Der Mond schien hell auf die versammelte Menge herab, die unruhig hin und her wogte. Ein verworrenes Gemurmel drang von ihnen in die Lüfte; noch schienen sie unschlüssig, vielleicht weil keiner kühn genug war, sich an die Spitze zu stellen. Aus den hohen Giebelhäusern, die den Platz einschlossen, schauten viele hundert Köpfe auf den Markt hernieder; es waren die Weiber und Töchter der Versammelten, die ängstlich und gespannt auf das Gemurmel lauschten. Denn die Stuttgarter Mädchen waren damals ein neugieriges Völkchen und hielten es im Herzen aus Mitleiden mit dem Herzog.
Schon wurde das Murmeln der Menge immer lauter und verständlicher; der Ruf: »Wir wollen die Knechte vom Tor wegjagen und die Stadt dem Herzog auftun«, immer deutlicher, da sah man einen langen, hageren Mann auf eine Bank am Brunnen springen, wo er die ganze Menge überragte. Er focht mit ungeheuer langen Armen in der Luft umher, tat einen weiten Mund auf und schrie mit heiserer Stimme um Gehör. Es wurde nach und nach stiller auf dem Platz, man vernahm einzelne Worte aus seiner Rede: »Was? die ehrsamen Bürger von Stuttgart wollen ihren Eid brechen – habt ihr nicht dem Bunde geschworen? Wem wollet ihr die Tore öffnen? Dem Herzog? Er kommt mit ganz geringer Mannschaft, denn er hat ja kein Geld, um Leute zu bezahlen und da müsset dann ihr wieder den Beutel auftun und blechen! Da wird's heißen, Stuttgart zahlt zehntausend Gulden, weil es von uns abgefallen ist. Hört ihr? zehntausend Gulden sollt ihr zahlen!«
»Wer ist denn der lange Kerl?« fragten sich die Männer. – »Er hat nicht unrecht – werden tüchtig zahlen müssen. – Ist er ein Bürger, der da oben? Wer seid Ihr«, rief einer der Kühnsten; »woher wollt Ihr wissen, was wir zahlen müssen?«
»Ich bin der berühmte Doktor Calmus«, sprach der Redner mit feierlicher Stimme, »und weiß das ganz genau. Und wen wollt ihr vertreiben? Den Kaiser, das Reich, den Bund; so viele reiche Herren wollt ihr vor den Kopf stoßen? und warum? wegen dem Utz, der euch das Fell über die Ohren zieht; denkt nur an das geringere Gewicht, an die harten Jagdfrevel. Jetzt hat er gar kein Geld mehr; er ist ein Lump, hat alles verspielt in Mömpelgard –«
»Halt Er sein Maul«, schrieen die Bürger, »was geht das Ihn an, Er ist kein hiesiger Bürger, fort mit dem Kahlmäuser – schlagt ihn tot – werft ihn als Fisch in den Brunnen – der Herzog soll leben!«
Doktor Calmus erhob noch einmal seine Stimme, aber die Bürger überschrieen ihn. In diesem Augenblick kam ein neuer Trupp Bürger aus der obern Vorstadt herabgesprungen. »Der Herzog ist vor dem Rotenbildtor«, riefen sie, »mit Reiter- und Fußvolk. Wo ist der Statthalter? wo sind die Bundesräte? Er will in die Stadt schießen, wenn man nicht aufmacht! – Fort mit den Bündischen – wer ist gut württembergisch?«
Der Tumult wuchs von Sekunde zu Sekunde. Die Bürger schienen noch unschlüssig, da bestieg ein neuer Redner die Bank; es war ein feiner Herr, der durch sein schmuckes Äußere einen Augenblick den Bürgern imponierte: »Bedenket ihr Männer«, rief er mit feiner Stimme, »was wird der durchlauchtige Bundesrat dazu sagen, wenn ihr –«
»Was scheren wir uns um den Durchlauchtigen!« überschrie man ihn, »fort! reißt ihn herab mit dem rosenfarbenen Mäntelein und dem glatten Haar – das ist ein Ulmer! fort mit ihm – auf ihn, er ist von Ulm!«
Aber ehe sie noch diesen Entschluß ausführten, trat ein kräftiger Mann hinauf, warf mit einem Schlag den Doktor rechts und den Ulmer mit dem rosenfarbenen Mäntelein links von der Bank, und winkte mit der Mütze in die Luft. »Still! das ist der Hartmann«, flüsterten die Bürger, »der versteht's, hört was er spricht.«
»Höret mich!« sprach dieser; »der Statthalter und die Bundesräte sind nirgends zu finden, sie sind entflohen und haben uns im Stich gelassen, drum greifet diese beiden da, wir wollen sie als Geiseln behalten. Und jetzt hinauf ans Rotenbildtor. Dort steht unser rechter Herzog, 's ist besser wir machen selbst auf, als daß er mit Gewalt eindringt, wer ein guter Württemberger ist, folgt mir nach.«
Er stieg herab von der Bank, und jubelnd umgab ihn die Menge; die beiden Fürsprecher des Bundes wurden, ehe sie sich dessen versahen, gebunden und fortgeführt. Jetzt ergoß sich der Strom der Bürger vom Marktplatz zum obern Tor, hinaus über den breiten Graben der alten Stadt in die Turnieracker-Vorstadt, am Bollwerk vorbei zum Rotenbildtor. Die bündischen Knechte, die das Tor besetzt hielten, wurden schnell übermannt, das Tor ging auf, die Zugbrücke fiel herab und legte sich über den Stadtgraben.
