»Ja«, sagte Marcellus stirnrunzelnd, »aber lass ihn so weitermachen und halte dich von ihm fern. Er stiftet nur Unruhe. Er mag sich wie ein König kleiden, aber unter seinem Pelz und dem Geschmeide steckt ein Krämergeist.«
Ich fragte ihn, wie er das meinte.
»Er kümmert sich nur um sich selbst, dabei kennt er sich nicht einmal genügend, um zu wissen, was für ihn gut wäre. Ich fürchte, am Ende strebt er nur nach Macht und Reichtum. Alles andere, was Julian etwas bedeutet, wie Weisheitsliebe, ein harmonischer Geist oder die Kunst des Regierens, geht über seinen Verstand. Nun, du hast gesehen, wie er weghört, sobald Julian von solchen Dingen spricht. Im Grunde ist er ein Plünderer. Er hat kein Verständnis für die Tugenden eines Staatsmannes.«
Dann, an einem kalten, windigen Morgen, kam Rufus zu meinem Erstaunen in mein Arbeitszimmer – einen hallenden, lächerlich großen Raum mit Malachitsäulen und vergoldeten Kapitellen, in den leicht hundert Mann gepasst hätten.
Ich sprach gerade mit einem jungen Offizier namens Ambrosius, um alles für eine Lieferung Wintervorräte an die Garnison am Succi-Pass zu veranlassen. Ich war mit Marcellus zu einem Ausritt verabredet. Er hatte sich endlich ein paar Tage Urlaub gesichert, und wir wollten zusammen zum Pass hinauf.
Rufus wartete unruhig neben der Flügeltür, bis ich mit Ambrosius fertig war. Ich rief ihn herein und fragte, wie es ihm gehe.
»Ich habe mich gefragt, wer den Versorgungszug zum Succi hinaufbringt«, sagte er und blickte dabei auf einen Korb mit Schriftrollen, der auf meinem Schreibpult stand.
»Marcellus und ich. Warum fragst du?«
»Ich habe Marcellus am Stall getroffen. Er muss mit einem Trupp in die Berge.«
»Weißt du das genau? Er hat nichts dergleichen erwähnt.«
»Ja, Drusus, es kam überraschend. Ein Befehl von Nevitta. Es ist etwas Dringendes. Er wird ein paar Tage fort sein. Er hat mich gebeten, es dir zu sagen.«
Ich zuckte die Achseln und verfluchte Nevitta im Stillen. »Gut«, sagte ich, »dann muss ich allein gehen.« Ich dankte ihm, dass er es mir ausgerichtet hatte.
Doch anstatt zu gehen, blieb er stehen und wirkte dabei steif und förmlich. Seit dem Morgen in den Thermen hatte er nicht mehr mit mir gesprochen.
Ich legte die Papiere beiseite. »Ist noch etwas?«, fragte ich und klang dabei wohl ziemlich kühl. Deshalb lächelte ich ihn an, um ihm sein Unbehagen zu nehmen.
»Ich habe mir überlegt, dass ich mitreiten könnte, da Marcellus nun nicht zur Verfügung steht«, sagte er und errötete leicht. »Nevitta erlaubt es, und ich habe nichts anderes zu tun.«
Ich schaute ihn überrascht an. »Ja … ja, gewiss. Aber bist du entsprechend vorbereitet? Wir reiten schon am Mittag.«
»Ja.«
»Also gut, abgemacht. Geh mit Ambrosius und kümmere dich um den Maultierzug.« Dann fügte ich hinzu: »Es freut mich, dass du mitkommst.«
Er nickte ernst, drehte sich um und eilte davon.
Kurze Zeit später ritten wir unter grauem Himmel durch das Flusstal und in die Vorberge des Haemus.
Rufus war höflich, wenn er mit mir sprach, ansonsten aber sehr still. Ich überließ ihn seinen Gedanken. Seine Schimmelstute war lahm; deshalb ritt er einen kräftigen Falben wie die einfachen Soldaten, und das Tier war genauso mürrisch wie er.
Doch ich sagte mir, dass es gut für ihn sei, mitzukommen. Seine Laune würde sich bald bessern.
