»Ich bleibe stehen, besten Dank.«
Benjamin seufzte. Einige Sekunden lang herrschte Schweigen.
»Um für alle Betroffenen eine potentiell peinliche Situation zu entschärfen, verlangt der Präsident, daß Mrs. Main so bald wie möglich Richmond verläßt.«
Orrys Hand umklammerte den Besucherstuhl so fest, daß seine Knöchel kalkweiß wurden. »Damit die Regierung von der Teerbürste unberührt bleibt, nicht wahr? Sie glauben meiner Antwort nicht – «
»Ich glaube Ihnen. Aber ich bin ein Beamter dieser Regierung, und es ist meine Pflicht, den Wünschen des Präsidenten Folge zu leisten, und nicht, sie in Frage zu stellen.«
»Damit sie Ihren Job behalten und weiterhin Ihren Sherry genießen können, während die Konföderation zusammenbricht?«
Die olivfarbenen Wangen wurden fahl. Benjamins Stimme senkte sich, klang durch das kleine, kalte Lächeln hindurch noch tödlicher. »Ich werde so tun, als hätten Sie diese Bemerkung nie geäußert. Der Präsident erwartet, daß seiner Bitte innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne nachgekommen wird.«
»Seinem Befehl, wollten Sie sagen?«
»Es ist ein höflicherweise als Bitte formulierter Befehl.«
»Das dachte ich mir. Guten Tag.«
»Mein lieber Orry, Sie dürfen mich doch nicht persönlich verantwortlich machen – «
Die Tür knallte zu, bevor er den Satz beendet hatte.
Gegen Mittag legte sich Orrys wilder Zorn etwas. Er konnte wieder seinen Routineaufgaben nachgehen und Fragen seiner Kollegen einigermaßen zusammenhängend beantworten. Auf dem Weg zum Mittagessen kam Seddon an Orrys Schreibtisch vorbei, aber der Minister wich Orrys Blick aus. Er weiß, was Davis verlangt. Wahrscheinlich wußte er es schon, bevor Judah es mir sagte. Auf der Stelle entschloß sich Orry, auf Picketts Angebot zurückzukommen.
Madelines Reaktion stand für Orry außer Zweifel. Falls sie überhaupt über seine Entscheidung sprachen, durfte er nur vorsichtige Umschreibungen verwenden, mußte so tun, als wäre es noch längst nicht endgültig. An erster Stelle aber kam jetzt nicht seine Versetzung, sondern er mußte gegenüber Judah, Seddon, dem Präsidenten selbst den Beweis erbringen, daß die Verschwörung tatsächlich existierte.
Er blickte zu einem Eckschreibtisch hinüber, an dem ein junger Zivilist, Josea Pilbeam, saß, der einen Klumpfuß hatte. Pilbeam, ein Junggeselle, hatte im vergangenen Jahr einige Nachforschungen für das Ministerium durchgeführt. Orry ging hinüber, begrüßte ihn liebenswürdig und traf für den Abend eine Verabredung mit ihm. Außerhalb des Ministeriums.
Den restlichen Tag beschäftigte er sich mit der Forderung des Präsidenten. Seine erste, von gekränkter Ehre getragene Reaktion war, sich einfach zu weigern. Andererseits würde Madeline geächtet werden, wenn sie in Richmond blieb. Und nachdem sich Grant bei Petersburg festgesetzt hatte, war Richmond nicht mehr sicher. Orry wünschte keinesfalls, daß seine Frau hier war, wenn die Stadt kapitulierte. Und das konnte nicht mehr lange dauern.
So sehr es ihm auch zuwider war, er mußte zugeben, daß Madeline besser dran war, wenn sie die Stadt verließ.
Was ein weiteres Problem mit sich brachte. Wohin konnte sie gehen? Die nächstliegende Antwort schien ihm bei weitem nicht die beste oder einfachste Möglichkeit darzustellen. Sorgfältig dachte er darüber nach und hatte am späten Nachmittag einen Plan entwickelt, der das geringste Risiko zu beinhalten schien.
Bei Büroschluß verließen er und Josea Pilbeam gemeinsam das Gebäude. An einem ruhigen Tisch in der Spotswood-Bar kam Orry sofort zur Sache.