Dort hatten indessen die Anführer des Fußvolkes ihre besten Truppen aufgestellt, denn man wußte nicht genau, wie die Bündischen sich bei der Annäherung des Herzogs benehmen werden. Ulerich selbst hatte die Posten beritten. Vergeblich suchte Georg von Sturmfeder ihn zu überzeugen, daß die Besatzung von Stuttgart so schwach sei, daß sie ihnen nicht die Spitze bieten könne, vergeblich stellte er ihm vor, daß die Bürger ihn zurücksehnen, und willig ihre Tore öffnen werden; der Herzog schaute finster in die Nacht hinaus, preßte die Lippen zusammen und knirschte mit den Zähnen.
»Das verstehst du nicht«, murmelte er dem Jüngling zu; »du kennst die Menschen nicht; sie sind alle falsch, traue niemand als dir selbst. Sie drehen den Mantel nach jedem Wind! – Aber diesmal will ich sie fassen; meinst du, ich habe mein Land umsonst mit dem Rücken angesehen?«
Georg konnte diese Stimmung des Herzogs nicht begreifen. Im Unglück war er fest, sogar mild und sanft gewesen, hatte von manchem schönen Brauch gesprochen, den er einführen wolle, wenn er wieder ins Land komme, hatte selten Zorn über seine Feinde, beinahe nie Unmut über die Untertanen gezeigt, die von ihm abgefallen waren; aber sei es, daß mit dem Anblick der vaterländischen Gegenden auch das Gefühl der Kränkung stärker als zuvor in ihm erwachte, sei es, daß es ihm unangenehm auffiel, daß der Adel und die Stände noch nichts hatten von sich hören lassen, er war, seit er die Grenzen Württembergs überschritten, nicht freudig, gehoben, erwartungsvoll, sondern ein stolzer Trotz blitzte aus seinen Augen, seine Stirne war finster, und eine gewisse Strenge und Härte im Urteil, fiel seinen Umgebungen, besonders Georg von Sturmfeder auf, der sich in diese neue Seite von Ulerichs Charakter nicht gleich zu finden wußte.
Die Aufforderung an die Stadt mochte wohl schon seit einer halben Stunde ergangen sein; bald war die Frist abgelaufen, die er ihnen gegeben hatte, und noch immer war keine Antwort da; man hörte nur ein ängstliches Hin- und Herrennen in der Stadt, aus welchem man weder gute noch böse Zeichen deuten konnte.
Der Herzog ritt zu den Landsknechten vor, die erwartungsvoll auf ihren Hellebarden und Donnerbüchsen lehnten. Die drei Ritter, welche sie führten, standen am Graben, und hielten durch ihre Anwesenheit die Knechte in Ruhe und Ordnung. Beim Schein des Mondes betrachtete Georg ängstlich Ulerichs Züge. Die Ader auf seiner Stirne war aufgelaufen, eine tiefe Röte lag auf seinen Wangen, und seine Augen brannten in düsterer Glut.
»Hewen! laß Leitern anschleppen«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Der Donner und das Wetter! es ist mein eigen Haus, vor dem ich stehe, und die Hunde wollen mich nicht einlassen. Ich laß noch einmal blasen, machen sie dann nicht sogleich auf, so schmeiß ich Feuer in die Stadt, daß ihre Käfigte zusammenbrennen.«
»Bassa manelka, waz mich daz freut!« sagte der lange Peter, der in der ersten Rotte neben dem Herzog stand, leise zu seinen Kameraden. »Jetzt werden Leitern beigeschleppt, wie die Katzen wir hinauf, mit den Hellebarden über die Mauer gestochen, daz die Kerl herunter müssen, mit den Büchsen drein gepfeffert, Canto cacramento!«
»Dat will ik meenen!« flüsterte der Magdeburger, »und dann hinunter in die Stadt, angezündet an den Ecken, geplündert gebürstet! da will ik man och bei sin.«
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