Der Notar sagte nichts mehr. Er beobachtete zornig, wie wir auf ein bloßes Fingerschnippen weggeführt wurden.
Man brachte uns zu einem großen Kuppelbau jenseits der Pavillons, der an einem kiesbestreuten Platz stand. Dort wurde ich von den anderen getrennt. Drei Gardisten lenkten mich mit blankem Schwert in einen kahlen Raum, wo der ockerfarbene Putz abblätterte und in dem nur eine einzelne Holzbank stand.
»Ausziehen!«, befahl der Gardist.
Ich blickte ihn an. »Ausziehen?«, wiederholte ich argwöhnisch und dachte daran, was Rufus erlebt hatte.
»Ja, ausziehen. Na los!«
Ich legte meine Kleider ab und sagte dabei: »Bist du so tief gesunken? Vergiss nicht, dass du ein Römer bist, und ein Mann. Selbst hier ist ein Gott, der dich sieht.«
Als er begriff, erwiderte er: »Sei nicht albern. Du stinkst. Jetzt runter mit dem Zeug! So kann man dich nicht vor den Kaiser führen.«
Ich stockte, und wahrscheinlich starrte ich ihn offenen Mundes an. »Zum Kaiser?«
»Zum Kaiser«, wiederholte er. »Und jetzt beeil dich.«
Ich zog mich aus. Als ich nackt war, brachten die drei mich in einen angrenzenden Raum mit kaltem Steinboden, hohen, unverglasten Fenstern und einem Brunnen. Sie behielten mich im Auge, als ich mich unter dem Wasserhahn wusch. Anschließend, als ich mich abgetrocknet und saubere Sachen angezogen hatte, führten sie mich nach draußen, wo Marcellus unter Bewachung wartete.
»Sie bringen uns zu Constantius.«
»Ich weiß«, sagte er.
»Hat der Oberkämmerer das angeordnet?«, fragte ich einen Gardisten. Doch der antwortete nur: »Schluss mit der Fragerei. Das werdet ihr gleich selbst sehen.«
Kurz darauf erschien ein reich gekleideter Diener, und wir wurden zu einem nahe gelegenen Haus mit Marmorsäulen und Vordach gebracht.
Es sah aus wie das Domizil eines Provinzkaufmanns, was es zweifellos gewesen war, bevor der Hof es für sich beschlagnahmt hatte. Lange rote Banner mit den Symbolen des Kaisers waren zwischen die Säulen gehängt, und das Atrium war hastig mit kostbaren Teppichen und Zierrat ausgestattet worden, die alle zu groß und prachtvoll für dieses Haus waren.
In einer Ecke neben einem schweren, vergoldeten Lampenständer stand eine Schar wohlbeleibter Eunuchen, die sich flüsternd unterhielten. Sie blickten sich neugierig um, als wir hereinkamen, und verstummten, um uns mit ernster Miene zu mustern.
»Da stimmt etwas nicht«, raunte ich Marcellus zu.
Er drehte den Kopf und sah zu ihnen hinüber, wie sie mit ihren Goldohrringen und bestickten Gewändern dastanden. Ob dieser Dreistigkeit wandten sie sich abrupt ab und setzten ihr Gespräch fort.
»Jedenfalls sind sie nicht unseretwegen hier«, stellte er fest.
Darauf wollte ich fragen, wozu man uns dann hierhergebracht hatte, doch dazu kam es nicht mehr.
Wir wurden in die Obhut von zwei diskret bewaffneten Dienern gegeben, die mit kurzen förmlichen Mänteln aus blauem Damast bekleidet waren. Sie prüften unsere Fesseln und brachten uns in ein Vorzimmer mit persischen Teppichen und einem goldenen Käfig mit einem Distelfinken. Dort warteten wir in Gesellschaft der bewaffneten Diener. Nach kurzer Zeit näherten sich draußen Schritte. Eine Tür ging auf, und der Oberkämmerer kam herein, begleitet von einem Tross Beamter, die hinter ihm herschwärmten wie schüchterne Brautjungfern hinter einer korpulenten Braut.
Der Oberkämmerer blieb stehen und gab vor, den Singvogel auf seinem silbernen Zweig zu betrachten. Er trug dieselbe aufgeblasene Miene zur Schau wie zuvor. Von Nahem sah ich, dass seine Wangen rot geschminkt waren, und seine schwarzen, sorgfältig frisierten Haare waren gekräuselt und geölt.
Die Beamten seines Gefolges warteten, den Blick respektvoll von ihm abgewandt. Doch ich war es leid, herumgeschubst zu werden. In aggressivem Tonfall, der den Singvogel aufschreckte, rief ich: »Warum sind wir hier? Was hast du mit uns vor?«
Eusebius holte empört Luft und drehte sich um. Man konnte ihn für einen gewöhnlichen Palasteunuchen halten, bis man in seine Augen sah. Sie verrieten Scharfsinn und berechnende Klugheit. Wenn man von der Schminke und der übertriebenen Kleidung absah, hatten diese Augen etwas an sich, das einem die Luft nahm wie ein unerwarteter Fausthieb.
