»Zeit zu fliehen, mein Freund«, flüsterte ich Peregrine zu, woraufhin dieser in die Dunkelheit davonstob.
Ich packte meinen Dolch fester und beobachtete, wie Kate und Elizabeth sich den Männern näherten. Die beiden hatten sich mittlerweile aufgerichtet, wirkten aber eher verblüfft als misstrauisch. Das fahle Licht des abnehmenden Mondes und der Widerschein der Kerzen in den Palastfenstern genügten, um den Soldaten zu bestätigen, dass die zwei Störenfriede Frauen waren, die im Park lustwandelten. Und Frauen, die nachts in einem Park lustwandelten, galten grundsätzlich nicht als Damen.
Der größere der beiden Männer torkelte ihnen mit einem lüsternen Grinsen entgegen. Kate schritt voran, Elizabeth folgte ihr, das Gesicht unter der Kapuze verborgen, auf den Fersen. Ihre elegante, schmale Statur wurde durch den Umhang zusätzlich betont. Ich bezweifelte, dass den Wachposten auffallen würde, wie kostbar der Samt ihrer Kleider war, doch sollte durch irgendein Missgeschick ihr Gesicht zum Vorschein kommen, machte ich mir keine Illusionen über den Wert ihrer Tarnung. In ganz England gab es kein Gesicht, das so bekannt war wie ihres.
»Haltet Euch bereit«, zischte ich Barnaby zu. Er grunzte zur Bestätigung.
Die Stimme des ersten Wächters drang durch die Nacht. »Und was treiben die zwei schönen Damen so spät hier draußen?« Schon streckte er seine schmutzige Hand nach Kate aus, und ich machte Anstalten, den Dolch zu zücken. »Ganz ruhig, Freund«, murmelte Barnaby. »Lasst ihr Zeit.«
Mühelos wich Kate den Händen des Mannes aus. Ihm die Hüfte verführerisch entgegenreckend und den Kopf kokett geneigt, verbarg sie die rechte Hand unter den Falten ihres Capes, wo sie ihren Dolch stecken hatte. »Meine Herrin und ich wollten der Luft im Palast entkommen«, zwitscherte sie. »Dort ist es schrecklich heiß und laut. Hier in der Nähe soll es einen Pavillon geben, ist uns gesagt worden, aber ich fürchte, wir haben uns verlaufen.«
Sie verstummte. Zwar konnte ich ihr Gesicht nicht sehen, war mir aber sicher, dass sie dem Mann ein hinreißendes Lächeln schenkte. Trotz der Gefahr ließ ihr Wagemut meine Bewunderung für sie ins Unermessliche steigen. Sie hatte wahrhaftig das Herz einer Löwin. Kein Wunder, dass Elizabeth ihr blind vertraute.
»Ein Pavillon?« Der Wächter drehte sich zu seinem Gefährten um, der neben ihm stand und die zwei Frauen argwöhnisch musterte. Er war weniger betrunken als der andere und darum der gefährlichere von den beiden. »Hast du das gehört, Rog? Die Damen suchen einen Pavillon. Hast du schon mal von so was hier in der Gegend gehört?«
Der Wächter namens Rog gab keine Antwort. Ich sah, wie Elizabeth sich unter ihrem Umhang anspannte und unwillkürlich die Schultern straffte. Doch es war nicht so sehr die Geste selbst, die den Mann in Alarmbereitschaft versetzte, sondern die Art der Bewegung. Denn damit gab Elizabeth sich als Frau von hohem Rang zu erkennen, die es nicht gewohnt war, Fragen zu beantworten. Rog reagierte sofort. Mit vorgerecktem Kinn baute er sich vor Kate auf – bei allen Männern der Welt die Pose des Kriegers, der sich für mächtig hält.
»Ich weiß nichts von einem Pavillon in dieser Gegend! Aber ich muss die Damen bitten, uns ihre Namen zu nennen. Jetzt ist nicht die Zeit, sich unbegleitet in der Dunkelheit aufzuhalten.« Er warf Elizabeth einen vielsagenden Blick zu. »Mylady, ich möchte dafür sorgen, dass Ihr sicher in den Palast zurückgebracht werdet.«
Kate lachte auf. »Mit den Festlichkeiten dort drinnen stellt der Palast natürlich keine Gefahr dar. Aber ich sehe, dass wir hier am falschen Ort sind. Eine Eskorte wäre uns sehr recht, wenn Ihr so freundlich wärt.«
Es verlief nicht nach Plan, doch sie improvisierte nach Kräften, um uns doch noch eine Gelegenheit zum Eingreifen zu verschaffen. Und es konnte klappen, wenn sie es nur schaffte, die Kerle zur Mauer zu locken, wo Barnaby und ich im Schatten des Turms auf der Lauer lagen.
