»Ihre neue Einstellung ist sehr hilfreich. Ich weiß das zu schätzen. Miss Alcott, übernehmen Sie, ich mache mit dem nächsten Mann weiter.«
»Aber Miss Hazard«, sie schluckte, das Gesicht so rot wie das des Iren, »kann ich mit Ihnen allein sprechen?«
»Gewiß. Kommen Sie, dort hinüber.«
Sie wußte, was kommen würde, hörte sich aber pflichtbewußt die geflüsterte Frage an. Ähnlich leise antwortete sie, um Miss Alcott nicht in Verlegenheit zu bringen: »Bob Pip oder einer der anderen Soldaten wäscht dann jeden Mann fertig.«
Miss Alcott war ungemein erleichtert. Sie preßte eine Faust gegen ihre Brust und atmete tief durch. »Oh, das freut mich zu hören. Ich glaube, mit der anderen Arbeit komme ich schon zurecht. Ich gewöhne mich langsam an den Geruch. Aber ich glaube nicht, ich könnte mich überwinden, die – die – « Sie brachte es nicht einmal fertig, es auszusprechen.
»Sie machen Ihre Sache großartig«, sagte Virgilia und gab ihr einen aufmunternden Klaps auf die Schulter.
Louisa Alcott hielt sich wirklich gut. Innerhalb von zwei Stunden hatten sie mit Hilfe einer dritten freiwilligen Krankenschwester die gesamte Belegschaft der Station gesäubert. Die Krankenpfleger brachten Kaffee, Rindfleisch und Suppe.
Während die Männer aßen, tauchten die Ärzte auf. Zwei betraten den Ballsaal; einer davon war ein älterer Mann, den Virgilia noch nicht kannte. Er stellte sich vor und sagte, er werde alle Fälle übernehmen, die keinen chirurgischen Eingriff benötigten.
Es gab, so hatte Virgilia festgestellt, Armeeärzte unterschiedlichster Art. Einige waren hingebungsvolle, talentierte Männer; andere Quacksalber ohne professionelle Schulung, die lediglich einige Wochen in einer Arztpraxis assistiert hatten. Gerade die letztere Gruppe kam sich ungemein bedeutend und erfahren vor und ging brutal mit den Patienten um.
Der Neue war kein Quacksalber, sondern ein praktischer Arzt aus Washington mit solidem Ruf. Dr. Erasmus Foyle reichte Virgilia kaum bis zur Schulter, aber er hielt sich sehr aufrecht. Bis auf einen öligen, schwarzen Haarkranz war er kahl wie ein Ei, hatte einen gepflegten Schnurrbart und würzte seinen Atem mit Nelken. Schon bei ihrer ersten Begegnung ließ er durchblicken, daß Virgilia ihn nicht allein aus beruflichen Gründen interessierte.
Nach einer einleitenden Verbeugung sagte er: »Guten Morgen, Miss Hazard. Könnte ich Sie mal draußen sprechen?«
Der letzte Soldat, den Foyle untersucht hatte und dessen beide Beine von den Knien bis zu den Lenden bandagiert waren, begann sich hin und her zu rollen und zu stöhnen. Das Stöhnen ging in schrilles Schreien über. Miss Alcott ließ ihre Schüssel fallen, die Pip gerade noch auffangen konnte.
Virgilia rief: »Opium für den Mann, Bob!«
»Und zwar reichlich«, sagte Foyle und nickte heftig. Er legte seine rechte Hand um ihren linken Arm; seine Fingerknöchel versuchten die Rundung ihrer Brust zu streifen. Sie wollte ihn gerade zur Ordnung rufen, als etwas mit ihr geschah.
Die Männer sahen sie jetzt anders an als in der Vergangenheit. Wie nützlich konnte das sein? Vielleicht sollte sie das herausfinden. Sie ließ Doyles Hand an Ort und Stelle. Er errötete vor Freude.
»Gleich hier lang.« Er führte sie durch einen Eingang, dann nach links in einen schäbigen Flur; von der Station aus konnte sie jetzt niemand mehr sehen. Er stand dicht vor ihr, seine kleinen, hellen Augen auf gleicher Höhe mit ihren Brüsten. Auch Grady hatte ihre Brüste geliebt.
»Miss Hazard, in welchem Zustand befindet sich Ihrer Meinung nach der arme Kerl, der gerade geschrien hat?«
»Dr. Foyle, ich bin keine Ärztin.«
»Bitte, bitte – ich respektiere Ihre Sachkenntnis.« Er hüpfte dabei praktisch von einem Fuß auf den anderen. »Seit unserer ersten Begegnung habe ich Sie respektiert und, wenn ich das sagen darf, bewundert. Sagen Sie mir bitte Ihre Meinung.«
Der kleine Mann griff dabei nach ihrem rechten Arm. Jetzt weiß er, wie sich die andere anfühlt. Sie amüsierte sich, war aber auch leicht verblüfft über diese unerwartete Macht.