Ich biss die Zähne zusammen und erwiderte Eusebius’ Blick. Es hieß, dass dieser hochmütige Beamte sogar den Kaiser beherrsche. Nun glaubte ich diesen Gerüchten. Unter seiner körperlichen Weichheit schlummerte ein Kern aus Stahl, wie eine Klinge in einem Samtetui.
Und ich erlebte noch eine Überraschung, denn er erwiderte mit seiner lieblichen Eunuchenstimme: »Ich möchte wissen, warum der Kaiser dich herbringen ließ.«
Zuerst starrte ich ihn verständnislos an. Dann sagte ich: »Du bist der Oberkämmerer. Wenn du es nicht weißt, woher soll ich es dann wissen?«
Sein weiches Kinn verspannte sich. Widerworte war er nicht gewohnt. Und ich begriff allmählich, dass er keine Ahnung hatte, was Constantius wollte, obwohl er sich im Zentrum der Macht befand.
»Der göttliche Kaiser teilt mir jeden seiner Gedanken mit«, erklärte er, was wahrscheinlich nicht nur an mich, sondern auch an sein Gefolge gerichtet war. »Ihr seid beide Komplizen des Verräters Julian. Er wird euch befragen wollen.«
Er bedachte mich mit einem durchdringenden Blick, als ob mir diese Worte eine Antwort entlocken müssten. Doch ich schwieg und schaute ihn nur an. Einen Augenblick später wiederholte er: »Er wird euch befragen wollen … Ihr müsst jedoch wissen, dass er vorübergehend indisponiert ist. Er leidet an einem leichten Fieber. Nichts Ernstes, denn der Kaiser kränkelt nie. Ihr dürft aber nichts sagen, was ihn ermüdet oder ärgert.«
Danach versuchte er erneut, durch verschieden formulierte und seiner Ansicht nach listige Fragen aus mir herauszubekommen, was der Kaiser von mir wollte. Natürlich konnte ich es ihm nicht sagen, da ich es selbst nicht wusste.
Mitten in seinen Bemühungen kam ein Diener herein und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Marcellus nahm die Gelegenheit wahr und raunte mir zu: »Krank ist die Bestie am gefährlichsten. Sei auf der Hut, Drusus.«
Dann wandte Eusebius sich uns wieder zu. »Der Kaiser ist nun bereit«, sagte er. Und zu unseren Bewachern: »Löst ihre Fesseln. Bringt sie hinein.«
Der angrenzende Raum war behelfsmäßig zum Audienzsaal hergerichtet worden. Da lagen schwere Teppiche, und an der hinteren Wand stand ein Stuhl mit hoher Lehne unter einem purpurroten Baldachin mit vergoldeten Pfosten. Doch es hielt sich niemand dort auf.
Wir durchquerten ihn und folgten einem Säulengang in einen hoch ummauerten Garten. Zwischen vergessenen Pflanztöpfen und Sträuchern standen große, mit Bronze beschlagene Reisetruhen und anderes Gepäck. Das Haus war groß, aber nicht groß genug für das Gefolge des Kaisers. Unweit der Mauer, wo ein Zitronenbaum wuchs, hatte sich eine kleine Schar von Beamten und Haussklaven versammelt. Sie unterhielten sich mit ernsten Mienen und warfen sich unruhige Blicke zu.
Welche Angelegenheiten des Hofes sie auch beschäftigten, wir hatten unsere eigenen Sorgen. Mir fielen die Geschichten über Constantius’ schreckliche Wutausbrüche ein, und ich bezweifelte, dass wir den Tag überleben würden. Wie es aussah, waren wir dem Notar entkommen, um nun etwas noch Schrecklicherem entgegenzusehen. Was das sein könnte, wollte ich mir gar nicht erst ausmalen, und so schob ich den Gedanken entschlossen beiseite.
Wir gelangten an eine Tür, die von Gardisten mit Speeren bewacht wurde. Auf einen Wink des Oberkämmerers trat einer der Männer beiseite und klopfte an. Die Tür wurde von innen geöffnet, und man ließ uns ein. Drinnen war es dunkel.
Ich blieb stehen und schaute angestrengt, versuchte, etwas zu erkennen. Es war stickig und heiß; es roch nach Duftöl und scharfen Heilkräutern. Sämtliche Fensterläden waren geschlossen, das einzige Licht stammte von mehreren abgeschirmten Lampen auf Wandkonsolen, die zwischen rot-goldenen Vorhängen standen.
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