Jim stieß zuerst darauf, in der Nähe eines verlassenen Bundescamps. Er galoppierte zu Charles und meldete, was er gefunden hatte. Dann kotzte er, bevor er sich weit genug zur Seite beugen konnte, über eine Schrotflinte, seinen Sattel und sein überraschtes Pferd.
Charles ritt zu der sonnigen Weide. Er roch das Gemetzel, bevor er es sah. Er hörte es auch – Aasfresser und Millionen von Fliegen. Mit zusammengepreßten Lippen ritt er Augenblicke später zum vorübergehenden Hauptquartier des Generals.
Hampton verlor seine charakteristische Gentleman-Haltung, als er zu der Stelle ritt. Eine Brise wehte durch seinen weißen Bart, während er die phantastischen Skulpturen der aufeinandergehäuften, fliegenbedeckten Pferde anstarrte. »Haben Sie gezählt?« flüsterte er.
»Es sind so viele, so dicht zusammen, es läßt sich kaum feststellen, General. Ich schätze, mindestens achtzig oder neunzig. Jim hat dort drüben bei den Bäumen noch mal soviel oder mehr entdeckt. Ich habe nach Verletzungen gesucht – ich meine Verletzungen, die nicht von den Kugeln stammen, mit denen sie getötet wurden. Ich hab keine gefunden. Die Yanks müssen zu dem Schluß gekommen sein, daß eine Pferdeherde ihren Rückzug verlangsamt.«
»Ich habe verletzte Pferde erschossen, aber noch niemals lahmende. Gesunde Tiere zu töten, mit voller Absicht, das ist noch viel schlimmer. Das ist eine Sünde.«
Und einen Nigger in Ketten zu legen ist keine Sünde? Laut erwiderte er: »Jawohl, Sir.«
»Gott verdamme sie«, sagte Hampton.
Angesichts dessen, was sich die Menschen bereits angetan hatten und was aus ihm selbst geworden war, hatte Charles das Gefühl, der General sei ein bißchen spät dran mit seiner Forderung. Gott hatte bereits für den größten Teil der Bevölkerung ordentliche Arbeit geleistet.
Cold Harbor ließ die Fenster von Richmond erneut erzittern. Nachts hielten sich Orry und Madeline eng umschlungen, unfähig, in diesem Kanonendonner Schlaf zu finden.
Jetzt tobten die Kämpfe um Petersburg. Nach viertägigen fruchtlosen Versuchen, die Befestigungen der alten Dimmock-Linie zu überrennen, hatte die Potomac-Armee ihre Attacke beendet und begonnen, Petersburg zu belagern.
»Lee sagte stets, daß wir erledigt sind, wenn die Belagerung beginnt«, erklärte Orry Madeline. »Wenn sie wollen, dann können die Bundestruppen über die Flußbasis bei City Point Männer und Nachschub bis zum Ende des Jahrhunderts heranbringen. Wir werden kapitulieren müssen.«
»Vor langer Zeit hat Cooper gesagt, das sei unvermeidlich, nicht wahr?«
»Cooper hatte recht«, murmelte er und küßte sie.
Nur noch wenige Blockadebrecher gelangten nach Wilmington. Der nationale Geldvorrat verwandelte sich immer schneller in wertloses Papier. Der Widerstand brach in sich zusammen. Die mächtigen Generäle waren gefallen: Orrys alter Klassenkamerad Old Jack; Stuart, der singende Kavalier. Und der Größte von allen, Bob Lee, konnte nicht siegen.
Eines Morgens nach Cold Harbor erschien Pickett im Kriegsministerium. Abgezehrt, mit stumpfen Augen, glich er einer wandelnden Leiche. Er trug sein parfümiertes Haar immer noch in schulterlangen Locken, aber überall mischten sich weiße Löckchen darunter.
In der staubigen Hitze teilte Orry dem Freund seine persönliche Unzufriedenheit mit. Pickett entgegnete: »In meinem Divisionsstab wird es immer einen Platz für dich geben, wenn die Zeit kommt, wo du dir ein Feldkommando wünschst.« Ein düsterer Unterton deutete an, daß Orry sich eine solche Entscheidung zweimal überlegen sollte. Dachte er an den fehlgeschlagenen Angriff bei Gettysburg, der ihn an einem einzigen Tag um Jahre hatte altern lassen?
»In letzter Zeit hab’ ich mir tatsächlich sowas gewünscht, George. Ich habe noch nicht mit Madeline darüber gesprochen, aber ich werde dein Angebot nicht vergessen. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
Pickett sagte nichts, sondern hob lediglich seine Hand und ließ sie wieder fallen. Durch die schrägen Lichtbahnen der Sonne schlich er davon.
