Er war mein Freund. Wir angelten zusammen Haie auf Niihau. Wir jagten wilde Rinder auf dem Mauna Kea und Mauna Loa. Wir ritten Pferde zu und drückten den jungen Stieren auf der Carter Ranch das Brandzeichen auf. Wir spürten die Ziegen auf dem Haleakala auf. Er brachte mir das Tauchen und Wellenreiten bei, bis ich fast so geschickt war wie er, und er war geschickter als die meisten Kanaken. Ich habe ihn fast dreißig Meter tief tauchen sehen, und er konnte zwei Minuten unten bleiben. Er war ein Amphibienwesen und ein Bergsteiger. Er konnte noch dort klettern, wo sich nur eine Ziege hinwagte. Er fürchtete sich vor nichts. Er war auf der Luga, als sie Schiffbruch erlitt und schwamm achtundvierzig Kilometer in sechsunddreißig Stunden bei schwerem Seegang. Er konnte sich durch Brecher hindurchkämpfen, die Sie und mich zu Brei zermalmen würden. Er war ein großartiger, strahlender Halbgott. Wir machten zusammen die Revolution mit. Beide waren wir romantische Königstreue. Er wurde zweimal angeschossen und zum Tode verurteilt. Aber er war ein zu großer Mann, als daß die Republikaner ihn hätten beseitigen können. Er lachte sie aus. Später erwiesen sie ihm die Ehre und machten ihn zum Sheriff von Kona. Er war ein einfacher Mensch, ein Junge, der nie erwachsen wurde. Er besaß kein kompliziertes Denkmuster. Seine Gedankengänge waren ohne Winkelzüge oder Spitzfindigkeiten. Er ging geradewegs auf eine Sache los, und seine Absichten waren immer leicht zu verstehen.
Und er war ein Optimist. Nie habe ich einen so zuversichtlichen Menschen mit einem so zufriedenen und glücklichen Naturell gekannt. Er verlangte nichts mehr vom Leben. Es gab nichts, was er sich noch wünschen konnte. Ihm war das Leben nichts schuldig geblieben. Es hatte ihn voll ausbezahlt, bar auf den Tisch und im voraus. Was konnte er sich mehr wünschen als einen prächtigen Körper, diese eiserne Konstitution, diese Widerstandskraft gegen alle gewöhnlichen Krankheiten, und diese durch und durch gesunde Seele?
Körperlich war er vollkommen. Er war nie im Leben krank gewesen. Er wußte nicht, was Kopfschmerzen sind. Wenn ich davon geplagt wurde, sah er mich immer verwundert an und brachte mich durch seine unbeholfenen Versuche, mir sein Mitgefühl zu zeigen, zum Lachen. So etwas wie Kopfschmerzen verstand er einfach nicht, konnte er nicht verstehen. Optimistisch? Kein Wunder. Wie konnte er auch anders sein bei dieser ungeheuren Lebenskraft und dieser sagenhaften Gesundheit?
Nur um Ihnen zu zeigen, wie fest er an seinen Glücksstern glaubte und wieviel Grund er auch zu diesem Glauben hatte, erzähle ich Ihnen folgende Geschichte. Er war damals ein junger Kerl - ich hatte ihn gerade kennengelernt -, als er bei einer Pokerrunde in Wailuku mitmachte. Zu der Runde gehörte auch ein dicker Deutscher namens Schultz, der brutal und selbstherrlich spielte. Noch dazu hatte er eine Glückssträhne gehabt und war ganz unerträglich, als Lyte Gregory dazukam und mitmachte. Gleich beim ersten Spiel gab Schultz den Einsatz vor. Lyte hielt mit, wie die anderen auch, und Schultz erhöhte so lange, bis sie paßten - alle, bis auf Lyte. Dem gefiel der Ton des Deutschen nicht, und er setzte dagegen. Daraufhin erhöhte Schultz, und Lyte überbot Schultz wieder. So ging es hin und her. Die Einsätze waren hoch. Und wissen Sie, was Lyte in der Hand hatte? Ein Paar Könige und drei niedrige Treffs. Das war kein Pokern. Lyte spielte nicht Poker. Er spielte seinen Optimismus aus. Er wußte nicht, was Schultz in der Hand hatte, aber er bot immer höher, bis er Schultz dazu brachte, nach neuen Karten zu fragen, und dabei hatte Schultz die ganze Zeit über drei Asse in der Hand. Stellen Sie sich das vor! Ein Mann mit einem Paar Könige zwingt drei Asse zum Kaufen.
Also gut, Schultz verlangte zwei neue Karten. Ein anderer Deutscher gab, obendrein ein Freund von Schultz. Da wußte Lyte, daß er gegen einen Dreierpasch spielte. Und was tat er?
