Der rote Eber spielte seine Rolle vortrefflich; vom Schrecken beflügelt, und gehetzt von zehn grimmigen Eberhunden, die durch Hörnerschall und Weidruf der Jäger noch wütender gemacht wurden, floh er mit Sturmeseile dahin und würde, hätte ihn sein Heroldsrock, die schlechteste Tracht, die es für einen Läufer geben kann, nicht gehindert, vielleicht wohlbehalten den Hunden entkommen sein; auch machte er mehr als einmal zur großen Zufriedenheit der Zuschauer einen Widerlauf; endlich vermochte ihn seine Schnelligkeit aber nicht länger vor den Fängen seiner Verfolger zu retten: sie packten ihn, rissen ihn zu Boden und hätten ihn wahrscheinlich in Stücke zerrissen, hätte nicht der Herzog gerufen:»Stock dazwischen! macht sie los von ihm! — Er hat sich so wacker im Laufen gezeigt, daß, obgleich die rechte Jagd noch nicht angefangen, Wir ihn doch nicht drauf gehen lassen wollen.«
Mehrere Hofbeamte waren sogleich beschäftigt, die Hunde von ihm loszureißen; man sah, wie sie einige zusammenkoppelten und andere verfolgten, die, durch die Straße laufend, die Fetzen des gestickten Wappenrocks, den der unglückliche Mann zur bösen Stunde angelegt hatte, im Triumph herumschleppten.
In diesem Augenblicke und während der Herzog mit dem, was vor seinen Augen vorging, zu sehr beschäftigt war, als daß er hätte darauf achten können, was hinter ihm geschah, schlich sich Oliver le Dain hinter den König und flüsterte ihm ins Ohr:»Es ist der Zigeuner Hayraddin Maugrabin! Es wäre nicht gut, wenn er mit dem Herzog zu sprechen käme.«—»Er muß sterben, «antwortete Ludwig in demselben Tone.»Tote sagen nichts.«
Einen Augenblick später trat Tristan l'Hermite, welchem Oliver einen Wink gegeben hatte, vor den König und den Herzog und sprach mit dem ihm eigenen Tone:»Mit Ew. Majestät und Ew. Hoheit Wohlvernehmen, dies Stück Wildbret ist mein — ich mache Anspruch darauf — er trifft mein Zeichen — die Lilie ist ihm auf der Schulter eingebrannt, wie jedermann sehen kann. Er ist ein bekannter Bösewicht, hat königliche Untertanen erschlagen, Kirchen beraubt, Jungfrauen geschändet, Wild in dem königlichen Tiergarten erlegt — «
«Genug, genug, «fiel Herzog Karl ein,»er ist aus vielen Gründen meines königlichen Vetters Eigentum. Was will Ew. Majestät mit ihm vornehmen?«—»Wenn er zu meiner Verfügung steht, «sagte der König,»so will ich ihm bloß eine Lektion in der Wappenkunde geben, in der er so unerfahren ist — ihm nur erklären, und zwar praktisch, was ein Kreuzbalken mit herabhängender Schleife zu bedeuten hat.«—»Den er nicht tragen, sondern der ihn tragen soll — laßt ihn unter Eurem Gevatter Tristan die Stufen nehmen, — er ist ein gründlicher Lehrer in solchen Geheimnissen. «So rief der Herzog mit einem grinsenden Gelächter über seinen eigenen Witz; und Ludwig stimmte so herzlich ein, daß sein Nebenbuhler sich nicht enthalten konnte, ihn freundlich anzusehen und zu sagen:»O Ludwig, Ludwig, wollte Gott, Du wärst ein ebenso zuverlässiger Monarch, als Du ein lustiger Gesellschafter bist! Ich muß mich oft noch der fröhlichen Zeit erinnern, die wir zusammen verlebten.«—»Die könnt Ihr wieder zurückbringen, wenn Ihr wollt, «sagte Ludwig;»ich will Euch so gute Bedingungen gewähren, als Ihr in meiner gegenwärtigen Lage nur immer von mir verlangen könnt, und will Euch die Erfüllung auf die heilige Reliquie schwören, die ich immer bei mir trage als ein Fragment des wahren Kreuzes.«
Hier zog er ein kleines goldenes Reliquienkästchen hervor, das er an einer goldenen Kette von seinem Halse herab gleich über dem Hemd hängen hatte, küßte es andachtsvoll und sagte dann:»Nie ward ein falscher Eid auf diese heiligste Reliquie geschworen, ohne daß er noch in demselben Jahre gerächt worden wäre.«
«Wohl denn, Vetter, «antwortete der Herzog,»wollt Ihr mit mir ausziehen, den Mörder von der Mark und die Lütticher zu züchtigen?«—»Ich will, «sagte Ludwig,»mit dem Bann von Frankreich und wehender Oriflamme.«—»Nein, nein, «sagte der Herzog,»das ist mehr, als nötig oder rätlich sein dürfte. Eure schottische Leibwache und zweihundert auserlesene Lanzen dürften hinreichen; ein großes Heer möchte — «—»Mich frei machen, wollt Ihr sagen, lieber Vetter?«sagte der König.»Wohl, Ihr sollt die Zahl meines Gefolges bestimmen.«—»Und um die schöne Unheilstifterin uns vom Halse zu schaffen, so willigt Ihr ein, daß sie sich mit dem Herzog von Orleans vermählt?«
