Meine Tante stand vorn, der Vizetruppführer der Kommunevolkswehr und Kleiner Löwe hatten sich schützend hinter ihr aufgestellt. Das Tor zum Haus meines Schwiegervaters war fest verschlossen. Zu beiden Seiten des Tores hing ein Couplet: So wie Flüsse und Berge seit Jahrtausenden von Anmut sind, soll unser Vaterland zehntausend Jahre blühenden Frühling genießen .
Die Tante drehte sich zu der Menge Schaulustiger um: »Ohne Geburtenplanung werden Berge und Flüsse ihre Farbe verlieren und unser Land wird untergehen! Dann werden wir die Jahrtausende alte Anmut vergebens suchen! Und den zehntausend Jahre blühenden Frühling wird man auch vergebens suchen!« Tante betätigte den Türklopfer und brüllte mit ihrer heiser rauchigen Stimme: »Renmei, du hast dich im Kartoffelkeller neben dem Schweinestall verkrochen. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich das nicht weiß?! Deine Sache hat schon das Kreisparteiamt auf den Plan gerufen, die Armee ist auch aufmerksam geworden. Du bist ein typisches Negativbeispiel. Du hast jetzt die Wahl: Entweder du kommst brav hervor und folgst mir auf unsere Krankenstation, dort leiten wir operativ die Geburt ein. Und weil wir Rücksicht darauf nehmen, dass bei dir eine fortgeschrittene Schwangerschaft besteht, bieten wir dir sogar an, dich ins Kreiskrankenhaus zu begleiten, damit dort der allerbeste Arzt die Sache für dich erledigt. Oder aber, du bleibst starrköpfig. Dann planieren wir mit dem Trecker die Häuser deiner nächsten Nachbarn und machen danach dein Elternhaus dem Erdboden gleich. Alles, was hier bei euren Nachbarn an Schaden angerichtet wird, muss dein Vater ersetzen. Und auch dann entgehst du der Abtreibung deines Kindes nicht. Mit anderen wäre ich vielleicht nachsichtiger. Bei dir bin ich es nicht! Renmei, hast du verstanden, was ich gesagt habe? Wang Jinshan und Wang Xiuji, habt ihr verstanden, was ich gesagt habe?« Rüde und unhöflich brüllte meine Tante die bloßen Namen meiner Schwiegereltern.
Kein Laut, nichts rührte sich hinter dem Hoftor meiner Schwiegereltern. Totenstille herrschte. Dann krähte ein junger Hahn schrill sein markdurchdringendes Kikeriki. Daran schlossen sich die von Weinen unterbrochenen Schmähungen meiner Schwiegermutter an: »Du Unmensch, du der Hölle entstiegene Bestie, herzlose Teufelin ... warte nur, bis du in der Hölle schmorst! Du sollst einen grausamen Tod haben ... Wenn du tot bist, gehörst du auf den Messerberg, in den Kessel mit siedendem Öl, die Haut sollen sie dir abziehen, die Augen herausreißen, dich mit Öl übergießen und auf dem Scheiterhaufen anzünden ...«
Tante lachte ihr eisiges Lachen: »Fangt an!«, forderte sie den Vizetruppführer der Volkswehr auf.
Der Vizetruppführer führte seine Milizionäre ins Feld, hinter sich her zogen sie ein dickes Stahlseil. Das banden sie zuerst am Stamm des alten Schnurbaums beim rechten Nachbarn fest. Xiao Oberlippe bahnte sich auf seinen Krückstock gestützt einen Weg durch die Menge bis nach vorn. Er grummelte: »... das ist unser Baum.« Er versuchte meine Tante mit seinem Krückstock zu schlagen. Als er ausholte, verlor er das Gleichgewicht. Tante lachte: »Ach, euer Baum? Tut mir leid für dich, dass du dir die falschen Nachbarn ausgesucht hast!«
»Ihr seid Straßenräuber! Kriminelle! Ihr seid wohl Baojia-Vorsteher der Kuomintang!«
Die Tante parierte: »Du beschimpfst uns als Kriminelle? Du bist schlimmer als die Kuomintang! Selbst die bezeichnet uns nur als kommunistische Banditen!«
»Ich werde euch anzeigen! Mein Sohn arbeitet beim Staatsrat.«
»Mach doch! Bis ganz nach oben am besten!«
Xiao Oberlippe schleuderte den Krückstock fort und schlang beide Arme um den Baum. Er weinte: »Ihr dürft meinen Baum nicht rausreißen. Backe sagt, der Baum liegt auf der Lebensader unserer Familie. Nur wenn es dem Baum gutgeht, geht es unserer Familie gut.«
Gugu grinste: »Hat Backe auch ausgerechnet, wann die Polizei dich abholt?«
»Nur wenn ihr mich zuerst tötet«, schrie Oberlippe erbärmlich weinend.