Doch Rog schluckte den Köder nicht. Er hatte seinen misstrauischen Blick nicht eine Sekunde von Elizabeth abgewandt, und gerade als ich dachte, die Situation sei zu angespannt, als dass Barnaby und ich tatenlos bleiben könnten, schoss die Hand des Mannes vor, und er riss der Prinzessin die Kapuze vom Kopf.
Totenstille breitete sich aus. Elizabeths blasses Gesicht und ihre feuerroten Locken schimmerten. Der größere der Wächter stieß ein ersticktes Keuchen aus. »Allmächtiger! Das ist … das ist …!«
Er brachte den Satz nicht zu Ende. Das Messer hoch erhoben, stürzte Kate sich auf ihn. Gleichzeitig brachen Barnaby und ich aus der Deckung. Nie hätte ich gedacht, dass wir gezwungen sein könnten, diese Männer zu ermorden, doch in dieser kritischen Situation erkannte ich, dass unser eigenes Überleben womöglich genau das erfordern würde.
Ich erreichte Kate, als sie mit dem Wächter rang. Wiehernd vor Lachen hatte er ihre Hand, die das Messer hielt, gepackt und drückte sie zurück. Mit einem heftigen Stoß an die Schulter beförderte ich Kate aus seiner Reichweite und rammte dem Mann die Faust so brutal ins Gesicht, dass ich seine Knochen spürte. Mit einem dumpfen Aufprall krachte er auf das Kopfsteinpflaster.
Ich wirbelte herum und sah, wie Barnaby Rogs Schwert auswich. Doch da Barnabys kleiner Dolch der mächtigen Waffe nicht gewachsen war, war es nur eine Frage von Sekunden, bis ihm der Mann den tödlichen Hieb versetzen konnte. Aber dann registrierte ich aus den Augenwinkeln eine verschwommene Bewegung – ein dunkler Stoff, der durch die Luft zischte.
Eine lange weiße Hand erschien wie aus dem Nichts.
Ich hörte ein Knacken. Zunächst zeigte Rog keine Regung, dann bebte sein Schwert und fiel klirrend zu Boden. Schwankend drehte er sich halb zu seiner Angreiferin um, auf dem Gesicht einen Ausdruck völliger Fassungslosigkeit. Eine dünne Blutspur sickerte von seiner Stirn herab.
Dann kippte er nach vorn.
Ich erhaschte Elizabeths Blick. Der Stein, mit dem sie zugeschlagen hatte, glitt ihr aus den Fingern. Ein Blutfleck besudelte ihre schmalen Hände. Kate stürzte auf die Prinzessin zu. »Eure Hoheit, seid Ihr verletzt?«
»Nein. Aber ich wette mit dir, dass dieser Kerl mit Kopfschmerzen aufwachen wird, die er nicht so bald vergessen wird.« Fast ungläubig starrte Elizabeth auf den zu ihren Füßen liegenden Soldaten hinab. Dann hob sie die Augen zu mir. Während ich mich ihr näherte, beugte sich Barnaby über Rog und fühlte ihm den Puls.
»Er lebt«, verkündete Barnaby.
Erleichtert atmete Elizabeth auf. »Gnädiger Gott! Sie haben ja nur ihre Pflicht getan.«
Kate strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Darunter kamen hochrot verfärbte Wangen zum Vorschein. »Richtige Lümmel waren das! Kann Northumberland keine besseren Männer finden?«
»Hoffentlich nicht.« Barnaby packte Rog an den Handgelenken und schleifte ihn zum Eingang des Turmes. Ich winkte unterdessen Kate zu mir. »Kommt, helft mir.«
Wir begannen, fieberhaft zu arbeiten. Mit vereinten Kräften zerrten Kate, Elizabeth und ich den größeren und schwereren zweiten Wächter durch die Tür in einen kleinen, runden Raum, den man früher als Gerätelager benutzt haben mochte. Von dort führte eine Wendeltreppe zu einer gewölbten Decke.
Nachdem wir die Wächter Seite an Seite auf den Boden gebettet hatten, ging ich noch einmal ins Freie, um das Schwert zu bergen. Als ich zurückkehrte, fesselte Barnaby die regungslosen Männer gerade mit seinem Gürtel an den Handgelenken aneinander. Dann ließ er sich von Elizabeth deren Taschentuch geben, zerriss es in zwei Hälften und stopfte den Männern je eine in den Mund. »Kein wirkliches Hindernis, wenn sie unbedingt rauswollen«, brummte er. »Aber das wird sie eine Weile aufhalten.«
Kate nahm mir das Schwert aus der Hand. »Ich werde schon dafür sorgen, dass sie stillhalten. Wenn sie auch nur laut atmen, zerlege ich sie wie eine Kirchweihgans.«
Читать дальше