»Sie ist in Greenwich geboren«, unterbrach Robert meine Gedanken. »Am siebten September 1533.« Er lachte. »Was für ein Theater das war! König Henry marschierte schon seit Monaten durch die Gegend, drosch auf zahllose Köpfe ein, ließ nicht wenige davon abschlagen und posaunte überall herum, dass seine geliebte Königin ihm einen Sohn schenken würde. Doch als Anne Boleyn niederkam, brachte sie nichts weiter zur Welt als eine, wie Henry es ausdrückte, ›wertlose Tochter‹.«
Ich warf ihm einen Seitenblick zu. »Eine wunderschöne Geburtsstätte, Mylord. Sie muss diesen Palast sehr lieben.«
»O ja. Schon als Kleinkind hatte sie hier auf Königin Annes ausdrücklichen Wunsch ihre eigenen Gemächer. Anne wollte ihre Tochter in ihrer Nähe behalten, ganz gleich, was Henry davon hielt.« Robert richtete sich im Sattel auf. »Ob sie wohl schon eingetroffen ist? Es würde ihr ähnlich sehen, uns warten zu lassen.«
Das konnte ich nur hoffen. Je länger die Prinzessin eine Begegnung hinauszögerte, desto mehr Zeit hatte ich, die Lage zu erkunden. Cecil hatte gesagt, es sei anzunehmen, dass Edward im Palast selbst untergebracht war, und zwar in den sogenannten Geheimgemächern, einer Reihe von bewachten, durch einen langen Gang verbundenen Zimmern, die dem Monarchen Ruhe und Ungestörtheit bieten sollten. Je mehr ich über Edwards tatsächlichen Aufenthaltsort in Erfahrung brachte, desto eher konnte Cecil sich über die Pläne des Herzogs klar werden. Außerdem musste ich möglichst bald von Peregrine erfahren, wer mir folgte und warum.
»Dann mal los!«, rief Robert. »Der Letzte am Ziel muss die Pferde füttern!«
Hell auflachend gab er seinem Apfelschimmel die Sporen. Auch Cinnabar reagierte auf den leisesten Schenkeldruck, froh über die Gelegenheit, seine Kraft zu demonstrieren. An tägliche Ausritte in der Umgebung der Dudley-Burg gewöhnt, konnte mein Prachtross sich nur schwer mit den langen Stunden im Stall abfinden. Den Wind im Gesicht, von Cinnabars starken Flanken getragen, überließ ich mich ganz dem Moment, schwelgte in der Erinnerung an die Tage, da ich als Junge ohne Sattel über die Felder geritten war und mich für kurze Zeit so gefühlt hatte, als hätte ich keinerlei Sorgen.
Der Palast türmte sich vor mir auf, roter Backstein, mit grotesken Stuckfiguren gespickt, achteckige Schornsteine, aus denen würziger Rauch quoll, und Irrgärten, die nach Kräutern und Immergrün dufteten. Mit herrischen Gesten, sein Pferd wie einen Keil vorwärtstreibend, steuerte Robert uns zwischen den am Haupttor versammelten Höflingen hindurch. Vorbei an einem Wächter ritten wir in einen gepflasterten Hof, der von Bauten in Tudor-Grün und Weiß umgeben war.
Knechte führten schweißnasse Pferde in die Stallungen, während Edelleute in Ledercapes die Handschuhe abstreiften und sich ins Innere des Palastes begaben.
Robert sprang aus dem Sattel und löste seine Taschen vom Sattel. »Ich habe die Wette gewonnen«, verkündete er. »Kümmere du dich um die Pferde, und warte dann in meinen Räumlichkeiten am Innenhof auf mich. Ich muss mich erst bei meinem Vater melden.« Damit ließ er mich bei den schnaubenden Rössern stehen. Natürlich hatte er nicht bemerkt, dass ich Cinnabar absichtlich gezügelt hatte, um hinter ihm zurückzubleiben.
Ich führte die Pferde in einen Stall. Gehetzte Knechte versorgten eine Unmenge von Reittieren, sattelten sie ab, rieben sie trocken, häuften ihnen Heu und Hafer in die Futterkrippen.
Keiner nahm von einem weiteren Knecht unter ihnen Notiz. Ich erkannte den schimmernden Rappen des Herzogs, der gesondert von den anderen in einer eigenen Box untergebracht war, von wo es durch ein Seitentor zu einem weiteren Wildpark hinausging. Ich führte auch unsere beiden Pferde hinein. Wie sein Sohn hatte Northumberland es verschmäht, zu Wasser zu reisen. Ich konnte es ihnen nachfühlen; große Flussläufe waren mir von jeher unheimlich gewesen – eine Kindheitsangst, die ich nie so recht hatte überwinden können.
