Als Knidos hinter uns lag, wo wir die dritte Nacht verbracht hatten, drehte der Wind, und durch das kleine vergitterte Fenster meiner Zelle im Frachtraum sah ich lange Finger dunkelgrauer Wolken von Süden ausgreifen. Bald begann das Schiff zu schlingern, und ich hörte die Rudersklaven rufen, dass das Wasser durch die Pforten drang. Doch die Geschwindigkeit wurde nicht verringert.
Bald hörte ich Schritte auf der Leiter, und der Kapitän erschien auf den Stufen. Kurz blieb er stehen, um mich neugierig zu mustern; dann kam er und schaute durch die Gitterstäbe meiner Zelle.
Als man mich an Bord gebracht hatte, war er mir gleich aufgefallen. Er war ein rauer, erfahrener Seemann, wie ich sie als Knabe oft gesehen hatte, wenn ich mit meinem Onkel in London in den Hafen gegangen war, ein Mann, der sein Geschäft verstand und nur sprach, wenn es nötig war. Ich hatte gleich bemerkt, dass er das herrische Auftreten des Notars nicht mochte.
Nun sagte er: »Der Notar meint, du bist gefährlich. Stimmt das?«
»Nur für meine Feinde«, antwortete ich.
Nach einem weiteren abschätzenden Blick fragte er, was ich getan hätte, um den Kaiser zu verärgern. Als ich es erzählte, sagte er: »Es heißt, dass Julian die alten Götter verehrt, obwohl er zum Christen erzogen wurde.«
»Das ist wahr. Die Götter sind zeitlos. Kein kaiserliches Edikt kann sie aus der Welt schaffen.«
Ich erntete einen Blick, der seine Zustimmung ausdrückte. Er hatte Respekt vor den Göttern, wie alle Seeleute. Er hatte genug erlebt, um zu wissen, dass der Mensch die Natur nicht zähmen kann wie ein Pferd mit der Peitsche.
Da er sich nicht abgewandt hatte, fragte ich: »Werden wir in einen Sturm geraten?«
»Möglich – in dieser Gegend kommen Stürme wie aus dem Nichts.« Er schien kurz zu überlegen; dann schloss er meine Zelle auf. »Am besten, du kommst an Deck, mein Freund. Dort bist du sicherer.«
Der Notar stand auf der anderen Seite an der Reling und schaute zornig über die aufgewühlte, bleigraue See. Als er mich bemerkte, schnauzte er: »Warum ist der Gefangene an Deck?«
»Sicherheitshalber«, antwortete der Kapitän mit einem Hauch von Trotz. »Du hast gesagt, er ist wichtig.«
In diesem Moment schlingerte das Schiff. Die Riemen kamen aus dem Wasser, und vom Ruderdeck hörte ich die Männer schreien und fluchen. Der letzte Sonnenstreifen verschwand hinter grauen Wolken. Das Schiff fuhr langsamer.
»Sag ihnen, sie sollen schneller rudern«, verlangte der Notar.
»Ob schnell oder langsam, durch Luft kann man nicht rudern. Ich weiß nicht, wo deine Fähigkeiten liegen, ich jedenfalls verstehe mich auf Seefahrt, und ich sage dir, dass wir bei diesem Seegang den Kurs ändern müssen, sonst sinken wir. Wir werden in Rhodos einlaufen und warten, bis der Sturm sich verzogen hat.«
Der Notar bedachte den Kapitän mit einem kalten, drohenden Blick, da ihm dessen Tonfall nicht passte. Als das Schiff sich auf die Seite legte, musste er sich an der Reling festhalten.
»Also gut. Dann tue, was nötig ist.« Und damit wandte er sich ab.
Obwohl er sich sehr beherrschte, konnte Paulus seine Angst nicht ganz verbergen. Beinahe hätte ich gelacht. Fürchtete er doch den Tod, dieser Mann, der ein grausames Ende zahlloser Menschen herbeigeführt hatte?
Beim letzten Streifen Abendrot liefen wir in den Hafen von Rhodos ein. Ich wurde an Land gebracht und in einen kleinen Wehrturm hinter der Werft gesperrt. Vom Notar sah ich nichts. Im Laufe des Abends kam einer der Matrosen mit einer Schale Fischsuppe und einem halben Brotlaib zu mir. Er war freundlich, darum dankte ich ihm und sagte: »Du könntest glatt vergessen, hinter dir abzuschließen.«
Doch er schüttelte den Kopf und erklärte, dass ringsumher Wachen postiert seien. »Hier wird niemandem getraut«, sagte er. »Iss deine Suppe.«
Der Sturm hielt drei Tage an. In meiner Zelle hörte ich die Brecher an die Hafenmauer krachen. Als wir wieder ausliefen, war der Notar spürbar ungeduldig. Schließlich aber gelangten wir an einem bewölkten Nachmittag in den Hafen von Tarsus mit seiner breiten Arkadenfront, den Steinwerften, Hellingen und Lagerhäusern.
