Ja, sagte ehrfurchtsvoll der Sklave.
Und was hat er gesagt oder vielmehr getan?
Ali stellte sich so unter das Licht, daß ihn sein Herr sehen konnte, und schloß, vortrefflich das Gesicht des Greises nachahmend, die Augen, wie dies Noirtier tat, wenn er ja sagen wollte.
Gut! Er nimmt es an, sagte Monte Christo; brechen wir auf!
Kaum hatte er dieses Wort entschlüpfen lassen, alsbereits der Wagen rollte und die Pferde aus dem Pflaster eine Funkenmasse springen ließen.
Maximilian legte sich in seine Ecke, ohne ein Wort zu sprechen. Es verging eine halbe Stunde: der Wagen hielt plötzlich an; der Nubier stieg abund öffnete den Schlag. Die Nacht funkelte von Sternen. Man war oben an der Anhöhe von Villedejuif, auf der Hochebene, von wo aus Paris wie ein düsteres Meer seine Millionen von Lichternbewegt, die phosphoreszierenden Wellen gleichen.
Der Grafblieballein, und auf ein Zeichen fuhr der Wagen ein paar Schritte weiter. Langebetrachtete er mit gekreuzten Armen schweigend dasBabylon zu seinen Füßen. Dann sagte er, die Hände wie zum Gebete faltend:
Große Stadt! Es sind weniger als sechs Monate, daß ich durch deine Tore eingetretenbin. Ich glaube, daß mich der Geist Gottes zu dir geführt hat, triumphierend führt er mich von dir zurück. Das Geheimnis meiner Gegenwart in deinen Mauern habe ich diesem Gotte anvertraut, der allein in meinem Herzen zu lesen vermochte; er allein weiß, daß ich mich ohne Haß und ohne Stolz, doch nicht ohneBedauern entferne! Er allein weiß, daß ich nicht meinetwegen und nicht um eitler Ursache willen von der Macht, die er mir anvertraut, Gebrauch gemacht habe. Oh, große Stadt! In deinem zitternden Schoße habe ich gefunden, was ich suchte; ein geduldiger Gräber, durchwühlte ich deine Eingeweide, um dasBöse daraus hervorzutreiben; nun ist mein Werk erfüllt, meine Sendungbeendigt; nun kannst du mir weder Freude, noch Schmerzen mehrbieten, Gottbefohlen, Paris!
SeinBlick schwebte noch einmal wie der eines nächtlichen Geistes über die Ebene hin. Dann fuhr er mit der Hand nach der Stirn, stieg wieder in seinen Wagen, derbald auf der andern Seite der Anhöhe in einem Wirbel von Staubverschwand.
Das Haus in den Allées de Meillan.
Sie legten zehn Stunden zurück, ohne ein Wort zu sprechen, Morel träumte, Monte Christo schaute den Träumer an.
Morel, sagte der Graf endlich zu ihm, sollten Siebereuen, daß Sie mir gefolgt sind?
Nein, Herr Graf, doch Paris verlassen…
Hätte ich geglaubt, das Glück erwarte Sie in Paris, so würde ich Sie dort gelassen haben.
In Paris ruht Valentine, und von Paris scheiden heißt sie zum zweiten Male verlieren.
Maximilian, sagte der Graf, Freunde, welche wir verloren haben, ruhen nicht in der Erde; sie sind in unserem Herzenbegraben, und Gott hat es so gewollt, damit wir sie stetsbei uns haben können. Ich habe zwei Freunde, die mich auf diese Artbeständigbegleiten: der eine ist der, welcher mir das Leben, der andere der, welcher mir den Verstand gegeben hat. Der Geistbeider lebt in mir. Ichbefrage sie im Zweifel, und wenn ich etwas Gutes tat, so habe ich es ihren Ratschlägen zu verdanken. Beraten Sie sich mit der Stimme Ihres Herzens, Morel, und fragen Sie, obSie mir fortwährend diesesböse Gesicht machen sollen.
Mein Freund, sagte Morel, die Stimme meines Herzens ist sehr traurig und verheißt mir nur Unglück.
Es ist das Eigentümliche geschwächter Geister, daß sie alle Dinge nur durch einen schwarzen Flor sehen. Die Seelebildet sich selbst ihren Horizont; Ihre Seele ist düster, und sie läßt Ihnen den Himmel stürmisch erscheinen.
Das mag wahr sein, sagte Maximilian und verfiel wieder in seine Träumerei.
Die Reise ging mit wunderbarer Schnelligkeit vor sich, die Städte zogen wie Schatten auf ihrem Wege vorüber. Am andern Morgen kamen sie in Chalons an, wo sie das Dampfboot des Grafen erwartete. Ohne einen Augenblick zu verlieren, wurde der Wagen anBord gebracht, nachdem diebeiden Reisenden selbst eingeschifft waren.