Was hätten Sie getan? Drei Karten gekauft und natürlich die Könige behalten. Nicht so Lyte, er spielte ja seinen Optimismus aus. Er warf die Könige ab, behielt die drei niedrigen Treffs und zog zwei Karten. Er schaute sie sich nicht einmal an. Er sah zu Schultz hinüber und wartete auf dessen Einsatz, und Schultz setzte hoch. Da er selbst drei Asse besaß, wußte er, daß er Lyte schon in der Tasche hatte, denn er spielte gegen Lyte um drei gleiche Karten, und die mußten notgedrungen niedriger sein. Armer Schultz! Unter diesen Voraussetzungen hatte er ja völlig recht. Sein Irrtum war nur, daß er glaubte, Lyte spiele Poker. Fünf Minuten ging es hin und her, bis Schultz’ Sicherheit zu schwinden begann. Und die ganze Zeit über hatte Lyte noch keinen Blick auf seine beiden Karten geworfen, und Schultz wußte das. Ich konnte sehen, wie Schultz überlegte, neuen Mut faßte und noch höher einstieg. Doch die Spannung war zu groß für ihn.
>Hören Sie auf, Gregoryc, sagte er schließlich. >Ich hatte Sie schon von Anfang an geschlagen. Ich will nichts von Ihrem Geld. Ich habe - < >Es ist mir einerlei, was Sie haben, unterbrach ihn Lyte. >Sie wissen nicht, was ich habe. Ich denke, ich werd’ es mir jetzt einmal ansehen.
Das tat er und setzte noch weitere hundert Dollar gegen den Deutschen. Dann ging es wieder so weiter, hin und her und her und hin, bis Schultz nachgab, paßte und seine drei Asse hinlegte. Auch Lyte deckte seine fünf Karten auf. Sie waren alle schwarz. Er hatte noch zwei Treffs dazugekauft. Sie begreifen, daß er damit Schultz’ Poker-Nerv getroffen hatte. Der nämlich erreichte seine alte Form nie wieder. Danach fehlte es ihm einfach an Selbstvertrauen, und er war immer etwas unsicher.
>Aber wie war das nur möglich?< fragte ich Lyte hinterher. >Du wußtest doch, daß er dich geschlagen hatte, als er nur zwei Karten kaufte. Und außerdem hast du dir deine eigenen gar nicht angesehen.
>Ich brauchte sie nicht anzusehenc, entgegnete Lyte. >Ich wußte die ganze Zeit, daß es zwei Treffs waren. Es mußten einfach zwei Treffs sein. Glaubst du denn, ich wollte mich von diesem dicken Deutschen unterkriegen lassen? Unmöglich, daß er mich schlagen würde. Für gewöhnlich werde ich nicht besiegt. Ich muß einfach gewinnen. Also, es hätte für mich die größte Überraschung von der Welt bedeutet, wenn es nicht lauter Treffs gewesen wären.
So war Lyte, und vielleicht können Sie jetzt seinen ungeheuren Optimismus etwas besser begreifen. Wie er es darstellte, mußte er einfach Erfolg haben, gesund sein und vorwärtskommen. Und durch diesen Vorfall, wie auch durch zehntausend andere, sah er sich bestätigt. Die Sache war die, daß er tatsächlich Erfolg hatte, tatsächlich vorwärtskam. Das war der Grund, weshalb er sich vor nichts fürchtete. Ihm konnte einfach nie etwas zustoßen. Er wußte das, weil ihm noch nie etwas zugestoßen war. Damals, als die Luga untergegangen war und er achtundvierzig Kilometer weit schwamm, war er zwei volle Nächte und einen Tag im Wasser. Und während der ganzen Zeit verlor er nicht ein einziges Mal die Hoffnung, zweifelte nicht einen Augenblick an dem glücklichen Ausgang. Er wußte einfach, daß er es zum Land schaffen würde. Er hat es mir selbst erzählt, und ich bin sicher, daß es stimmte.
Ja, so ein Mensch war Lyte Gregory. Er war von anderem Schlag als die gewöhnlichen, geplagten Sterblichen. Er war ein göttliches Wesen, unberührt von alltäglichen Gebrechen und Mißgeschicken. Was er sich auch wünschte, er bekam es. Er eroberte seine Frau - eine Caruther, eine kleine Schönheit -, obwohl sich ein Dutzend Nebenbuhler um sie bewarben. Und sie widmete sich ganz ihm und wurde ihm die beste Frau von der Welt. Er wünschte sich einen Sohn, und er bekam ihn. Er wünschte sich eine Tochter und noch einen Sohn. Er bekam sie. Und sie waren prächtig, ohne Makel oder Fehler, mit Brustkästen wie kleine Fässer und mit dem ganzen Erbteil seiner eigenen Gesundheit und Kraft.
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