Kaum hatten wir angelegt, eilte der Notar von Bord, und ich stand eine Zeit lang bewacht auf dem Kai. Der Kaiser war offenbar weitergezogen, nach Norden zur Kilikischen Pforte, dem Pass durch das Taurusgebirge, hinter dem das anatolische Hochland liegt.
Unsere Weiterreise verzögerte sich, da Männer durch die ganze Stadt geschickt werden mussten, um Transportmittel zu beschaffen. »Was ist das?«, rief der Notar, als sie mit drei abgezehrten Maultieren zurückkamen. »Muss ich mich denn um alles selber kümmern?«
Doch das riesige Gefolge des Kaisers hatte bereits sämtliche verfügbaren Pferde und Wagen mitgenommen. Und selbst diese elenden Maultiere hatten so viel gekostet wie gute Reitpferde.
Wir machten uns nach Norden auf den Weg und folgten der Straße am Kydnus. Der Notar saß auf einem der Maultiere; die zwei anderen trugen sein Gepäck, das aus Ledersäcken und verschnürten Kisten bestand. Wir anderen stapften hinter ihm her. Ich war an den Handgelenken an einen meiner Bewacher gefesselt.
Hinter den Feldern und Plantagen der Küstenebene erhob sich das Taurusgebirge in graugrünen Falten bis zu den schneebedeckten Gipfeln. Unterhalb, auf einem der fernen Vorberge rings um ein Dorf, breitete sich ein gigantischer Flickenteppich aus Zelten und Wagen aus – das kaiserliche Heerlager.
Bis wir uns ein gutes Stück genähert hatten, war es dunkel geworden. Im Lager wurden die Fackeln angezündet und loderten unter dem dunkelblauen Abendhimmel.
Wir zogen durch die Rauchschwaden tausender Kochfeuer, an Viehpferchen, Pferdekoppeln und Wagen vorbei, die mit sämtlichen Gütern des Krieges beladen waren. Überall standen Zelte; Reihe um Reihe breiteten sie sich nach allen Richtungen aus, bis das Land abfiel und sich dem Blick entzog. Es stank nach Menschenmassen, nach Kot und gebratenem Fleisch. Männer riefen einander zu, Hunde bellten, und irgendwo zwischen den Zelten spielte jemand eine langsame, klagende Weise auf einer Flöte, nicht melodisch, aber gefühlvoll.
Der Notar wirkte beunruhigt und nachdenklich. Ich hoffte, er würde mich in seiner Hast in einem der Zelte lassen oder draußen anketten, wo mir eine Flucht eher möglich zu sein schien. Doch er war nicht so sehr abgelenkt, dass er seinen Hass auf mich vergaß. Wir zogen weiter durch das Lager bis zu dem Dorf in der Mitte. Dort wurde ich in ein kleines Gebäude aus Bruchsteinen gebracht, das wie ein Brunnenhaus aussah.
Drinnen war ein Gitter in den Boden eingelassen, unter dem es stockdunkel war.
»Da rein!«, befahl mein Bewacher und zog das Gitter hoch, während ein anderer eine grobe Leiter hinabließ.
Mit zögernden Schritten stieg ich in das schwarze Loch. Die Männer zogen hinter mir die Leiter heraus, warfen das Gitter zu und gingen, während sie darüber redeten, was es zum Abendessen geben würde.
Ich spähte angestrengt ins Dunkel. Oben im Eingang brannte eine Fackel, sodass ein schwacher Schein durch das Gitter fiel, das sich eine Speerlänge über mir befand. Ich stand in einem Kellergewölbe, das wie eine Zisterne aussah. Irgendwo hörte ich Wasser tropfen. Die Luft war feucht und stank. Doch wenigstens stand kein Wasser auf dem Boden, wie ich zuerst befürchtet hatte.
Ich lauschte auf die verklingenden Schritte meiner Bewacher; dann hörte ich im Dunkeln jemanden rascheln und husten. Ich fuhr herum. Ich hatte geglaubt, allein zu sein.
»Dein Schicksal ist besiegelt«, sagte eine Männerstimme. »Du musst es annehmen.«
»Zeig dich!«, rief ich und versuchte, etwas zu erkennen.
Für kurze Zeit rührte sich nichts; dann kam eine ausgemergelte Gestalt herangeschlurft. Der Mann bewegte sich wie ein Greis, langsam und gebeugt. Doch als er den Kopf hob, sah ich, dass er gerade erst dreißig Jahre alt sein mochte.
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