»Ich habe das andere Pony gefunden!« Plötzlich taucht die Verkäuferin wieder auf, keuchend und mit einer staubigen Schachtel in der Hand. »Ich wusste, dass wir noch eins im Lager haben. Ursprünglich war es nämlich ein Paar, wissen Sie ... ?«
Es gibt noch ein Pony?
Unwillkürlich stöhne ich auf, als sie es hervorholt. Es ist mitternachtsblau mit rabenschwarzer Mähne, voller Sternchen und mit goldenen Rädern. Es ist absolut hinreißend. Es ist die perfekte Ergänzung für das andere. Oh, Gott, wir müssen beide kaufen. Wir müssen einfach.
Irritierenderweise steht die steinäugige Frau mit ihrem Buggy da und beobachtet uns.
»Schade, dass du dein ganzes Taschengeld schon ausgegeben hast, was?«, sagt sie zu Minnie, mit so einem verklemmten, unfreundlichen Lächeln, das darauf hindeutet, dass sie weder Spaß noch Sex hat. Mir scheint, das sieht man Menschen eigentlich immer an.
»Ja, nicht?«, sage ich höflich. »Da haben wir ein Problem. Wir müssen uns etwas einfallen lassen.« Einen Moment lang denke ich angestrengt nach, dann wende ich mich Minnie zu.
»Schätzchen, hier kommt deine zweite Lektion in Finanzplanung. Wenn man auf ein einmaliges Angebot stößt, darf man sich über die Spar-Regel hinwegsetzen. Das nennt man dann: >ein Schnäppchen machen<.« »Sie wollen es ihr kaufen? Einfach so?«, sagt die steinäugige Frau ungläubig.
Was geht sie das an? Gott, ich hasse Mütter. Dauernd müssen sie sich einmischen. Sobald man ein Kind hat, kommt man sich vor wie ein Kästchen auf einer Website, in dem steht: >Bitte fügen Sie hier Ihre unverschämten Kommentare ein.<
»Selbstverständlich werde ich es ihr nicht kaufen«, sage ich etwas hölzern. »Sie wird es von ihrem Taschengeld bezahlen. Schätzchen ... « Ich gehe in die Hocke, um Minnies Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. »Wenn du das Pony bei 50p die Woche von deinem Taschengeld bezahlst, dauert es etwa ... sechzig Wochen. Du wirst einen Vorschuss brauchen. So etwas wie einen >Überziehungskredit<.« Ich artikuliere deutlich. »Damit hast du also mehr oder weniger dein ganzes Taschengeld ausgegeben, bis du dreieinhalb bist. Okay?«
Minnie macht einen leicht verwirrten Eindruck. Aber vermutlich habe ich auch etwas verwirrt ausgesehen, als ich mein Konto das erste Mal überzogen hatte. Das gehört wohl dazu.
»Alles klar.« Ich strahle die Verkäuferin an und reiche ihr meine Visa Card. »Danke, wir nehmen beide Ponys. Siehst du, meine Süße?«, füge ich an Minnie gewandt hinzu. »Die Lektion, die wir heute gelernt haben, lautet: »Gib niemals auf, wenn du etwas wirklich willst. So widrig die Lage auch erscheinen mag, es findet sich immer ein Ausweg.«,
Ich bin richtig stolz auf mich, als ich diese güldene Weisheit von mir gebe. Darum geht es in der Erziehung. Seinem Kind beizubringen, wie es in der Welt so läuft.
»Weißt du, mir hat sich auch mal eine ganz erstaunliche Gelegenheit geboten», füge ich hinzu, während ich meine PIN Nummer eintippe. »Ein Paar Stiefel von Dolce & Gabbana, um neunzig Prozent heruntergesetzt! Nur war meine Kreditkarte leider am Limit. Aber habe ich aufgegeben? Nein! Natürlich nicht!«
Minnie hört so begeistert zu, als würde ich die Geschichte von den Drei Bären erzählen.
»Ich bin in meiner Wohnung herumgerannt und habe meine Tüten und Taschen durchwühlt und alles Kleingeld zusammengesammelt ... und weißt du was?« Um die Wirkung zu steigern, lege ich eine Pause ein. »Das Geld reichte! Ich konnte mir die Stiefel kaufen! Hurrah!«
Minnie klatscht in die Hände, und zu meinem Entzücken fangen auch die bei den kleinen Jungen heiser an zu jubeln.
»Wollt ihr noch eine Geschichte hören?« Ich strahle sie an. »Soll ich euch vom Musterverkauf in Mailand erzählen? Eines Tages laufe ich die Straße entlang, als ich dieses mysteriöse Schild sehe.« Ich reiße die Augen weit auf. »Und was glaubt ihr, was da geschrieben stand?«
»Lächerlich.« Abrupt dreht die steinäugige Frau ihren Buggy um. »Kommt, Kinder, wir müssen nach Hause.«
»Geschichte!«, heult einer der Jungen.
