»Wenn es nicht anders geht, dann eben mit Gewalt! Besonders bei deiner Frau, denn du bist mein Neffe! Deshalb muss ich mit ihr besonders streng verfahren. Wie soll ich mein Handeln vor anderen vertreten, wenn ich sie laufen lasse? Wenn ich dann einschreite, werden sie mir mit dem Hinweis auf Renmei den Mund verbieten.«
»Unter diesen Umständen muss ich dir wohl Folge leisten! Sollen denn Leute von der Truppe kommen, die das in die Hand nehmen?«
»Ich habe deiner Einheit längst ein Telegramm geschickt.«
»War das erste Telegramm auch von dir?«
»Ja«, sagte sie nur.
»Wenn du es schon früher gewusst hast, warum hast du dann nichts unternommen?«
»Ich befand mich zwei Monate lang auf Sitzungen in der Kreisstadt. Als ich zurück war, erfuhr ich davon. Diesem Hurensohn Backe«, meine Tante kochte wieder, »habe ich diese Schwierigkeiten zu verdanken. Glücklicherweise hat ihn jemand verpfiffen, ansonsten hätten wir jetzt noch mehr Probleme.«
»Wird man ihn verurteilen? Kommt er ins Gefängnis?«
»Wenn’s nach mir geht, wird er erschossen!« Tante schnaubte vor Wut.
»Er hat wohl nicht nur Renmei die Spirale entfernt?«
»Wir haben die Sache komplett aufgeklärt. Deine Frau, Wang Qis Frau aus Wangjia, Xiao Jinnius Frau von der Sippe der Suns aus Sunjiazhuang und Chen Nases Frau Wang Galle, die von allen mit ihrer Schwangerschaft am weitesten ist – sie alle waren bei ihm. Und es gibt noch an die zwanzig Schwangere, die nicht zum Kreis Gaomi gehören und mit seiner Hilfe schwanger wurden. Die kriegen wir leider nicht zu fassen. Jetzt kommt erst mal deine Frau unters Messer, dann machen wir bei den übrigen reinen Tisch. Soll sich bloß keiner einbilden, dass er mir entkommt.«
»Und wenn die in andere Provinzen fliehen?«
Tante ließ ihr eisiges Lachen hören: »Meinst du, da draußen gibt’s keine Geburtenplaner? Buddha ist überall! Da kann der Affe Sun Wukong noch so hoch springen, er bleibt in der Hand Buddhas .«
Ich sagte: »Tante, ich bin Offizier der Volksbefreiungsarmee, Renmei muss dann wohl abtreiben. Aber Wang Galle und Chen Nase sind Bauern. Bei beiden ist das erste Kind ein Mädchen. Unsere Politik erlaubt doch, dass sie ein zweites Kind haben dürfen. Für Galle ist es nicht einfach, schwanger zu werden ...«
Tante unterbrach mich spitz mit einem gehässigen Lachen: »Da hast du vor deiner eigenen Türe noch nicht gekehrt und beginnst schon für andere die Lanze zu schwingen! Die Politik sieht ein zweites Kind nur vor, wenn acht Jahre zwischen dem ersten und dem zweiten liegen. Wie alt ist die kleine Ohr?«
»Aber das ist doch nur ein paar Jahre zu früh?«, wandte ich ein.
»Da machst du es dir entschieden zu einfach! Nur ein paar Jahre früher ... Und wenn alle nur ein paar Jahre früher ihr zweites bekommen? So ein Vorgehen darf man gar nicht erst vorschlagen! Das produziert Chaos. Kümmere dich nicht um die Angelegenheiten anderer! Fang erst mal bei dir selbst an!«
9
Gugu kam an der Spitze einer gut besetzten Spezialeinheit von Geburtenplanern in unser Dorf. Sie war Truppführerin, der stellvertretende Truppführer kam von der bewaffneten Volkswehr unserer Kommune. Zur Einheit gehörten Kleiner Löwe und sechs muskulöse Volksmilizionäre. Sie verfügten über einen Lieferwagen, auf dem ein Hochfrequenzlautsprecher montiert war, und einen Kettentrecker mit einem starken Dieselmotor.
Ich hatte, noch bevor Tante mit ihrem Trupp bei uns im Dorf angekommen war, noch mal am Tor meines Schwiegervaters geklopft, er hatte sich erbarmt und mich hereingelassen.