Wir erreichten den Pass ohne Zwischenfall. Am Abend, als wir beim Essen saßen, erwähnte der Garnisonshauptmann, ein junger Mann, der mit mir in Gallien gekämpft hatte, dass einer seiner Späher Bewegungen gemeldet habe. »Wahrscheinlich nur Hirten aus dem Umland«, meinte er. »Wir sehen sie oft entlang der Wege. Manchmal kommen sie ans Tor, um uns eine Ziege oder ein Schaf zu verkaufen.«
Rufus schien begierig zu sein, den Pass zu sehen, und sagte: »Wir sollten der Sache morgen selbst nachgehen.«
»Ja, warum nicht?«, sagte ich. So machten wir uns am nächsten Morgen nach einem guten Frühstück bei dem Hauptmann und seinen Männern zu zweit auf den Weg und stiegen zwischen den Bäumen zu dem felsigen Gipfel hinauf.
Über Nacht waren die Wolken fortgezogen. Der Morgen war klar und kalt, und es roch nach Kiefern. Hoch oben schwebte ein Adler am Himmel und hielt nach Beute Ausschau.
Wir stapften schweigend voran und hörten nur die eigenen Schritte und das Säuseln des Windes in den Zweigen. Ich drängte Rufus kein Gespräch auf, sah ihn vor sich hin brüten und spürte, dass er etwas zu sagen hatte. Ich wollte warten, bis er zu reden bereit war.
Es dauerte nicht lange, bis die Kiefern sich ausdünnten und wir auf eine felsige Lichtung gelangten, von der man in die steile Schlucht blicken konnte. Ich blieb stehen und schaute über den endlosen Himmel. Mir war klar gewesen, dass hier oben keine feindlichen Soldaten lauerten; ich hatte zum Vergnügen hier hinaufsteigen wollen. Auf Berggipfeln fühlte ich die Gegenwart der Götter, und nun kehrte der Optimismus zurück, den ich in Julians Beisein empfunden hatte; die ganze Welt schien voller Möglichkeiten und Verheißungen zu sein.
Ich atmete tief die kalte Luft ein. Von irgendwoher war ein Wasserfall zu hören, und weit unten pfiff der Wind durch die Schlucht. »Das ist eine prachtvolle Aussicht«, sagte ich zu Rufus, der hinter mir stand. »Siehst du dort die Stadt am Fluss? Das ist Philippopolis, und dahinter liegt Thrakien, das bis ans Meer und nach Konstantinopel reicht.«
»Ich habe etwas gehört!«, sagte er plötzlich.
»Wahrscheinlich nur ein Vogel oder ein Luchs.«
»Nein, da unten in der Schlucht.«
Ich trat einen Schritt näher an den Rand und schaute, während ich mich über seine angespannte Stimme wunderte. Unter mir sah ich nur dichte Bäume und Felsspalten mit Schnee darin. Ich wollte ihm sagen, er solle sich keine Sorgen machen, doch er entfernte sich schon und meinte: »Wir brauchen nur ein kleines Stück weiterzugehen, dann können wir besser hinunterschauen.«
Widerstrebend wandte ich mich von der Aussicht ab und folgte ihm.
»Hier entlang!«, rief er einige Schritte vor mir und verschwand hinter einem Felsen.
Ich weiß noch, wie ich mich wunderte, weil er mit einem Mal unternehmungslustig wirkte. Halb im Scherz rief ich ihm nach: »Wo bleibt deine Ausbildung, Rufus? Du hast nicht einmal dein Schwert gezogen.«
Dummerweise hatte ich meines auch nicht gezogen. Hinter der Felsschulter kam ein dichtes Gebüsch. Rufus war nicht zu sehen. Ich ging noch einen Schritt und rief nach ihm.
Plötzlich nahm ich eine schnelle Bewegung wahr; dann drückte sich etwas Spitzes an meinen Rücken. Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass es eine Klinge war.
»Es tut mir leid, Drusus, aber es geht nicht anders«, sagte Rufus.
Dann rief er laut, und aus der Deckung des Gebüschs kamen Männer mit Speeren hervor und umringten mich.

Sie hielten mich mit ihren Waffen in Schach wie ein gefährliches Tier. Die Klingen blinkten in der Sonne, die schräg durch die Kronen der Kiefern fiel.
Ich konnte nicht begreifen, was geschehen war.
Einer der Männer stieß mich energisch mit der Speerspitze an. »Lass dein Schwert fallen«, sagte er.
Ich gehorchte, zog es aus der Scheide und ließ es fallen. Die Männer trugen die Uniformen unseres Reiches und einige Abzeichen, die ich nicht kannte. In meiner Verwirrung dachte ich zunächst, sie wären von unserer Garnison, aber das war ein Irrtum.
»Dein Messer auch«, sagte Rufus und trat von hinten an mich heran, »dein Jagdmesser, das in deiner Tunika versteckt ist. Das Messer, das du von Marcellus bekommen hast.«
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