Ich stieß ein bitteres Lachen aus. »Ich frage mich nur, wo er war, als die Herzogin von Suffolk und ihr Henkersknecht mich in dieser unterirdischen Zelle einsperrten, um mich darin ertrinken zu lassen.« Doch schon während ich das sagte, fiel mir mein Wams wieder ein, das ich beim Pavillon zurückgelassen hatte und das dann auf unerklärliche Weise vor dem Tor zu dem verfallenen Kloster wieder aufgetaucht und von Peregrine gefunden worden war. Was hatte der Junge gesagt?
Wenn wir nicht zufällig dein Wams entdeckt hätten, wären wir nie auf die Idee verfallen, hier unten nach dir zu suchen.
»Peregrine hat uns davon erzählt«, sagte Kate. »Als Ihr ergriffen wurdet, war Walsingham damit beschäftigt, die Pferde für uns zu satteln, die wir dann doch nicht mehr genommen haben. Das könnt Ihr ihm doch sicher nicht vorwerfen, oder?«
»Das nicht«, erwiderte ich bitter. »Aber lasst bitte nicht außer Acht, dass jeder, den ich am Hof kennengelernt habe, um nicht zu sagen, jeder, mit dem ich es seit meiner Kindheit zu tun hatte, sich als verlogen herausgestellt hat.« Kaum hatte ich diese Worte ausgespuckt, bereute ich sie auch schon.
Kate biss sich auf die Lippe. »Das tut mir leid«, murmelte sie und erhob sich.
Ich ergriff ihre Hand. »Nein! Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann ich. Ich … ich habe es nicht so gemeint.«
Sie blickte auf unsere ineinander verschlungenen Hände hinab. »Doch, es war Euer voller Ernst.« Sie löste ihre Finger aus den meinen. »Ich verstehe. Diese Frau … Barnaby hat gesagt, sie sei eine Kräuterkundige, die die Dudleys mitgebracht hätten, damit sie Seine Majestät vergiftet. Er meinte, Ihr würdet sie kennen, und die Dudleys hätten Euch ein Lügenmärchen über ihren Tod erzählt. Wie könntet Ihr da nicht verbittert sein?«
Ich spürte einen Knoten in der Kehle. Tränen brannten mir in den Augen, und ich schaute weg. So bekam ich nicht mit, wie Kate in ihre Umhängetasche griff, sondern spürte nur, dass sie mir etwas in die Hand drückte. Als ich erkannte, was es war, erstarrte ich.
»Das habe ich in der Innentasche Eures Wamses gefunden. Ich habe mir die Freiheit genommen, es zu polieren. Es ist zwar eigenartig, aber hübsch.« Damit nahm sie das Tablett an sich und ging zur Tür. »In ein paar Stunden komme ich mit dem Abendbrot zu Euch. Versucht, noch etwas zu ruhen.«
Mit einem Klicken fiel die Tür ins Schloss.
Nachdenklich betrachtete ich das Geschenk, das mir Alice gemacht hatte. Es stellte eine zarte goldene Blüte dar, und ihr gezackter Rand wies darauf hin, dass sie Teil eines größeren Schmuckstücks gewesen sein musste. An ihrer Spitze prangte – einem Tautropfen gleich – ein Rubin. Noch nie hatte ich etwas dieser Art gesehen. Nie hätte ich gedacht, dass ich je so etwas besitzen würde.
Ich schloss die Finger fest darum. Draußen ging die Dämmerung in die Nacht über.
Als die Trauer schließlich über mich hereinbrach, wehrte ich mich nicht dagegen.
Mit einem Bündel Kleider und einem Tablett, beladen mit einem Berg Fleisch und Gemüse, kehrte Kate zurück. Peregrine trat grinsend nach ihr ein. Er trug einen zusammengeklappten Tisch. Nachdem er ihn aufgestellt hatte, verschwand er wieder, aber nur, um meine Satteltasche und noch etwas anderes zu holen. Zu meiner Überraschung erkannte ich das Schwert des Königs, das ich zuletzt gesehen hatte, als es bei dem Sprung aus dem Turmfenster im Palast von Greenwich in die Tiefe gepoltert war. Als Erstes öffnete ich die Tasche, um ihren bunt durcheinandergewürfelten Inhalt zu untersuchen. Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung entdeckte ich das gestohlene Psalmenbuch, das immer noch zum Schutz in das Tuch gewickelt war.