»Ich verdächtige meine Schwester Ashton – Mrs. James Huntoon – verräterischer Aktivitäten. Ich möchte, daß Sie ihr Haus in der Grace Street abends beobachten, ihr folgen und mir alles melden. Ich zahle gut. Zehn Dollars pro Nacht.«
Pilbeam trank einen Schluck Bier. »Danke für das Angebot, Colonel. Aber ich muß nein sagen.«
»Guter Gott, warum denn?«
»Wir wissen beide, was der konföderierte Dollar wert ist – ungefähr soviel wie der Spruch der Regierung, wir könnten immer noch den Krieg gewinnen. Ich erledige keinen Privatjob gegen Zahlung in unserer Währung.«
Erleichtert sagte Orry: »Ich besorge irgendwie U.S.-Dollars – vorausgesetzt, Sie beginnen morgen abend mit Ihrer Überwachung.«
»Abgemacht«, sagte Pilbeam und schüttelte ihm die Hand.
Zum Abendessen teilte Madeline einen kleinen Fisch zwischen ihnen auf und garnierte jeden Teller mit zwei winzigen, gekochten weißen Rüben. Heute sei nichts anderes zu kriegen gewesen, meinte sie.
Er berichtete ihr, er habe die Akten weiter nach einem Offizier namens Bellingham abgesucht. Nichts. »Ich würde sonstwas darum geben, ihn in die Finger zu kriegen.«
Nach dem Essen schlug sie vor, ein paar Gedichte zu lesen, aber Orry schüttelte den Kopf. »Wir müssen miteinander reden.«
»Oh, wie unheilvoll das klingt. Über welches Thema?«
»Über die Notwendigkeit für dich, Richmond zu verlassen, solange es noch möglich ist.«
Ein verletzter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Das sind die Folgen dieser Party.«
Tiefer in das Netz der Lügen – zu ihrem Besten. »Nein, da hat es lediglich einige hämische Bemerkungen gegeben, die ich überhört habe. Ich habe eigene Gründe, weshalb du abreisen mußt. Zwei Gründe. Erstens wird die Stadt fallen. Wenn nicht diesen Sommer, dann im Herbst oder nächsten Winter. Es ist unvermeidlich, und ich möchte nicht, daß du hier bist, wenn es geschieht. Ich verließ Mexiko, bevor unsere Armee in die Hauptstadt einmarschierte, aber George hat mir einige der Scheußlichkeiten beschrieben. Häuser werden geplündert. Männer werden getötet. Und Frauen – nun, du verstehst, daß ich dich dem nicht aussetzen möchte.«
Sie saß regungslos da und sagte: »Und der zweite Grund?«
»Den hab’ ich bereits erwähnt. Ich habe das Ministerium satt. Ich überlege mir, ob ich nicht um eine Versetzung in George Picketts Stab nachsuchen soll.«
»Oh, Orry – nein.«
Schneller Rückzug: »Langsam, langsam, nicht gleich so ernst. Ich sagte, ich überlege. Ich habe noch nichts unternommen.«
»Weshalb willst du dein Leben für eine verlorene Sache riskieren?«
»Die Sache hat nichts damit zu tun. Pickett ist ein Freund, und mir hängt die Schreibtischarbeit zum Halse hinaus. Außerdem besteht kein Anlaß zur Sorge – das ist ja alles erst Spekulation.«
»Hoffen wir, es bleibt dabei. Wie auch immer, was du mit mir vorhast, läuft jedenfalls auf eine Art Verbannung hinaus. Nun, ich danke dir, aber ich bin nicht der Feigling, für den du mich hältst.«
»Jetzt hör mal, ich habe niemals angedeutet – «
»Aber sicher hast du das. Nun, ich habe jedenfalls vor zu bleiben.«
»Ich bestehe darauf, daß du gehst!«
»Du wirst auf gar nichts bestehen!« Sie erhob sich abrupt. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich muß deine Socken stopfen. In den Läden gibt es keine mehr.« Sie stürmte hinaus.
Immer wenn er wieder damit anfing, weigerte sie sich, ihm zuzuhören. Schweigend gingen sie zu Bett. Gegen drei Uhr schmiegte sie sich an seinen Rücken, rüttelte ihn sanft wach.
»Liebling? Ich fühle mich elend. Ich habe mich scheußlich benommen. Verzeihst du mir? Ich war wütend auf mich, nicht auf dich. Ich weiß, ich habe Schande über dich gebracht – «
Schläfrig, aber auf einmal mit leichtem Herzen rollte er sich herum und berührte ihre Wange. »Niemals. Ich liebe dich so, wie du bist. Ich möchte dich einfach in Sicherheit wissen.«
»Mir geht es mit dir genauso. Ich hasse die Vorstellung, daß du zu George Pickett gehst. Die Belagerungslinien sind gefährlich.«
»Ich sagte dir schon, ich habe lediglich daran gedacht. Andere Dinge kommen zuerst.«
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