»Du kommst ihm näher.«
»Erlaubt Ihr mir, um eine Gunst zu ersuchen?«
»Wer könnte dich daran hindern?«
»Würdet Ihr Eurer baldigen Ernennung zum Trotz einwilligen, Geschworener zu werden?« Der alte Meister heftete den Blick nachdenklich auf seinen Schutzstern Saturn, der mit ungewöhnlichem Glanz funkelte. »Solltest du daran gezweifelt haben?«
Brav konnte sich an die Gegenwart des Babuins unter seinem Dach nicht gewöhnen; da sein Herr ihn jedoch duldete, bekundete er keinerlei Feindseligkeit. Kem begnügte sich damit, stillschweigend festzustellen, daß diese Verhandlung schierer Irrsinn war. Welche Kühnheit Paser auch beweisen mochte, er stand noch nicht lange genug in seinem Beruf, um hier die Oberhand zu behalten. Obwohl der Richter die Mißbilligung des Nubiers spürte, fuhr er dennoch fort, seine Waffen zu schärfen, während der Gerichtsschreiber ihm nunmehr gewissenhaft überprüfte Niederschriften und Aufstellungen lieferte. Der Älteste der Vorhalle würde aus jeder formalen Unvollkommenheit Nutzen schlagen.
Die Ankunft des Obersten Arztes Neb-Amun war alles andere als unauffällig. Erlesen gekleidet und mit einer wohlduftenden Perücke auf dem Haupt, trat er offensichtlich recht verärgert in die Amtsstube.
»Ich würde gerne unter vier Augen mit Euch sprechen.«
»Ich bin stark beschäftigt.«
»Es ist dringend.«
Paser ließ von einem Papyrus ab, der über die Gerichtsverhandlung gegen einen Vornehmen berichtete, welcher angeklagt worden war, im Namen des Königs Ländereien bewirtschaftet zu haben, die ihm nicht gehörten; trotz seiner Stellung bei Hofe, oder gerade wegen dieser, waren seine Güter beschlagnahmt und er selbst zur Verbannung verurteilt worden. Die eingelegte Berufung hatte nichts daran geändert.
Die beiden Männer schlenderten durch eine ruhige, vor der Sonne geschützte Straße. Kleine Mädchen spielten mit ihren Puppen; ein mit Körben voller Gemüse beladener Esel trottete vorüber; ein Greis schlummerte auf der Schwelle seines Hauses. »Wir haben uns nicht richtig verstanden, mein teurer Paser.«
»Ich beklage wie Ihr, daß Dame Sababu damit fortfährt, ihr verwerfliches Gewerbe auszuüben, doch es gibt kein Gesetz, das mir erlaubte, sie deswegen anzuklagen. Sie bezahlt Steuern und stört die öffentliche Ordnung nicht. Ich habe mir sogar sagen lassen, daß einige Heilkundige von Rang und Namen in ihrem Haus des Bieres verkehrten.«
»Und Neferet? Ich hatte Euch gebeten, ihr zu drohen!«
»Ich hatte Euch versprochen, mein Bestes zu tun.«
»Mit glänzendem Erfolg! Einer meiner thebanischen Standesbrüder stand im Begriff, ihr ein Amt im Siechenhaus von Der el-Bahri zu geben. Zum Glück bin ich rechtzeitig eingeschritten. Wißt Ihr, daß sie den Argwohn bewährter Heilkundiger erregt?«
»Demnach anerkennt Ihr also ihre Fähigkeiten?«
»So begabt Neferet sein mag, sie ist und bleibt eine Außenseiterin.«
»Ich habe nicht den Eindruck.«
»Eure Gefühle sind mir einerlei. Wenn man sich beruflich aufzuschwingen wünscht, beugt man sich den Weisungen einflußreicher Männer.«
»Ihr habt recht.«
»Ich will Euch gerne eine letzte Möglichkeit einräumen, aber enttäuscht mich nicht noch einmal.«
»Ich verdiene sie nicht.«
»Vergeßt diesen Mißerfolg und handelt.«
»Ich bin allerdings unschlüssig.«
»Worüber?«
»Über meine Laufbahn.«
»Folgt meinen Ratschlägen, und Ihr werdet keine Sorgen mehr haben.«
»Ich werde mich damit begnügen, Richter zu sein.«
»Ich sehe nicht recht …«
»Behelligt Neferet nicht weiter.«
»Verliert Ihr Euren Verstand?«
»Nehmt meine Mahnung nicht auf die leichte Schulter!«
»Euer Betragen ist töricht, Paser! Ihr tut unrecht daran, eine zum bittersten Scheitern verdammte Frau zu unterstützen. Neferet hat keinerlei Zukunft; wer sein Geschick an das ihre bindet, wird hinweggefegt.«
»Der Groll verwirrt Euch Euren Geist.«
»Niemand hat je in diesem Ton mit mir gesprochen! Ich verlange eine Entschuldigung!«
»Ich versuche nur, Euch zu helfen.«
»Mir helfen?«
»Ich merke, wie Ihr dem Verfall entgegengleitet!«
»Ihr werdet Eure Worte noch bereuen!«
Denes überwachte das Löschen eines seiner Frachtschiffe. Seine Seeleute sputeten sich, da sie bereits am nächsten Morgen wieder gen Süden ablegen mußten, um eine günstige Strömung auszunutzen. Die Ladung Hausrat und Spezereien wurde zu einem neuen Speicher geschafft, den der Warenbeförderer vor kurzem erworben hatte. Schon bald würde er einen seiner grimmigsten Nebenbuhler schlucken und so das Reich vergrößern, das er seinen beiden Söhnen vermachen wollte. Dank der Beziehungen seiner Gemahlin festigte er Tag um Tag seine Bande zur hohen Verwaltung und würde bei seiner Ausweitung keinerlei Hindernissen begegnen.
