Kämpferisch suchte Sethi nach dem mit der Bewachung des Eingangs betrauten Soldaten. Niemand verwehrte den Zugang zu dem recht heruntergekommenen Gebäude. Auf einem steinernen Brunnenrand saßen zwei Greise und plauderten. »Welche Einheit weilt hier?« Der Älteste lachte schallend auf. »Eine Heerschar von Altgedienten und Fußkranken, mein Bürschchen! Man pfercht uns hier ein, bevor man uns in die Heimat entläßt. Lebt wohl, ihr Straßen Asiens, ihr Gewaltmärsche und dürftigen Verpflegungen. Bald werden wir uns an einem kleinen Garten, einer Magd, frischer Milch und gutem Gemüse erfreuen können.«
»Und wo ist der Verantwortliche der Kaserne?«
»Dort, in dem Gemäuer da, hinter dem Brunnen.« Der Richter stellte sich einem müden Hauptmann vor.
»Besuche sind eher selten.«
»Ich bin Richter Paser und wünsche, Eure Lager zu durchsuchen.«
»Lager? Versteh’ ich nicht.«
»Ein Mann namens Scheschi betreibt eine Wirkstätte in dieser Kaserne.«
»Scheschi? Kenn’ ich nicht.« Paser beschrieb den Metallforscher. »Ach, der! Der kommt nachmittags und verbringt die Nacht hier, das ist wahr. Befehl von oben. Ich, ich führe nur Anweisungen aus.«
»Öffnet mir die Räumlichkeiten.«
»Ich habe den Schlüssel nicht.«
»Führt mich hin.«
Eine massive Holztür versperrte den Eingang von Scheschis unterirdischer Wirkstätte. Auf einer Tontafel vermerkte Paser das Jahr, den Monat, den Tag und die Stunde seines Einschreitens sowie eine Ortsbeschreibung. »Öffnet!«
»Das darf ich nicht.«
»Ich schütze Euch.«
Sethi half dem Hauptmann. Mit einer Lanze brachen sie den hölzernen Riegel auf. Paser und Sethi traten hinein. Kem und der Pavian bezogen Wache.
Esse, Schmelzöfen, eine Vorratskammer für Holzkohle und Palmrinde, Schmelztiegel, Werkzeug aus Kupfer: Scheschis Forschungsstätte schien gut ausgestattet. Überall herrschten Ordnung und Sauberkeit. Schon nach kurzer Durchsuchung konnte Sethi die rätselhafte Kiste ausfindig machen, die von einer Kaserne zur anderen geschafft worden war. »Ich bin aufgeregter als ein unschuldiger Jüngling vor seinem ersten Mädchen.«
»Einen Augenblick.«
»Man hält nicht so kurz vor dem Ziel inne!«
»Ich fasse zuerst meinen Bericht ab: Zustand der Örtlichkeit und Standort der verdächtigen Gegenstände.«
Kaum hatte Paser zu schreiben aufgehört, nahm Sethi auch schon den Deckel der Kiste ab. »Eisen … eherne Barren! Und nicht irgendeines!« Sethi wog einen Barren mit der Hand ab, betastete ihn, benetzte ihn mit seinem Speichel, kratzte mit dem Fingernagel daran. »Es stammt nicht aus den vulkanischen Felsen der Wüste des Ostens! Das ist das Eisen aus der Überlieferung, von der man sich im Dorf erzählte, das Eisen des Himmels!«
»Fallende Sterne [65] Ägyptischer Ausdruck für Meteoriten; zunächst wurde in Ägypten nur Meteoreisen verwendet, die Verhüttung ist erst vom 6. Jh. v. Chr. an belegt. (Anm. d. Ü.)
«, stellte Paser fest. »Ein wahrhaftiges Vermögen.«
»Mit diesem besonderen Eisen schmieden die Priester des Hauses des Lebens die Ehernen Stricke, die PHARAO zum Himmelsaufstieg benutzt. Wie kann es nur im Besitz eines einfachen Metallforschers sein?«
Sethi war wie gebannt.
»Ich kannte dessen Eigenschaften, doch ich hätte nie gewagt, es mir in meinen Händen vorzustellen.«
»Es gehört uns nicht«, erinnerte Paser. »Dies sind Beweisstücke; Scheschi wird sich über deren Herkunft auslassen müssen.«
Auf dem Grund der Kiste lag ein eherner Dächsel. Das Schreinerwerkzeug diente dazu, den Mund und die Augen der Mumie zu öffnen, wenn der sterbliche Leib, durch die Rituale wiedererweckt, sich in ein Wesen aus Licht verwandelte. Weder Paser noch Sethi wagten, es zu berühren. War das Werkzeug geweiht worden, dann war es mit überirdischen Kräften behaftet.
»Wir sind lächerlich«, meinte der Offizier der Streitwagentruppe. »Es ist doch bloß Metall.«
»Du hast vielleicht recht, doch ich werde mich nicht daran wagen.«
»Was schlägst du vor?«
»Die Ankunft des Verdächtigen abzuwarten.«
Scheschi kam allein.
