«Sie war drei oder vier Sessel hinter uns, ja. Von hier sieht man nicht so weit zurück.«
«Ich bitte dich, wackle nicht so, wir schaukeln schon, mir wird übel.«
«Übel?«
«Ja! Vom Geschaukel!«
«Aha, ja. Nicht zu sehen, ja, Else. ELSE! EEEELSEE!«
«Sie wird dich nicht hören. Bitte nicht so schaukeln!«
«ELSE!«
«Was meinst du, wie viele Meter geht es da hinunter?«
«Na ja. Werden so dreißig sein. Vielleicht vierzig, ja.«
«Typisch. Wo ich bin, da geht es am tiefsten hinunter.«
«Wieso? Hast du Höhenangst?«
«Himmel, JA!«
«Ach so, hahaha, ja. Da brauchst du keine Angst haben, hier kann nichts passieren, das ist doppelt und dreifach gesichert hier alles, ja ne.«
«Genau. Deshalb geschehen ja nie Seilbahn- und sonstige Skiliftkatastrophen.«
«Aber das kann man doch nicht vergleichen! In Sölden zum Beispiel, das war eine ganz andere Situation…«
«Bitte hör auf zu wackeln! Sofort!«
«Lieber Schwiegersohn, wenn wir mal so schön zusammensitzen, möchte ich dich bei dieser Gelegenheit etwas fragen, ja ne.«
«Wieso mußt du eigentlich ständig diesen offiziellen Ton anschlagen? Aus allem machst du eine Rede an die Nation.«
«Was ist denn eine Rede an die Nation, wenn ich dich meinen lieben Schwiegersohn nenne?«
«Schon gut. Vergiß es. Was willst du sagen? Mein Gott, wann geht es endlich… Die Skischuhe sind zu eng, ich spüre die Zehen nicht mehr.«
«Ein Schriftsteller wie du, ja, der ist doch ein Künstler, ja ne. Und als Künstler müßtest du dich doch auch für andere Künste, ja, interessieren. Wenn ich dich fragen darf, wieso interessiert du dich nicht, ja, wie kann es sein, daß du dich nicht für Musik interessierst?«
«Bitte?«
«Wieso du dich nicht für Musik interessierst, ja ne, als Schriftsteller, ja.«
«Was bringt dich auf die Idee, daß ich mich nicht für Musik interessiere?«
«Na, da gibt es hundert Beispiele. Wir kennen uns seit fast, ja, fünf Jahren, oder vier Jahren, egal, ja. In dieser Zeit warst du noch kein einziges Mal mit uns in einem Konzert, oder bei den Salzburger Festspielen, ja, da gibt es sehr schöne, auch musikalische Aufführungen, ja. Ursel und ich würden euch ja gern mitnehmen, ein Babysitter für Stanislaus findet sich schon, ja ne, Frau Pfeifenberger könnte schauen, ja, oder die Tochter, ja, es ist, weil du dich nicht für Musik interessierst, oder für die Oper. Oder gestern, du hast gleich weitergeschaltet, als sie in den Nachrichten die Vorschau zur, ja, den Vorbericht über die Bregenzer Festspiele gebracht haben, ja ne.«
«Aber das heißt doch nicht, daß ich mich nicht für Musik interessiere. ELSE!«
«Also, wenn ich dir einen Rat geben darf: Öffne dich mehr, sei aufgeschlossen, geh mit uns zu einer Aufführung der Salzburger Festspiele, oder ins Konzert, ja ne, wir können auch einmal gemeinsam in Wien… in den Musikverein, oder ihr könnt ja auch allein gehen, wir müssen nicht unbedingt dabeisein, ja ne…«
«ELSE!«
«Ich habe gedacht, sie kann uns nicht hören?«
«Vielleicht doch. ELSE!«
«Wenn es da endlich weiterginge, ja.«
«Wahrscheinlich ist der Liftwart besoffen.«
«Der kann sicher nichts dafür, ja. Wird schon einen Grund haben, daß wir hier nicht weiterkommen, wird etwas geschehen sein, vielleicht ein Unglück beim Aussteigen.«
«Diese Schaukelei. Bitte ruhig sitzen bleiben.«
«Ich sitze ja ruhig! Das warst du, beim Umdrehen!«
«Ach Teufel, ist das hoch! HE!«
«Schau nicht runter, konzentriere dich auf etwas anderes, ja ne. Kommen wir auf die Musik zurück. Wieso fehlt dir da jedes Interesse?«
«Ich höre oft Musik. Wenn ich arbeite, jeden Tag, denn ich höre bei der Arbeit durchgehend Musik, ständig, verstehst du? Aber deshalb mag ich dann abends nichts mehr hören, ich ertrage dann nicht einmal meine Lieblingsmusik. Und dazu zählt Oper bestimmt nicht, das ist für mich überhaupt keine Musik.«