Es lag nicht in der Gewohnheit des Ältesten der Vorhalle, durch die Hafenanlagen zu schlendern. Sich wegen eines Gichtanfalls beim Gehen auf einen Stock stützend, trat der Gerichtsbeamte auf Denes zu. »Ihr solltet hier nicht stehen bleiben, sie werden Euch noch umstoßen.«
Denes nahm den Ältesten beim Arm und führte ihn in jenen Teil des Stapelhauses, in dem die Einlagerung bereits beendet war. »Weshalb besucht Ihr mich?«
»Ein verhängnisvolles Geschehen steht bevor.«
»Bin ich darin verwickelt?«
»Nein, doch Ihr müßt mir helfen, ein Unglück zu verhindern. Morgen sitzt Paser dem Gericht vor. Ich kann ihm die Durchführung eines Verfahrens, das er den Vorschriften entsprechend beantragt hat, nicht verwehren.«
»Wer ist der Beschuldigte?«
»Er wahrt Stillschweigen über den Beklagten wie über den Kläger. Den Gerüchten zufolge ist angeblich die Sicherheit des Reiches betroffen.«
»Welch irres Gerede. Wie könnte ein niederer Richter einen Vorgang von solcher Tragweite bearbeiten?«
»Hinter seinem zurückhaltenden Gehabe ist Paser ein Widder. Er stürmt geradewegs auf sein Ziel zu, und kein Hindernis hält ihn auf.«
»Solltet Ihr etwa besorgt sein?«
»Dieser Richter ist gefährlich. Er erfüllt sein Amt wie einen heiligen Auftrag.«
»Ihr habt doch fürwahr andere dieses Schlages erlebt! Allesamt haben sie sich rasch die Hörner abgestoßen.«
»Dieser hier ist härter als Granit. Ich habe bereits Gelegenheit gehabt, dies zu prüfen; er widersteht allem auf seltsame Weise. An seiner Stelle wäre ein junger, um seine Laufbahn bekümmerter Richter zurückgeschreckt. Glaubt mir, er ist ein Quell an Verdrießlichkeiten.«
»Ihr seht zu düster.«
»Diesmal nicht.«
»Und womit kann ich Euch dienlich sein?«
»Da ich meine Einwilligung gebe, daß Paser unter der Vorhalle Gericht hält, steht mir das Recht zu, zwei Geschworene zu benennen. Ich habe bereits Monthmose ausgewählt, dessen gesunder Menschenverstand uns unerläßlich sein wird. Mit Euch würde ich mich beruhigter fühlen.«
»Morgen ist das unmöglich: eine Ladung kostbarer Gefäße, die ich Stück für Stück nachsehen muß; aber meine Gemahlin wird wahre Wunder vollbringen.«
Paser stellte Monthmose die Vorladung selbst zu. »Ich hätte meinen Gerichtsschreiber schicken können, aber unsere freundschaftlichen Beziehungen verpflichteten mich zu mehr Herzlichkeit.«
Der Vorsteher der Ordnungskräfte bat den Richter nicht, sich zu setzen.
»Scheschi wird als Zeuge erscheinen«, fuhr Paser fort. »Da nur Ihr wißt, wo er sich aufhält, werdet Ihr ihn zum Gericht bringen. Ansonsten werden wir uns genötigt sehen, durch die Ordnungskräfte nach ihm fahnden zu lassen.«
»Scheschi ist ein verständiger Mann. Wenn Ihr dies auch wärt, würdet Ihr auf eine Verhandlung verzichten.«
»Der Älteste der Vorhalle hat befunden, daß diese durchaus rechtens ist.«
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