»Wen bringt Ihr uns da, Hans?« rief Georg von Frondsberg, indem er den hochgewachsenen, schönen, jungen Mann mit Teilnahme betrachtete.
»Seht ihn Euch einmal recht an, werter Herr«, antwortete Breitenstein, »ob Euch nicht beifällt, in welches Haus er gehören mag?«
Aufmerksamer betrachtete ihn der Feldhauptmann, auch der alte Truchseß von Waldburg wandte prüfend sein Auge herüber. Georg war schüchtern und blöde vor diese Männer getreten; aber sei es, daß die freundliche, zutrauliche Weise Frondsbergs ihm Mut machte, sei es, daß er fühlte, wie wichtig der Augenblick für ihn sei, er bekämpfte die Scham den Blicken so vieler berühmter Männer ausgesetzt zu sein, und sah ihnen entschlossen und mutig ins Gesicht.
»Jetzt, an diesem Blick erkenne ich dich«, sagte Frondsberg und bot ihm die Hand, »du bist ein Sturmfeder?«
»Georg Sturmfeder«, antwortete der junge Mann, »mein Vater war Burkhardt Sturmfeder, er fiel, wie man mir sagte, in Italien an Eurer Seite.«
»Er war ein tapferer Mann«, sprach der Feldhauptmann, dessen Auge immer noch sinnend auf Georgs Zügen ruhte, »an manchem warmen Schlachttag hat er treu zu mir gehalten, wahrlich sie haben ihn allzufrühe eingescharrt! Und du«, setzte er freundlicher hinzu, »du hast dich eingestellt, um seiner Spur zu folgen? Was treibt dich schon so frühe aus dem Neste und bist kaum flick?«
»Ich weiß schon«, unterbrach ihn Waldburg mit rauher, unangenehmer Stimme; »das Vögelein will sich ein paar Flöckchen Wolle suchen, um das alte Nest zu flicken!«
Diese rohe Anspielung auf die verfallene Burg seiner Ahnen jagte eine hohe Glut auf die Wangen des Jünglings. Er hatte sich nie seiner Dürftigkeit geschämt, aber dieses Wort klang so höhnend, daß er sich zum ersten Male dem reichen Spötter gegenüber recht arm fühlte. Da fiel sein Blick über Truchseß Waldburg hin durch die Scheiben auf jenes wohlbekannte Erkerfenster; er glaubte Mariens Gestalt zu erblicken und sein alter Mut kehrte wieder. »Ein jeder Kampf hat seinen Preis, Herr Ritter«, sagte er, »ich habe dem Bund Kopf und Arm angetragen; was mich dazu treibt, kann Euch gleichgültig sein.«
»Nun, nun!« erwiderte jener, »wie es mit dem Arm aussieht, werden wir sehen, im Kopfe muß es aber nicht so ganz hell sein, da Ihr aus Spaß gleich Ernst macht.«
Der gereizte Jüngling wollte wieder etwas darauf erwidern, Frondsberg aber nahm ihn freundlich bei der Hand: »Ganz wie dein Vater, lieber Junge, nun du willst zeitlich zu einer Nessel werden. [13] Es sind dies Frondsbergs eigene Worte, die er zu Götz von Berlichingen sprach, und die dieser in seiner Geschichte, Seite 83, anführt.
Und wir werden Leute brauchen, denen das Herz am rechten Flecke sitzt. Daß du dann nicht der letzte bist, darfst du gewiß sein.«
Diese wenigen Worte aus dem Munde eines durch Tapferkeit und Kriegskunst unter seinen Zeitgenossen hochberühmten Mannes, übten so besänftigende Gewalt über Georg, daß er die Antwort, die ihm auf der Zunge schwebte, zurückdrängte, und sich schweigend von der Tafel in ein Fenster zurückzog, teils um die Obersten nicht weiter zu stören, teils um sich genauer zu überzeugen, ob die flüchtige Erscheinung, die er vorhin gesehen, wirklich Marie gewesen sei?
