Er hielt inne. »Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass meine Rolle in dieser Angelegenheit natürlich anonym bleiben muss«, fügte er hinzu. »Die Sicherheit der Prinzessin hat natürlich jederzeit absoluten Vorrang. Und es sollte klar sein, dass Ihr meine Befehle ohne Umschweife befolgen müsst. Versteht Ihr? Jede Eigenmächtigkeit Eurerseits könnte unseren ganzen Plan vereiteln. Ihr seid nicht der Einzige, der sich bemüht, sie zu retten. Ihr müsst lernen, sogar denen zu vertrauen, die Ihr nicht kennt oder nicht leiden könnt.«
Ich holte tief Luft. »Ich habe verstanden.«
»Gut. Einstweilen werdet Ihr weiter Lord Robert zur Seite stehen. Beobachtet alles, was er sagt und tut. Ihr werdet noch Weisung erhalten, wie Ihr Eure Informationen weiterzugeben habt, wenn es so weit ist. Und falls sich unsere Pläne ändern, werdet Ihr ebenfalls rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden.« Von dem Aktenstapel neben sich nahm er eine Mappe und schlug sie auf. »Hier seht Ihr eine maßstabgetreue Karte von Greenwich. Prägt sie Euch gut ein. Ich weiß nicht genau, wann, aber ich glaube, während der Hochzeitsfeierlichkeiten von Guilford und Lady Jane wird der Herzog zur Tat schreiten. Ehe es so weit kommt, müssen wir die Prinzessin an einen sicheren Ort schaffen.«
Ich nickte und beugte mich über die Karte, während Cecil mir meinen Auftrag erklärte.
Ich verließ das Herrenhaus an der Themse reichlich benommen. Die Geräusche der Stadt überfielen mich, erinnerten mich daran, dass ich spät dran war für meinen Rapport bei Robert. Ich beschleunigte meine Schritte. Cecil hatte mir versichert, der Palast sei nicht allzu weit entfernt. Er hatte mir sogar Geleit angeboten, das ich jedoch höflich abgelehnt hatte. Je weniger ich von Walsingham und seinen Schlägern sah, desto besser.
Die Sonne zeichnete flirrende Lichtfinger aufs Wasser. Eine drückende Schwüle hing in der Luft. Der Tag versprach, glutheiß zu werden, sobald der letzte Rest von Morgenfrische verflogen war; Kaufleute und Händler gingen bereits emsig ihren Geschäften nach.
Niemand schien mich zu bemerken, doch für alle Fälle zog ich die Kappe tiefer über die Stirn. Ich war mir nur zu deutlich des Wappens auf meinem Ärmel bewusst, das verriet, zu wem ich gehörte, und es bedurfte all meiner Willenskraft, es nicht abzureißen. Ich würde lernen müssen, meinen Abscheu vor den Dudleys zu verbergen, wenn ich Robert von meiner unverbrüchlichen Treue überzeugen wollte.
Denn nun war ich ein Spion: Ich würde für Master Cecil Spitzeldienste leisten, um Prinzessin Elizabeth zu helfen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es einmal so weit kommen würde. Gestern erst war ich als Grünschnabel in London eingeritten und hatte nichts anderes im Sinn gehabt, als mich auf meinem neuen Posten zu bewähren. Einen Tag später kehrte ich mit Verrat im Herzen zu meinem Dienstherrn zurück. Es fiel mir schwer, meine Gefühle angesichts dieser Doppelzüngigkeit miteinander zu vereinbaren, bis ich an die verängstigte junge Frau dachte, die da in ihrem weinbefleckten Kleid allein in einem zugigen Korridor gestanden hatte.
Was ist es denn, was Ihr Euch von mir ersehnt, mein tapferer Junker?
Ich hatte schon einige lärmerfüllte Straßen überquert, als ich merkte, dass ich verfolgt wurde. Ein- oder zweimal fiel mir eine schattenhafte Gestalt hinter mir auf, und ich musste an mich halten, die Person nicht zur Rede zu stellen. Mit der Hand am Dolch, der an der Hüfte hing, setzte ich meinen Weg fort, wobei ich das dichte Gehölz des Jagdforstes sorgsam mied. Sobald ich in die King Street eingebogen war, die unter einem Torbogen hindurch Whitehall querte, blieb ich stehen, um die Kappe zurechtzurücken. Und als ich schließlich den Schatten hinter mir spürte, sagte ich: »Irgendein Narr will sich wohl ein Messer in den Bauch rammen lassen.«
Schweigen folgte. Ich spähte über die Schulter. »Wieso versteckst du dich?«, fragte ich, und ein beschämt errötender Peregrine antwortete: »Weil du meinen Schutz brauchst.«
»Aha. Also hast du den Überfall beobachtet.« Ich hakte die Finger in den Gürtel. »Du hättest um Hilfe rufen oder – besser noch – loslaufen und welche holen können. Oder habe ich dir nicht genug gezahlt?«
»Das wollte ich ja auch«, stieß er hervor. »Am Anfang. Aber ich hielt es für besser, dir zu folgen, falls sie dir eins überziehen und dich in den Fluss werfen. Früher habe ich mein Geld damit verdient, dass ich Leichen aus dem Fluss geborgen habe. Und es war dein Glück, dass ich das getan habe, denn ich war nicht allein.«
»Ach?« Ich blickte mich schnell nach allen Seiten um. »Hat jemand dir geholfen, die Leichen rauszufischen?«
»Nein.« Er trat dich an mich heran und flüsterte: »Es folgt dir noch jemand. Ich hab ihn aus dem Unterholz kommen sehen, als sie dich gefasst hatten. Er ist um das Haus herumgeschlichen, als du drin warst, hat durch die Fenster gespäht und … aua!« Peregrine jaulte auf, als ich ihn am Kragen packte und in eine Seitenstraße stieß.