«Lieber Vetter, «sagte der König,»Ihr seht meine Nachgiebigkeit auf eine harte Probe. Der Herzog ist der verlobte Bräutigam meiner Tochter Johanna. Seid großmütig — gebt diesen Punkt auf, und laßt uns lieber von den Städten an der Somme sprechen.«
«Darüber wird mein Rat mit Ew. Majestät Rücksprache! nehmen; mir selbst liegt eine Gebietserweiterung weniger am Herzen, als erlittene Unbilden wieder gut zu machen. Ihr habt Einverständnis mit Vasallen unterhalten, und es muß Ew. Majestät zum Vergnügen gereichen, über die Hand einer burgundischen Mündel verfügen zu können. Vermählt sie denn mit einem Mitgliede Eurer eignen Familie, da Ihr Euch einmal in die Sache gemischt habt — dann sind wir wieder Vettern und Freunde; andernfalls sind unsere Verhandlungen angebrochen.«—»Danken wir dem Himmel!«sagte Ludwig,»der die Herzen der Fürsten lenkt, sie gnadenvoll zum Frieden und zur Milde hinneigt und das Vergießen von Menschenblut abwendet. — Oliver, «raunte er beiseite seinem Günstling zu,»sage Tristan, er solle mit dem Zigeuner schnell zu Ende kommen!«
«Gott sei gelobt, daß er uns Kraft verlieh, zu lachen und andre mit unserm Lachen anzustecken, und Schimpf und Schande über den Tropf, der das Amt des Narren verachtet! da haben wir nun mal einen Jux, wenn auch gerade keinen großartigen! aber er mag hingehen, denn er hat zwei Fürsten amüsiert! — und es ist ihm doch besser als tausend Gründen der hohen Politik gelungen, einem Kriege zwischen Frankreich und Burgund vorzubeugen.«
So Narr Glorieux! und zwar in dem Augenblicke, als er die burgundischen Wachen von Peronne abziehen sah, nachdem die Versöhnung erfolgt war und der König aus dem verhängnisvollen Hubertusturme wieder ausziehen durfte. Ja, die Freundschaft war, wenigstens nach außen, zwischen dem Herzoge Karl von Burgund und seinem Oberlehnsherrn wieder hergestellt; immerhin bemerkte der letztere, wenn er auch mit zeremonieller Ehrerbietung behandelt wurde, recht gut, daß er nach wie vor ein Gegenstand des Argwohns blieb, aber er besaß Klugheit genug, es nicht merken zu lassen und sich völlig unbefangen zu benehmen.
Mittlerweile sollte es eine der bei dieser Komödie mitwirkenden Nebenpersonen verspüren, daß es immer eine schlechte Sache ist, für große Herrn die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das war Hayraddin Maugrabbin, der von den herzoglichen Beamten dem königlichen Generalprofoßen überantwortet wurde, um ihn ohne Verzug vom Leben zum Tode zu bringen. Es dauerte nicht lange, so wurde eine Eiche ausfindig gemacht, die, wie Petit-André sich witzig ausdrückte, solche Eichel ganz gut zu tragen vermöge. Der Unglückliche mußte sich auf eine Bank setzen, während der Profoß mit seinen beiden Gehilfen die zur letzten Katastrophe notwendigen Anstalten traf. Da warf Hayraddin einen Blick auf die umherstehende Menge und begegnete Quentin Durwards Augen, der in den Zügen des entlarvten Verbrechers diejenigen seines treulosen Führers wiederzufinden meinte und sich dem Zuge angeschlossen hatte, um Zeuge von der Hinrichtung zu sein und sich von der Identität des Wichtes zu überzeugen… Als die beiden Henker ihm sagten, es sei nun alles bereit, er möchte sich auf die letzten Augenblicke vorbereiten, da bat sie der Delinquent noch um eine letzte Gefälligkeit…
«Was sich mit unserer Pflicht verträgt, mein Sohn, «antwortete ihm Trois-Echelles,»das soll Dir werden.«—»Sehr gütig, «erwiderte der Zigeuner. — »Wir riskieren freilich, daß wir deshalb einen Wischer bekommen, «meinte Petit-André,»aber darauf soll's nicht ankommen. Für solchen fixen Kerl, der sich mit einem Schwung aus dem Leben befördert, könnt ich fast selber mein Leben lassen.«—»Solltet Ihr etwa einen Beichtvater wünschen, «meinte Trois-Echelles. — »Oder einen Pfiff Schnaps oder Vinum bonum…«ergänzte Trois-Echelles' spaßiger Kamerad. — »Nichts von dem, meine dienstwilligen Freunde, «sagte der Zigeuner,»sondern ich möchte bloß ein paar Augenblicke mit dem schottischen Bogenschützen dort reden, wenn das nicht wider die Regeln verstößt.«
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