Als er die Tür seiner Wirkstätte offenstehen sah, machte er sofort auf dem Absatz kehrt und versuchte zu fliehen. Er stieß jedoch auf den Nubier, der ihn in die Räumlichkeit zurücktrieb. Der Babuin knabberte währenddessen teilnahmslos Rosinen. Sein Verhalten zeigte an, daß sich kein Verbündeter des Forschers in der Nähe herumtrieb.
»Es mißfällt mir nicht, Euch wiederzusehen«, sagte Paser. »Ihr habt eine gewisse Neigung zum Ortswechsel.«
Scheschis Blick wandte sich der Kiste zu. »Wer hat Euch erlaubt …?«
»Richterliche Durchsuchung.«
Der Mann mit dem kleinen Schnurrbart hatte seine Regungen gut in der Gewalt. Er blieb ruhig, eisig kalt. »Die richterliche Durchsuchung ist eine außergewöhnliche Maßnahme«, bemerkte er gezwungen.
»Wie Eure Tätigkeit.«
»Dies ist nur ein Nebenraum zu meiner amtlichen Wirkstätte.«
»Ihr habt eine Vorliebe für Kasernen.«
»Ich schaffe die Waffen der Zukunft; deshalb auch habe ich die dementsprechenden Genehmigungen der Streitkräfte erhalten. Prüft es nach, und Ihr werdet feststellen, daß diese Räumlichkeiten genau vermerkt sind und meine Versuche gefördert werden.«
»Das bezweifele ich nicht, doch Ihr werdet nicht zum Erfolg gelangen, indem Ihr das Eisen des Himmels verwendet. Dieser Stoff ist dem Tempel vorbehalten, das gleiche gilt für den auf dem Boden dieser Kiste versteckten Dächsel.«
»Der gehört mir nicht.«
»War Euch dessen Vorhandensein nicht bekannt?«
»Man hat ihn hier ohne mein Wissen hinterlegt.«
»Falsch«, griff Sethi ein. »Ihr selbst habt dessen Verlegung angeordnet. In diesem abgelegenen Winkel glaubtet Ihr ihn sicher.«
»Bespitzelt Ihr mich?«
»Woher stammt dieses Eisen?« fragte Paser. »Ich weigere mich, auf Eure Fragen zu antworten.«
»In dem Fall seid Ihr wegen Diebstahls, Hehlerei und Behinderung des ordnungsgemäßen Gangs einer Ermittlung verhaftet.«
»Ich werde alles abstreiten, und Eure Anklage wird verworfen.«
»Entweder Ihr folgt mir, oder ich bitte meinen nubischen Ordnungshüter, Euch die Hände zu binden.«
»Ich werde nicht fliehen.«
Das Verhör zwang den Gerichtsschreiber Iarrot, Mehrarbeit zu leisten, während seine Tochter doch, als beste ihres Tanzunterrichts, eine Vorstellung auf dem großen Platz des Viertels geben sollte. Mißmutig beugte er sich und mußte sich dennoch nicht ans Werk machen, da Scheschi auf keine einzige Frage antwortete und sich hinter beharrlichem Schweigen verschanzte. Geduldig drang Paser weiter in ihn ein. »Wer sind Eure Helfershelfer? Eisen von solcher Güte zu hinterziehen ist nicht das Werk eines einzelnen Menschen.«
Scheschi blickte Paser durch seine halbgeschlossenen Lider an. Er wirkte wie eine der Mauern der Festung des Herrschers.
»Irgend jemand hat Euch dieses kostbare Metall anvertraut. In welcher Absicht? Als Eure Forschungen greifbare Ergebnisse gezeitigt haben, habt Ihr Eure Gefolgsleute fortgeschickt und dabei Qadaschs versuchten Diebstahl zum Vorwand genommen, um sie der Unfähigkeit zu bezichtigen. Somit unterlagen Eure Tätigkeiten niemandes Aufsicht mehr. Habt Ihr dieses Dächselbeil hergestellt, oder habt Ihr es gestohlen?«
Sethi hätte den Stummen mit dem schwarzen Schnurrbart liebend gern geschlagen, doch Paser wäre dazwischengetreten.
»Qadasch und Ihr seid Freunde seit langem, ist es nicht so? Er wußte um das Vorhandensein Eures Schatzes und hat danach getrachtet, ihn zu entwenden. Es sei denn, Ihr hättet allen etwas vorgespielt, um als Opfer dazustehen und jeden hinderlichen Zeugen aus Eurer Wirkstätte zu vertreiben.« Auf einer Matte sitzend, die Beine unter sich angezogen, blieb Scheschi bei seinem Verhalten. Er wußte, daß der Richter nicht das Recht besaß, irgendeine Form von Gewalt anzuwenden. »Trotz Eurer Stummheit, Scheschi, werde ich die Wahrheit aufdecken.«
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