Ich begrüßte den Rappen mit einem Zungenschnalzen, als ich Roberts Apfelschimmel und meinen Cinnabar neben ihm einstellte. »Genieße deinen Aufenthalt«, murmelte ich Cinnabar zu. »Wer weiß, wo wir das nächste Mal unterkommen.« Dankbar für den Auslauf schnaubte er.
Ein livrierter Reitknecht näherte sich mir. »Werdet Ihr Futter brauchen?«
Ich nickte und angelte in meinem Wams nach einer Münze. »Ja, bitte, und …« Ich stockte, starrte den Burschen an. »Wo, in Gottes Namen, hast du die grüne Weste her? Gestohlen?«
Peregrine grinste. »Geborgt. Die Knechte hier in Greenwich sind ja so leicht zu bestechen. Die ziehen sich nackt aus, wenn sie ein Goldstück glänzen sehen.«
»Tatsächlich?« Ich wandte mich zu den Pferden um und senkte die Stimme. »Hast du ihn gefunden?«
Meinem Beispiel folgend, machte Peregrine sich ebenfalls bei den Pferden zu schaffen und schüttete ihnen Heu auf.
»Ja, er ist hier.«
»Im Palast?«
»Ja. Als du mich fortgeschickt hast, bin ich ihm zu einer Taverne gefolgt, wo er sein Pferd angebunden hatte. Er hat sich nicht mal die Zeit genommen, etwas zu trinken, und hat sich gleich auf den Weg gemacht. Prompt ist er im Zug der Bediensteten aus Whitehall stecken geblieben. Das bot mir eine Gelegenheit, auf einen Karren aufzuspringen. Er ritt neben uns her, hielt aber Abstand, als ob er besser riechen würde. Dabei hatten wir es richtig lustig, mit Bier in rauen Mengen und Gesang. Gleich nach der Ankunft begab er sich in die Gemächer der Königin. Die Wachen am Tor haben ihn ohne Kontrolle durchgewunken. Er muss wohl einen besonderen Status haben.«
»Die Gemächer der Königin?«, fragte ich. »Aber Seine Majestät ist doch gar nicht verheiratet.«
Peregrine schüttelte den Kopf, als wäre ich ein hoffnungsloser Fall. »Ja, schon, aber man nennt sie eben so, weil die Ehefrauen vom alten Henry dort gewohnt haben. Und rate mal, wer jetzt dort untergebracht ist? Jane Grey und ihre Mutter, die Herzogin von Suffolk. Sicher steht unser Mann im Sold der Suffolks.«
Ich ließ mir meine Unruhe nicht anmerken. Hatte die Herzogin einen ihrer Untergebenen auf mich angesetzt? Wenn ja, dann hörte sie gerade von meinem Zwangsbesuch in Cecils Herrenhaus.
»Wie sieht er denn aus? Groß oder klein? Dick oder dünn?«
»Etwas größer als du«, meinte Peregrine, »und irgendwie spitzgesichtig wie ein Frettchen.«
»Ein Frettchen?« Ich musste grinsen. »Das kann ich mir gut merken. Ausgezeichnet, Peregrine. Tut mir leid, dass ich dir die Münze nicht zurückzahlen kann, die du für die Weste ausgegeben hast, aber was nicht ist, kann ja noch werden, stimmt’s?« Ich fuhr ihm durch das Haar und wollte mich schon abwenden, als ich ihn höhnisch auflachen hörte.
»Ich will dein Geld nicht. Münzen kann ich mir genug beschaffen. Es gibt immer Lords und Ladys, die für Spitzeldienste bezahlen. Was ich will, ist, für dich zu arbeiten. Ich hab genug vom Stallausmisten. Ich glaube, du würdest einen guten Herrn abgeben.«
Ich war verblüfft, obwohl ich es natürlich hätte kommen sehen müssen. Der Junge hatte seit unserer ersten Begegnung an mir geklebt wie eine Klette. Ganz gleich, wie ich meine Lebensumstände einschätzte, für ihn war ich jemand, den zu beeindrucken sich lohnte – der Junker des Sohns des Herzogs, der ihm verpflichtet war, weil er mich vor einem möglicherweise bösen Verfolger gerettet hatte, und der stets ein paar Münzen für ihn übrig hatte.
Aber dann fiel mir eine Lösung ein.
»Sehr schmeichelhaft.« Ich lächelte. »Aber leider kann ich mir dich nicht leisten.«
»Wieso nicht? Ich koste nicht viel, und du bekommst doch sicher ein ordentliches Gehalt. Sekretär Cecil bezahlt seine Leute immer gut, und … Hör auf!« Er duckte sich vor der wohlverdienten Kopfnuss.
Ich sah mich um. Die Stallknechte waren zu beschäftigt, um auf uns zu achten, zumal uns die Zwischenwände der Boxen verbargen. Trotzdem war nicht auszuschließen, dass sich ein Lauscher in der Nähe befand.
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