»Also gut. Ich glaube nicht, daß das linke Bein zu retten ist.« Es fiel ihr schwer, das auszusprechen; sie hatte es miterlebt, wie Männer das Bewußtsein wiedererlangt hatten, nachdem sie unter die Säge gekommen waren.
»Amputation – ja, das war auch meine Schlußfolgerung. Und das rechte Bein?«
»Nicht ganz so schlimm, aber der Unterschied ist minimal. Wirklich, Doktor, sollten Sie nicht lieber mit Ihrem Kollegen anstatt mit mir darüber sprechen?«
»Bah! Der ist nicht besser als ein Apotheker. Sie aber, Miss Hazard, besitzen ein wirkliches, intuitives Verständnis für medizinische Dinge.«
Wieder preßten sich seine Knöchel in ihren Busen. »Der Mann muß so bald wie möglich operiert werden. Könnten wir vielleicht die anderen Fälle heute abend beim Essen besprechen?«
Dieses Machtgefühl berauschte sie. Foyle war physisch gesehen nicht gerade der Größte, aber er war ein respektierter Mann, und er begehrte sie. Ein weißer Mann wollte sie haben. Es konnte nicht klarer sein. Sie hatte sich verändert; ihr Leben hatte sich verändert. Sie war Dr. Erasmus Foyle dankbar.
Allerdings nicht so dankbar, wie er es gern gesehen hätte.
»Liebend gern, aber was wird Ihre Frau dazu sagen?«
»Meine –? Meine Liebe, ich erwähnte mit keinem Wort…«
»Nein, Sie nicht. Eine andere Krankenschwester tat das.«
Seine Gesichtsfarbe wechselte von Rosa zu Rot. »Zum Teufel mit ihr. Welche?«
»Um genau zu sein, es waren mehrere. In diesem Hospital und im vorhergehenden. Ihr Ruf, den guten Namen Ihrer Frau zu schützen, ist weitverbreitet. Es heißt, sie würden ihn so eifrig schützen, daß kaum jemand etwas von ihrer Existenz weiß.«
Mit boshaftem Vergnügen betrachtete sie seine Reaktion. Sie nahm seine Hand und ließ sie fallen, als wäre sie schmutzig.
»Ich fühle mich durch Ihre Aufmerksamkeiten geschmeichelt, Dr. Foyle, aber ich glaube, wir sollten zu unserer Arbeit zurückkehren.«
»Aufmerksamkeiten? Was für Aufmerksamkeiten?« schnarrte er. »Ich wollte eine private Diskussion über medizinische Angelegenheiten, weiter nichts.« Er zog seinen Uniformrock zurecht, richtete seine Schärpe und marschierte eiligst in den Ballsaal zurück. Unter anderen Umständen hätte Virgilia gelacht.
»Nun, Miss Alcott?« fragte Virgilia, als die erschöpften Schwestern um acht Uhr abends ihre erste volle Mahlzeit zu sich nahmen. »Was halten Sie von der Arbeit einer Krankenschwester?«
Louisa Alcott, völlig erledigt und mit den Nerven am Ende, sagte: »Wie offen darf ich sein?«
»So offen, wie Sie wollen. Wir sind alle Freiwillige – alle gleich.«
»Also dann – gleich zu Anfang – dieser Ort hier ist ein Pestloch. Die Matratzen sind hart wie Stein, das Bettzeug ist verdreckt, die Luft faulig, und das Essen – haben Sie das Rindfleisch gekostet? Das muß noch für die Jungs von 1776 gedacht gewesen sein. Beim Schweinefleisch fürs Abendessen muß es sich um eine Geheimwaffe des Feindes gehandelt haben.«
Sie sagte es so nachdrücklich, daß die Frauen an beiden Seiten des Tisches in Gelächter ausbrachen. Sie schien den Tränen nahe, lachte dann aber ebenfalls.
Virgilia sagte: »Das wissen wir alle, Miss Alcott. Die Frage ist – werden Sie bleiben?«
»Oh ja, Miss Hazard. Ich mag nicht über viel Erfahrung im Baden nackter Männer verfügen – zumindest nicht bis heute –, aber ich werde auf jeden Fall bleiben.«
Als wollte sie das nachdrücklich unter Beweis stellen, stopfte sie sich ein Stück Rindfleisch in den Mund und begann zu kauen.
62
Am Dienstag, an dem in New Orleans General Butler durch General Banks abgelöst werden sollte, wurde Elkanah Bent um elf Uhr zum alten Kommandeur befohlen. Er hatte sich auf eine Untersuchung wegen des Aufruhrs bei Madame Conti vorbereitet, hätte aber nie gedacht, daß es sich bei dem untersuchenden Offizier um den General persönlich handeln würde.
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