»Oberlippe! Wo ist dein wilder Schneid aus Zeiten der Kulturrevolution geblieben? Wie du damals ausgeteilt hast! Du warst nicht zimperlich!« Messerscharf war ihr Ton. »Und jetzt sabberst und heulst du wie ein altes Weib!«
»Ich weiß schon, du willst dich an mir rächen. Du schiebst politische Gründe nur vor, benutzt deine Position, um es mir heimzuzahlen! Was kann mein Baum dazu, dass die Frau deines Neffen heimlich schwanger ist. Du darfst meinen Baum nicht ausreißen!«
»Ich hol dir nicht nur den Baum weg, ich schleif ihn noch über dein Haustor, zieh ihn über dein Ziegeldach. Heul hier nicht nutzlos rum. Geh zu Wang Jinshan, damit der das regelt.«
Gugu ließ sich von ihrer Gehilfin ein Megaphon reichen und begann hineinzusprechen: »Nachbarn zur Linken und zur Rechten von Wang Jinshans Haus, ich habe euch was zu sagen! Entsprechend außerordentlicher Regelungen beschließt das Komitee der kommunalen Geburtenplanung, die Häuser der direkten Nachbarn des Wang Jinshan, der sich strafbar macht, weil er eine illegal schwangere Tochter bei sich versteckt hält, Widerstand gegen die Staatsgewalt leistet und die Arbeiter im Komitee rüde beschimpft, einzureißen und zu planieren. Den Verlust, den ihr erleiden werdet, muss Wang euch ersetzen. Wenn ihr nicht möchtet, dass eure Häuser planiert werden, bringt ihn umgehend dazu, seine Tochter herauszugeben.«
Die Nachbarn meines Schwiegervaters begannen zu streiten, dass die Fetzen flogen.
Tante gab sodann dem Vizetruppführer der Volkswehr den Befehl: »Anweisung ausführen!«
Der Motor des Kettentreckers heulte auf, dass die Erde unter unseren Füßen erzitterte. Das Kettenfahrzeug bewegte sich knurrend vorwärts, das Stahlseil wurde stramm gezogen und gab sirrende Laute von sich, während die Zweige und Äste des Schnurbaums zuckten und zitterten.
Xiao Oberlippe kam halb kriechend, halb rollend vor das Haupttor meines Schwiegervaters. Wie rasend trommelte er dagegen und brüllte: »Wang Jinshan! Verdammt, ich fick deine Ahnen! Du stürzt deine Nachbarn ins Verderben. Zur Hölle sollst du fahren!«
In seiner Not und Angst sprach der sonst Nuschelnde unerwartet deutlich.
Das Tor meines Schwiegervaters blieb fest verschlossen, man hörte nur das zum Steinerweichen verzweifelte Weinen meiner Schwiegermutter im Hof.
Tante gab dem Vizetruppführer mit der erhobenen Rechten ein Zeichen: »Los!« Der brüllte den Fahrer an: »Umlegen! Mit voller Kraft voraus!«
Der Kettentrecker brummte markerschütternd auf, das Stahlseil spannte sich sirrend, wurde straffer und straffer. Es bohrte sich in die Rinde, schnitt hinein, dass Saft austrat. Der Trecker fuhr Stück für Stück weiter vorwärts. Aus dem Auspuff vorn auf dem Kühler pufften blaue, kreisrunde Qualmwolken wie Rauchzeichen empor. Der Fahrer fuhr und schaute dabei zurück. Er war mit einem blitzsauberen blauen Arbeitsanzug bekleidet, um den Hals trug er ein schneeweißes Schweißtuch, schräg auf dem Kopf eine Schiebermütze. Mit den oberen Schneidezähnen biss er sich auf die Unterlippe. Er hatte einen Oberlippenbart. Ein scharfsinniger Jüngling war das!
Als der riesige Baum in die Schräge kippte, entfuhren ihm berstende, leidvolle Geräusche. Das Drahtseil, das sich tief in den Stamm eingegraben hatte, hatte ihm ein Stück Borke abgezogen, so dass man die weißen Holzfasern sehen konnte.
»Verdammt, fick deine Mutter, Wang Jinshan! Komm da raus!« Xiao Oberlippe trommelte gegen das Tor, stieß mit den Knien und rammte den Kopf dagegen. Aber im Haus meines Schwiegervaters blieb es still. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Sogar das Weinen der Schwiegermutter war verstummt.
Der große Baum neigte sich immer mehr, rauschend senkte sich die üppig belaubte Krone.
Xiao Oberlippe kam zu ihm gestolpert, stand an seiner Seite. »Mein Baum, unser Glücksbaum!«
Читать дальше