»Wir werden uns diese Geschichte nicht anhören«, schnauzt sie ihn an. »Sie sind doch gestört«, fügt sie über die Schulter hinzu, als sie geht. »Kein Wunder, dass Ihr Kind so verwöhnt ist. Was hat sie denn für Schühchen an? Gucci?« V erwöhnt? Mir schießt das Blut in die Wangen. Sprachlos starre ich sie an. Wie kommt sie denn darauf?
Und von Gucci gibt es solche Schuhe überhaupt nicht.
»Sie ist nicht verwöhnt!«, bringe ich schließlich hervor.
Doch die Frau ist schon hinter dem Postman-Pat-Regal verschwunden. Nun, ich werde ihr bestimmt nicht hinterherrennen und schreien:«Jedenfalls lümmelt mein Kind nicht den ganzen Tag Daumen nuckelnd im Buggy herum, und außerdem: Haben Sie eigentlich schon mal daran gedacht, Ihren Kindern die Nase zu putzen?«
Denn das wäre kein gutes Vorbild für Minnie.
»Komm schon, Minnie.« Ich gebe mir Mühe, mich zu fangen. »Sehen wir uns mal die Weihnachtsmannwerkstatt an. Danach geht es uns bestimmt besser.«
Nie im Leben ist Minnie verwöhnt. Im Leben nicht.
Okay, manchmal hat sie so ihre Momente. Wie wir alle. Aber verwöhnt ist sie nicht. Ich müsste es doch wissen, wenn sie verwöhnt wäre. Schließlich bin ich ihre Mutter.
Trotzdem merke ich auf dem Weg zur Weihnachtsmannwerkstatt, dass ich leicht aus der Fassung bin. Wie kann man sich so danebenbenehmen? Noch dazu an Heiligabend.
»Zeig jetzt einfach, wie wohlerzogen du bist, Süße«, raune ich Minnie zu, als wir Hand in Hand gehen. »Sei einfach ein kleiner Engel, wenn du vor dem Weihnachtsmann stehst, okay?«
Jingle Bells bimmelt aus den Lautsprechern, und unwillkürlich bessert sich meine Laune, als wir näher kommen. Als kleines Mädchen bin ich zu genau derselben Weihnachtsmannwerkstatt gegangen.
»Guck mal, Minnie!« Aufgeregt zeige ich mit dem Finger. »Sieh dir die Rentiere an! Die vielen Geschenke!«
Da steht ein Schlitten mit zwei lebensgroßen Rentieren, und alles ist voll mit Kunstschnee und Mädchen in grünen Kostümen, als Elfen verkleidet. Das ist neu. Am Eingang blinzle ich überrascht die Elfe an, die uns mit sonnenstudiogegerbtem Dekolleté begrüßt. Sucht sich der Weihnachtsmann seine Elfen heutzutage bei Modelagenturen? Und sollten Elfen violette Acrylnägel tragen?
»Fröhliche Weihnachten!«, begrüßt sie uns und stempelt mein Ticket ab. »Besuchen Sie auch unseren Wunschbrunnen, und geben Sie dort Ihren Weihnachtswunsch ab. Der Weihnachtsmann wird später alle Wünsche lesen!«
»Hast du das gehört, Minnie? Wir dürfen uns was wünschen!« Ich sehe zu Minnie hinunter, die wortlos staunend die Elfe betrachtet.
Seht ihr? Sie benimmt sich mustergültig.
»Becky! Hier drüben!«, Ich drehe meinen Kopf und sehe, dass Mum schon in der Schlange steht, mit festlich glitzerndem Schal. Sie hält die Griffe von Minnies Buggy fest, der mit Tüten und Paketen beladen ist. »Der Weihnachtsmann macht gerade seine Teepause«, fügt sie hinzu, als wir uns zu ihr gesellen. »Es wird bestimmt noch mindestens eine halbe Stunde dauern. Dad hat sich auf die Suche nach Camcorder-Disks gemacht, und Janice kauft ihre Weihnachtskarten.«
Janice ist Mums Nachbarin von nebenan. Sie kauft ihre Weihnachtskarten jedes Jahr Heiligabend zum halben Preis, schreibt sie am 1. Januar und legt sie für den Rest des Jahres in die Schublade. Sie nennt es >sich selbst überholen<.
»Schätzchen, würdest du dir mal ansehen, was ich für Jess gekauft habe?« , Mum wühlt in einer Tüte herum und holt vorsichtig ein hölzernes Kästchen hervor. »Ist das okay?«
Jess ist meine Schwester. Meine Halbschwester, um genau zu sein. Sie kommt in ein paar Tagen aus Chile zurück, weshalb wir für sie und Tom ein zweites Weihnachten inszenieren, mit Truthahn und Geschenken und allem, was dazugehört! Tom ist Jess' Freund. Er ist der einzige Sohn von Janice und Martin, und ich kenne ihn schon mein Leben lang, und er ist wirklich ...
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