»Du hast auch bei der Armee gedient«, sagte ich, »und du weißt, dass jedem militärischen Befehl sofort nachzukommen ist. Sich Befehlen zu widersetzen, ist nicht möglich.«
Mein Schwiegervater rauchte und sagte: »Warum schwängerst du sie, wenn dir doch klar ist, dass sie das zweite Kind nicht gestatten? Wenn die Schwangerschaft schon so weit fortgeschritten ist, kann man das Kind nicht mehr abtreiben! Wenn sie nun dabei stirbt? Ich habe nur die eine Tochter!«
»Die Sache habe ich mir nicht vorzuwerfen. Also grolle mir nicht!«
»Wem, wenn nicht dir, sollte ich sonst grollen?«
»Wenn du jemandem Vorwürfe machen willst, mach sie Yuan Backe. Die Polizei hat ihn bereits festgenommen.«
»Red keinen Scheiß, ich sag dir eins: Wenn meiner Tochter was zustößt, mache ich dir, so alt wie ich bin, unter Einsatz meines Lebens den Garaus!«
»Meine Tante sagt, es passiert nichts. Sie sagt, auch bei Schwangeren, die im siebten Monat waren, haben sie Abtreibungen gemacht.«
»Deine Tante ist kein Mensch, die ist ein Todesdämon!«, fiel meine Schwiegermutter ein. »Wie viele Menschenleben die in den letzten Jahren schon ausgelöscht hat! An ihren Händen klebt Blut! Ist sie erst unter der Erde, wird Höllenfürst Yama sie mit tausend Messerschnitten häuten!«
»Was redest du da, Frau?«, schimpfte mein Schwiegervater. »Halt dich raus, wenn wir hier unter Männern Dinge besprechen, die nur Männer was angehen!«
»Wie? Dinge, die nur Männer was angehen? Da wollt ihr mein Herzblut, meine einzige Tochter, dem Tod ausliefern, sie ans Höllentor fahren, und ihr wagt es zu behaupten, das sei Männersache?«, fuhr meine Schwiegermutter ihn an.
»Mutter, ich will doch keinen Streit mit dir! Ruf bitte Renmei für einen Augenblick heraus. Ich will ihr was sagen!«
»Du kommst hierher, weil du zu Renmei willst? Sie ist die Schwiegertochter deiner Familie. Sie wohnt bei euch! Oder hast du ihr längst etwas Furchtbares angetan? Dann kriegst du es mit uns zu tun! Wir werden unsere Tochter zurückverlangen!«
Also rief ich selbst laut ins Haus hinein: »Renmei, hör bitte, ich habe gestern mit der Tante verhandelt. Ich habe ihr gesagt, ich wolle die Parteimitgliedschaft nicht mehr, meine Position auch nicht mehr, sondern lieber wieder nach Hause und Bauer sein, damit du das Kind bekommen kannst. Aber die Tante sagt, das kommt nicht in Frage. Backes Fall hat bereits die Provinzregierung auf den Plan gerufen. Der Kreis hat der Tante die Anweisung erteilt, dass alle, die unerlaubt schwanger geworden sind, abtreiben müssen ...«
»Das machen wir nicht! Wo leben wir eigentlich?« Schwiegermutter holte eine Waschschüssel mit Schmutzwasser und schüttete sie mir mit Schwung ins Gesicht. »Du, hol deine Tante, diese fickerige, stinkende Möse her! Ich mach sie fertig! Und wenn wir beide dabei draufgehen. Auch gut! Die Neiderin kann nicht leiden, wenn andere Kinder kriegen, weil sie selber keine hat!«
Als ich wüst zugerichtet, am ganzen Körper triefend vom Schmutzwasser, abziehen musste, parkte der Lieferwagen der neu formierten Spezialeinheit der Geburtenplaner schon vor dem Haus meiner Schwiegereltern. Alles, was bei uns im Dorf Beine zum Laufen hat, war gekommen. Auch Xiao Oberlippe mit seiner halbseitigen Lähmung und seinem davon schiefen Gesicht kam, auf den Krückstock gestützt, angehumpelt. Aus den Lautsprechern ertönten stark emotionale Parolen: Die Geburtenplanung ist von erstrangiger Bedeutung! Sie ist der Schlüssel für die Zukunft unseres Staates und eröffnet unserem Volk Zukunftschancen ... Um den Aufbau der vier modernen, starken Länder langfristig zu gewährleisten, muss die Bevölkerungszahl begrenzt werden. Die Qualität der Bevölkerung soll steigen ... Die Gesetzesbrecher, die unerlaubt schwanger geworden sind, sollen sich keine falschen Hoffnungen machen und wissen, dass es vergeblich ist, sich durchzuschwindeln ... Denn die Volksmassen haben strahlende Augen und blütenweiße Augäpfel. Ob ihr euch in dunklen Löchern unter der Erde versteckt oder im tiefen Wald verkriecht, hört auf, zu glauben, dass das euch retten könnte. Ihr werdet uns nicht entkommen ... Wer die Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Geburtenplanung verunglimpft, sie tätlich angreift, den wird man auf frischer Tat fassen und festnehmen und wie einen Konterrevolutionär aburteilen ... Wer die Geburtenplaner hintergeht und ihre Arbeit durchkreuzt, wird die harten Strafen der Partei und des Staates erdulden ...
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