Mallory stattete einen Besuch ab, informierte ihn steif, daß Cooper aus dem Dienst geschieden war und erklärt hatte, er beabsichtige, Charleston zu verlassen und nach Mont Royal zurückzukehren.
»Er hat sich drastisch verändert«, sagte Mallory. »Ein abrupter und meiner Meinung nach tadelnswerter Wandel zu einer Position Frieden-um-jeden-Preis.«
Gereizt entgegnete Orry: »Sein Wandel zum Befürworter des Krieges war drastisch und tadelnswert, Mr. Mallory. Vielleicht ist der Bruder, den ich einst kannte, wieder zum Vorschein gekommen.«
Das gefiel dem Minister gar nicht, und prompt ging er hinaus. Orry war froh, daß Cooper nach Hause zurückgekehrt war. Doch die mögliche Bedeutung dieses Vorgehens beunruhigte ihn genauso wie ein Vorfall am nächsten Morgen.
»Wer ist diese Frau, die einen Paß beantragt hat?« fragte Orry einen Angestellten.
»Mrs. Manville. Kam ‘61 von Baltimore, um hier ein Freudenhaus zu eröffnen. Jetzt hat sie zugemacht.«
»Sie geht zurück nach Maryland?«
»Ja, sie versucht es irgendwie. Sie ist fest entschlossen, und wir haben keinen Anlaß, sie aufzuhalten.«
»Ist sie die erste Prostituierte, die einen Paß will?«
»Oh nein, Colonel. Mindestens ein Dutzend seit Cold Harbor.«
In der Marshall Street sagte er an diesem Abend zu Madeline: »Die sogenannten leichten Mädchen verschwinden. Es gibt keinen Zweifel, der Vorhang fällt.«
Ein persönliches Problem plagte Orry weiterhin: das Geheimnis der Verschwörung, die sich anscheinend in Luft aufgelöst hatte. Wann immer er Madeline gegenüber seine Frustration zum Ausdruck brachte, besänftigte sie ihn und bedrängte ihn, das Problem als unlösbar beiseite zu schieben. Seine Antwort war immer die gleiche: »Unmöglich.«
Seine Gefühle explodierten schließlich zu unerwarteter Zeit und an unerwartetem Ort: einem abendlichen Empfang im Finanzministerium zu Ehren von Minister Memminger, der nach Erledigung einiger wichtiger Aufgaben zurückzutreten gedachte. Im Juli sollte das der Fall sein.
Die Gästeliste schloß alle in Memmingers Ministerium Beschäftigten und die Leute aus seinem Heimatstaat ein. Auf Huntoon traf beides zu. Er brachte Ashton zu dem Empfang mit.
Orry brachte Madeline mit.
Orry, an einem Sandwich würgend, ließ Madeline im Gespräch mit einigen Damen zurück und schlenderte zu seiner Schwester hinüber. Natürlich war sie die einzige Frau in einer Gruppe von fünf Männern, wozu auch Huntoon gehörte, der mit dicken Krötenbacken der Erklärung eines älteren Beamten lauschte: »Zum Teufel mit Gouverneur Brown und seiner Meinung. Ich behaupte nach wie vor, daß wir nur mit farbigen Truppen diesen Krieg weiterführen können.«
Huntoon riß sich die Brille von der Nase, um seine eindeutige Haltung zu unterstreichen. »Dann ist es besser zu kapitulieren.«
»Lächerlich«, sagte ein anderer Mann. »Die Yankees sind nicht so pingelig. Bei Petersburg vagieren die Niggertruppen wie Fliegenschwärme herum.«
Ashton, die recht verhärmt aussah und sichtlich an Gewicht verloren hatte, entgegnete: »Was sonst könnte man von einer Bastard-Nation erwarten? Ich bin einer Meinung mit James. Besser alles verlieren als faule Kompromisse schließen.«
Wo stammte dieser Fanatismus her, fragte sich Orry. Von Huntoon? Nein, mit größerer Wahrscheinlichkeit von Powell.
Sie sah ihn und löste sich aus der Gruppe der Diskutierenden.
»Guten Abend, Orry. Ich sah dich und deine schöne Frau hereinkommen. Wie geht es euch?« Eine Routinefrage, weiter nichts.
»Den Umständen entsprechend gut. Und dir?«
»Oh, ich bin mit tausend Dingen beschäftigt. Hast du gehört, daß Cooper aus dem Marineministerium ausgeschieden ist?« Er nickte. »Es heißt, Minister Mallory sei empört gewesen. Wirklich, Orry, wir könnten genausogut die Sphinx zum Bruder haben. Die würde ich noch eher verstehen als Cooper.«
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