Als Georg die Tafel verlassen hatte, wandte sich Frondsberg zu Waldburg: »Das ist nicht die Art, Herr Truchseß, wie man tüchtige Gesellen für unsere Sache gewinnt, ich wette, er ging nicht mit halb soviel Eifer für die Sache von uns, als er zu uns brachte.«
»Müßt Ihr dem jungen Laffen auch noch das Wort reden?« fuhr jener auf, »was braucht es da? er soll einen Spaß von seinem Oberen ertragen lernen.«
»Mit Verlaub«, fiel ihm Breitenstein ins Wort, »das ist kein Spaß, sich über unverschuldete Armut lustig zu machen, ich weiß aber wohl, Ihr seid seinem Vater auch nie grün gewesen.«
»Und«, fuhr Frondsberg fort, »sein Oberer seid Ihr ganz und gar noch nicht. Er hat dem Bunde noch keinen Eid geleistet, also kann er noch immer hinreiten, wohin er will; und wenn er auch unter Euren eigenen Fahnen diente, so möchte ich Euch doch nicht raten, ihn zu hänseln, er sieht mir nicht darnach aus, als ob er sich viel gefallen ließe!«
Sprachlos vor Zorn über den Widerspruch, den er in seinem Leben nie ertragen konnte, blickte Truchseß den einen und den andern an, mit so wutvollen Blicken, daß sich Ludwig von Hutten schnell ins Mittel warf, um noch ärgeren Streit zu verhüten: »Laßt doch die alten Geschichten!« rief er. »Oberhaupt wäre es gut, wir heben die Tafel auf. Es dunkelt draußen schon stark und der Wein wird zu mächtig. Dieterich Spät hat schon zweimal des Württembergers Tod ausgebracht, und die Franken dort unten sind nur noch nicht einig, ob man seine Schlösser niederbrennen oder verteilen soll.«
»Laßt sie immer«, lachte Waldburg bitter, »die Herren dürfen ja heute machen was sie wollen, Frondsberg wird ihnen doch das Wort reden.«
»Nein«, antwortete Ludwig Hutten; »wenn einer von so etwas reden darf, bin ich es, als der Bluträcher meines Sohnes; aber ehe noch der Krieg erklärt ist, müssen solche Reden unterbleiben. Mein Vetter Ulerich spricht mir auch zu heftig mit den Italienern, über den Mönch von Wittenberg, und er verschwatzt sich zu sehr, wenn er in Zorn geratet. Laßt uns aufbrechen.«
Frondsberg und Sickingen stimmten ihm bei, sie standen auf, und als die nächsten um sie her ihrem Beispiel folgten, war der Aufbruch allgemein.
Wollt ihr wissen was die Augen sein,
Womit ich sie sehe durch alle Land?
Es sind die Gedanken des Herzens mein,
Damit schau ich durch Mauer und Wand.
Walther von der Vogelweide
Georg hatte in dem Fenster, wohin er sich zurückgezogen, nicht so entfernt gestanden, daß er nicht jedes Wort der Streitenden gehört hätte. Er freute sich der warmen Teilnahme, mit welcher Frondsberg sich des unberühmten, verwaisten Jünglings angenommen hatte, zugleich aber konnte er es sich nicht verbergen, daß sein erster Schritt in die kriegerische Laufbahn ihm einen mächtigen, erbitterten Feind zugezogen hatte. Der Truchseß war zu bekannt im Heere wegen seines unversöhnlichen Stolzes, als das Georg hätte glauben dürfen, Huttens vermittelnde und besänftigende Worte haben jede Erinnerung an diesen Streit verlöscht, und daß Männer von Gewicht, wie Waldburg, in solchen Fällen, der vielleicht unschuldigen Ursache ihres Zornes die Schuld nicht erlassen, war ihm aus manchen Fällen wohlbekannt. Ein leichter Schlag auf seine Schulter unterbrach seine Gedanken und er sah, als er sich umwandte, seinen freundlichen Nebensitzer, den Schreiber des Großen Rates vor sich.
»Ich wette, Ihr habt Euch noch nach keinem Quartier umgesehen«, sprach Dieterich von Kraft, »und es möchte Euch auch jetzt etwas schwer werden, denn es ist bereits dunkel und die Stadt ist überfüllt.«
Georg gestand, daß er noch nicht daran gedacht habe, er hoffe aber, in einer der öffentlichen Herbergen noch ein Plätzchen zu bekommen.
»Da möchte ich doch nicht so sicher darauf bauen«, entgegnete jener, »und gesetzt, Ihr fändet auch in einer solchen Schenke einen Winkel, so dürft Ihr doch sicherlich darauf rechnen, daß Ihr schlecht genug bedient seid. Aber wenn Euch meine Wohnung nicht zu gering scheint, so steht sie Euch mit Freuden offen.«
Der gute Ratsschreiber sprach mit so viel Herzlichkeit, daß Georg nicht Anstand nahm, sein Anerbieten anzunehmen, obgleich er beinahe befürchtete, die gastfreundliche Einladung möchte seinen Wirt gereuen, wenn die gute Laune zugleich mit den Dünsten des Weines verflogen sein werde. Jener aber schien über die Bereitwilligkeit seines Gastes hoch erfreut; er nahm mit einem herzlichen Handschlag seinen Arm und führte ihn aus dem Saal.
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