin ich seit fünfzehn Jahren, zu ihm fahre ich alle sechs Monate zur Kontrolle. Aber wegen einer zu lockeren Brücke kann man schon mal in Wien zum Zahnarzt gehen.
Es gibt Herrn Dr. Paulesker und Frau Dr. Paulesker. Die beiden teilen sich eine Praxis. Ich bin gespannt, wer mich übernimmt, ich habe keinerlei Präferenzen angegeben. Während ich warte, kommt mir in den Sinn, das könnte ein Fehler gewesen sein. Dr. Pregel ausgenommen, sind alle meine Ärzte Frauen, sogar mein Urologe. Ich habe zu Frauen mehr Vertrauen. Außerdem sind sie weniger brutal, was speziell beim Urologen ein Vorteil ist. 1
Herr Dr. Paulesker ist groß und hat ein gewinnendes Lächeln. Ich schildere mein Problem. Er sieht sich die Brücke an, dann schaut er in meinen Mund. Das ist der Moment, in dem ich wirklich nervös werde. Ich bin zwar sicher, daß alles in Ordnung ist, aber…
«Da ist etwas nicht in Ordnung«, sagt Dr. Paulesker.»Eine Füllung hat sich verabschiedet, und deshalb hat die Brücke weniger Halt. Kleinigkeit.«
Er greift zu den Bohrern. Ich quieke auf.
«Anästhesie!«
«Dafür? Also bitte. «Er lacht.
«Ich meine es ernst. Ich will eine örtliche Betäubung. Ist besser für die Nerven, Sie verstehen. Bin von Geburt an Hysteriker.«
Ich versuche, ihm ironisch zuzuzwinkern, aber das geht nach hinten los, er sieht mich an, als hätte ich sie nicht alle.»Na gut«, sagt er, gibt der Assistentin ein Zeichen, sein Ton wird härter, distanzierter,»aber die Kosten für die Anästhesie übernimmt die Kasse nicht!«
Er sticht so mittelprächtig, nicht gut, nicht schlecht, kein Vergleich mit dem genialen Dr. Pregel. Dr. Paulesker geht zum nächsten Behandlungsstuhl, insgesamt vier habe ich gezählt. Während das Mittel Zeit bekommt zu wirken, werde ich Ohrenzeuge einer Behandlung. Zuerst ist das Geräusch eines Bohrers zu hören, kurz darauf beginnt die Frau neben mir zu schreien. Das Bohrgeräusch verstummt, Dr. Paulesker spricht mit sanft mahnender Stimme auf sie ein. Wieder ertönt der Bohrer. Die Frau schreit.
Mir wird allmählich schwindlig. Wem bin ich da in die Hände gefallen? Ich halte mir die Ohren zu und fange an zu singen. Die Blicke der Assistentinnen stören mich nicht, sollen sie denken, was sie wollen.
Eine Frau kommt zu mir und begrüßt mich, ich muß die Hand vom Ohr nehmen. Die Frau stellt sich als Frau Dr. Paulesker vor. Ob ich zum ersten Mal da bin, ich nicke. Sie erklärt mir, ich müsse mich nicht sorgen, die kreischende Dame neben mir sei bekannt für ihre übertriebene Schmerzempfindlichkeit. Ich antworte, bei mir liegt die Sache nicht viel anders, auch ich bin überaus empfindlich. Mit ausdrucksloser Miene nickt sie mir zu, als hätte sie nicht gehört, und geht.
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