Ich wandte mich Kate zu. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt ein Cape aus rosafarbenem Samt, das das matte Gold ihres Haars hervorragend zur Geltung brachte. Und als sie die im ganzen Raum verteilten Kerzen anzündete, gestand ich mir ein, wie sehr ich sie begehrte. Nichts wünschte ich sehnlicher, als sie in die Arme zu schließen und die letzten Spuren meines Misstrauens mit Liebkosungen zu verbannen. Doch Peregrine, der wie ein Kobold mit Elizabeths silbernem Jagdhund durch das Zimmer tollte, lenkte mich ab.
»Du scheinst ja ganz schön zufrieden mit dir und der Welt zu sein«, meinte ich, als er mir half, aus dem Bett und in eine Robe zu steigen. »Und ist das nicht der Hund Ihrer Hoheit? Sag bloß, du hast wieder gestohlen!«
»Nein!«, beteuerte er. »Ihre Hoheit hat Urian bei uns zurückgelassen, damit er dich aufspüren kann. Er ist der beste Spürhund in ihrem Gehege, hat sie gesagt. Und sie kennt ihre Tiere. Er hat auch gleich deine Fährte am Flussufer unten aufgenommen.« Er rümpfte die Nase. »Was ist das nur mit dir und dem Wasser? Seit wir uns kennen, wirst du in einem fort durchnässt!«
Ich brach in herzhaftes Lachen aus. Auf einmal fühlte ich mich wunderbar. Dann ergriff ich Peregrines Hand und ging mit langsamen, aber schon recht sicheren Schritten zum Esstisch. »Wie immer keine Spur von Reue, was?« Ich grinste und ließ mich auf einem Hocker nieder. »Aber ich bin froh, dass du da bist, mein Freund.« Ich blickte Kate in die Augen. »Das gilt ebenso für Euch. Ich danke Gott für euch beide. Ihr habt mir das Leben gerettet. Das ist eine Schuld, die ich nie zurückzahlen kann.«
Der Schimmer in Kates Augen mochte von Tränen herrühren. Sie wischte sie mit dem Ärmel weg. Während sie das Essen auftrug, hockte sich Peregrine neben mich.
»Ich bin doch kein hilfloses Kind«, brummte ich, als der Junge mir meinen Teller reichte. »Ich kann durchaus allein essen.«
Kate drohte mir schelmisch mit dem Finger. »Er ist nicht hier, um Euch zu füttern. Ihr seid genug verwöhnt worden. Peregrine, entweder du befiehlst dem Hund, die Pfoten vom Tisch zu nehmen, oder ihr esst beide in der Küche.«
Unter fröhlichem Gelächter speisten wir im Schein der Kerzen und plauderten über unverfängliche Dinge. Erst als wir die letzten Reste der Soße mit Brot aufwischten und Peregrine zum hundertsten Mal erzählt hatte, wie er und Barnaby Urians feine Nase dafür eingesetzt hatten, mich aufzuspüren, störte ich auf einmal unsere gute Laune. Mich auf meinem Stuhl zurücklehnend, fragte ich in meinem beiläufigsten Ton: »Und wo steckt Fitzpatrick?«
Schlagartig trat Schweigen ein, das nur durch das Rascheln von Kates Röcken durchbrochen wurde, als sie aufstand, um die leeren Teller ineinanderzustapeln. Peregrine streichelte unterdessen Urian.
»Der König ist tot, nicht wahr?«, fragte ich.
Kate hielt inne. Peregrine antwortete mir mit einem traurigen Nicken: »Es ist noch nicht offiziell bestätigt worden, aber Master Walsingham hat uns gesagt, dass er gestern gestorben ist. Sobald wir dich gefunden hatten, ist Barnaby an den Hof zurückgekehrt, um an seiner Seite zu sein. Es heißt, dass der Himmel in der Stunde von Edwards Tod geweint hat.«
Der Regen. Ich hatte ihn gehört.
Bei der Erinnerung an den Knaben, der in jenem übelriechenden Gemach bei lebendigem Leib verfaulte, wanderte mein Blick zu dem Schwert auf dem Bett. Mit gepresster Stimme fragte ich: »Und die Kräuterkundige? Hat Walsingham etwas über sie gesagt?«
»Brendan, bitte lasst das!«, rief Kate hastig. »Dafür ist es zu früh. Ihr seid doch noch geschwächt.«
»Nein. Ich will es wissen. Ich … ich muss es wissen.«
»Nun gut, dann sage ich es Euch.« Sie setzte sich neben mich. »Sie ist tot. Sidney hat es Walsingham berichtet. Jemand hat ihre Leiche weggeschafft. Wohin, das weiß niemand. Die Dudleys haben gedroht, Sidney umzubringen, weil er Euch geholfen hat, aber inzwischen hat sich die Nachricht von Elizabeths Entkommen verbreitet, und seitdem herrscht im Palast das Chaos. Brendan, nein! Setzt Euch! Ihr könnt doch nicht …«
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