Was den Grafenbetrifft, so schien ihn, je mehr er sich von Paris entfernte, eine um so größere Heiterkeit wie eine Glorie zu umgeben; es war, als kehre ein Verbannter in sein Vaterland zurück.
Marseille, das weiße, warme, lebendige Marseille, die jüngere Schwester von Tyrus und Karthago, die ihnen in der Herrschaft auf dem mittelländischen Meere folgte, Marseille, das immer jünger wird, je mehr es altert, erschienbald vor ihren Augen. Dieser runde Turm, dieses Fort Saint‑Nicolas, das Stadthaus, der Hafen mit den Kais vonBacksteinen, wobeide als Kinder gespielt hatten, boten den Reisenden einen erinnerungsreichen Anblick.
Auf der Cannébièreblieben sie stehen.
Ein Schiff ging nach Algier ab. Das geschäftige Handhaben der Warenballen, die auf dem Verdecke sich drängenden Passagiere, die Menge der Verwandten, der Freunde, die hier Abschied nahmen, weinten und schrieen; alle diese lärmenden Szenen vermochten Maximilian einem Gedanken nicht zu entreißen, der ihn ergriff, sobald er den Fuß auf diebreiten Platten des Kais setzte. Sehen Sie, sagte er, Monte Christo am Arme fassend, dies ist der Ort, wo mein Vater stand, als der Pharao in den Hafen einlief. Hier warf sich derbrave Mann, den Sie vom Tode und von der Schande erretteten, in meine Arme; ich fühle noch seine Tränen auf meinem Antlitz, und er weinte nicht allein, sondern es weinten noch viele Leute, die uns sahen.
Monte Christo lächelte und sagte, auf eine Straßenecke deutend: Ich war dort.
Als er dies sagte, hörte man in der von ihm angegebenen Richtung ein schmerzliches Seufzen, und man sah eine Frau, die einem Passagier des abgehenden Schiffes Zeichen machte. Der Anblick dieser Frau, die verschleiert war, brachtebei Monte Christo eine Erschütterung hervor, die Morel leicht wahrgenommen hätte, wären seine Augen nicht ans das Schiff geheftet gewesen.
Oh mein Gott! rief Morel, ich täusche mich nicht! jener junge Mann mit den Epauletten des Unterleutnants ist Albert von Morcerf!
Ja, sagte Monte Christo, ich habe ihn erkannt.
Wie kann dies sein? Sie schauten auf die entgegengesetzte Seite.
Der Graf lächelte, wie er es machte, wenn er nicht antworten wollte, wobei seine Augen zu der verschleierten Frau zurückkehrten, die an der Straßenecke verschwand. Dann wandte er sich um und sagte zu Maximilian: Lieber Freund, haben Sie nichts in dieser Gegend zu tun?
Ich habe auf dem Grabe meines Vaters zu weinen, antwortete Morel mit dumpfem Tone.
Es ist gut, gehen Sie, und erwarten Sie mich dort, ich werde Sie abholen.
Sie verlassen mich?
Ja… ich habe auch eine Pflicht zu erfüllen.
Monte Christo ließ Maximilian weggehen undbliebauf derselben Stelle, bis er verschwunden war; dann erst wanderte er nach den Allées de Meillan, um das kleine Haus auszusuchen, das unsere Leser am Anfange dieser Geschichte kennen gelernt haben.
Es erhobsich noch im Schatten der großen Lindenallee, die den müßigen Marseillern als Spaziergang dient, und im Schmucke der großen Vorhänge von Weinreben, die auf dem von der glühenden Sonne des Südens vergilbten Gesteine ihre geschwärzten und gezackten Arme kreuzten.
In dieses trotz seines Alters reizende, trotz seiner Ärmlichkeit heitere Haus, das einst Dantes' Vaterbewohnte, trat die Frau mit dem langen Schleier, die Monte Christo von dem abgehenden Schiffe sich entfernen sah.
Für den Grafen waren die ausgetretenen Stufen vor der Tür alteBekannte; er verstand esbesser als irgend jemand, diese Tür zu öffnen, deren innere Klinke ein Nagel mitbreitem Kopfe hob.
Er trat auch ein, ohne zu klopfen, ohne sich melden zu lassen, wie ein Freund, wie ein Gast.
Am Ende eines mitBacksteinen gepflasterten Ganges öffnete sich, reich an Wärme, an Sonne und an Licht, ein kleiner Garten, derselbe, wo an dembezeichneten Orte Mercedes die Summe gefunden hatte, deren Verwahrung der Graf aus Zartgefühl um vierundzwanzig Jahre zurückdatierte. Von der Schwelle der Haustür erblickte man die erstenBäume des Gartens.
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