«Was? Oper ist keine Musik?«
«FÜR MICH! Für mich ist das keine Musik!«
«Also gut. Welche Musik hörst du gern?«
«Die Namen werden dir nichts sagen.«
«Na dann sag sie einmal, ja ne. Was ist deine Lieblingsmusik?«
«Also gut. Mein Lieblingslied ist WOW AND FLUTTER.«
«Was?«
«WOW AND FLUTTER.«
«Was soll das heißen?«
«Das ist mein Lieblingslied. Von einer Band namens Stereolab.«
«Kenne ich nicht.«
«Entschuldigen Sie, ja ne. Sie da hinten, ja! Könnten Sie eine Nachricht weitergeben?«
«Was soll denn das jetzt wieder?«
«Ja, Sie! Könnten Sie den hinter Ihnen bitten, nach hinten weiterzufragen, ob eine Else irgendwo da hinten sitzt? Der nächste soll immer den nächsten fragen, ja ne!«
«Gunther, bitte! Sie wird schon nicht davongeflogen sein!«
«Aber vorher hast du ja auch nach ihr gerufen, ja.«
«Das war etwas anderes.«
«EL-SE, ja ne! Bitte, ja! Fragen Sie, danke, ja ne.«
«Du solltest lieber Ursel anrufen, um ihr zu sagen, was los ist. Daß das hier noch dauern kann, und daß sie mit Stanislaus irgendwo einkehren soll.«
«Anrufen, ja? Wie stellst du dir das vor, von hier oben?«
«Du hast doch ein HANDY, Mensch!«
«Hallo, Sie, ja? Haben Sie es weitergegeben, ja? Schon eine Antwort, ja ne? Danke!«
«Rufst du sie jetzt an oder nicht? Mit deinem Handy?«
«Das ist nicht eingeschaltet, ja.«
«Einschalten.«
«Einschalten? Ja, aber hier oben wird es nicht funktionieren, ja ne.«
«Wieso sollte es hier oben nicht funktionieren? Versuch es einfach. Bitte.«
«Sie sitzt da hinten, ja? Danke, danke Ihnen!«
«Nur gut, daß wir das jetzt wissen. Rufst du Ursel nun an oder nicht?«
«Ursel? Hallo? Hallo? Hörst du mich? Ursel? Ja, hier ist der Gunther, ja ne! Der Gunther, ja. Hahaha. Du, wir sitzen hier seit einer halben Stunde auf dem Lift, und es geht nicht weiter. Ein Unfall oder so, ja. Geh mit Stanislaus in ein Gasthaus, ja ne? Sitzt — du sitzt schon dort? Na bestens, ja ne. Bis später, ja!«
«Hättest sie fragen können, ob sie weiß, was hier los ist.«
«Was wird sie wissen, was hier oben los ist.«
«Fragen hättest du trotzdem können.«
«Weil es mir gerade einfällt, der Berg dort drüben, das ist die Zirbelringspitze, und dort ist uns einmal ein Hund entgegengelaufen, ja, ein Hund, beim Wandern, ja ne. Das war ein lieber Hund. So ein Grauer, Graubrauner, die Rasse habe ich mir nicht gemerkt. Der Berg dort. Siehst du ihn? Es ist der, der aussieht wie ein X.«
«Einen Berg, der aussieht wie ein X, gibt es auf der ganzen Welt nicht.«
«Da, schau rüber! Dort drüben!«
«Ich schaue nicht rüber! Mir ist schlecht, und von deinem Gewackel wird mir immer mehr schlecht! Und mir ist schwindlig! Und meine Füße sind eiskalt!«
«Öffne die Schnallen der Schuhe, ja, die oberen wenigstens!«
«HALLO! SIE DA UNTEN! ENTSCHULDIGEN SIE, WISSEN SIE, WARUM ES NICHT WEITERGEHT? AHA! DANKE TROTZDEM!«
«Der mit dem Bart hat mich an meinen Professor an der Universität erinnert. Schenk hat er geheißen, ja ne, der hat immer gelbe Hemden getragen, und so karierte Sakkos, wir haben uns immer lustig über ihn gemacht, aber fachlich war nichts auszusetzen an ihm, ja ne, fachlich hat er die meisten Kollegen in die Tasche gesteckt, und uns natürlich sowieso, ja ne, dem hat man nichts vormachen können. Und jetzt bin ich selbst schon so lange Professor, ja ne. Ich muß oft an ihn denken.«
«Na bravo. Die Schnallen sind offen, dafür ist ein Handschuh weg.«
«Ein Handschuh ist weg? Wieso das, ja?«
«WEIL ER MIR RUNTERGEFALLEN IST.«
«Wie ist denn das passiert?«
«Ach Himmel… aus der Hand gerutscht… ich weiß nicht… ist doch egal.«
«Ich sehe ihn! Da unten liegt er! Siehst du ihn?«
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