Er zappelte. Ich hielt ihm den Mund zu. »Sei still, du Dummkopf. Vielleicht beobachtet der Kerl uns immer noch. Willst du, dass wir beide im Fluss enden?«
Seine Augen weiteten sich. Ich ließ meine Hand sinken. Den Blick unablässig auf den Eingang zur Gasse gerichtet, flüsterte ich: »Weißt du, wer er ist?«
Er nickte und fummelte ein Taschenmesser aus seinem Wams hervor. Ich musste grinsen. Genau so eines hatte ich als Junge auch besessen – bestens geeignet, um Äpfel zu schneiden oder Eichhörnchen zu jagen. »Kennt er dich?«
»Nein. Jedenfalls nicht mit Namen. Er ist vor ein paar Tagen zu den Stallungen gekommen und hat zwei Pferde einstellen lassen. Heute hat er einen Kapuzenumhang getragen, aber ich habe ihn trotzdem wiedererkannt. Als er ging, hat er einen der Köter getreten. Das arme Vieh hat doch bloß mit dem Schwanz gewedelt und wollte gestreichelt werden, und er hat ihm einen Tritt verpasst.« Peregrine schnitt eine Grimasse. »Ich hasse Leute, die Tiere quälen.«
»Ich auch.« Ich nahm die Kappe ab und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Unser geheimer Verfolger hatte sich nicht gezeigt, obwohl die Sackgasse, in der wir uns befanden, mit Unrat übersät war und sich insofern ideal für einen Überfall eignete.
Ich zückte meine Geldbörse, um Peregrines Hand mit Münzen zu füllen. »Hör gut zu. Ich kann mich hier nicht länger amüsieren, so gern ich’s auch wollte. Aber du kannst deine Aufgaben offenbar vernachlässigen, sonst wärst du ja nicht hier. Also kannst du vielleicht herausfinden, wohin er will, ohne dir dabei Ärger einzuhandeln.«
»Ich schleiche ja schon den ganzen Tag um ihn herum. Vertrau mir, ich bringe alles heraus, was du wissen willst. Wenn nötig, kann ich schlau sein wie eine Schlange.«
»Das glaube ich gern. Also, pass auf, ich sage dir jetzt, wie wir vorgehen.« Ich erklärte ihm eilig meinen Plan, dann führte ich ihn zu der Straße zurück, wo ich ihn plötzlich von mir stieß.
»Und komm mir ja nicht wieder unter die Augen! Das nächste Mal verfüttere ich dich an die Schweine, du diebischer Spitzbube!«
Peregrine rannte davon. Einige Passanten blieben stehen und schüttelten die Köpfe über das Diebesgesindel in ihrer Mitte. Sichtlich erzürnt klopfte ich mein Wams ab, stülpte mir die Kappe auf und setzte meinen Weg mit der erbosten Miene eines Mannes fort, dem man beinahe seinen schwer verdienten Lohn stibitzt hätte.
Ich war erleichtert, als ich Whitehall erreichte. Der große Innenhof war voller Diener und Kammerherren, sodass ich mich diskret nach den Räumlichkeiten der Dudleys erkundigen konnte.
Trotz meiner Entschlossenheit, der Prinzessin beizustehen, und trotz Cecils Vertrauensbekundungen war ich keineswegs sicher, ob ich Lord Robert ins Gesicht sehen konnte, ohne mich auf der Stelle zu verraten. Auch wenn ich ihn dafür verachtete, dass er mich benutzte – würde es mir wirklich gelingen, eine undurchdringliche Miene zu wahren, um ihn am Erreichen seiner Ziele zu hindern? Dass ich nun auch noch verfolgt wurde, machte mich nur noch furchtsamer. Dabei waren meine Nerven schon vorher zum Zerreißen gespannt gewesen. Wenn mein Zusammentreffen mit Cecil beobachtet worden war, konnte ich getrost davon ausgehen, dass der Verfolger keine wohlwollenden Absichten hegte. Nicht allein das Leben der Prinzessin und das ihrer Schwester Mary standen auf dem Spiel, auch mein eigenes hing von meiner Fähigkeit ab, diese Aufgabe zu Ende zu bringen. Im Moment, versuchte ich, mich zu beruhigen, musste ich nur Robert davon überzeugen, dass sein Ansinnen nicht aussichtslos war und lediglich weiblicher Wankelmut für Verzögerungen sorgte. Ansonsten war es angesichts der jüngsten Ereignisse das Beste, nicht zu weit vorauszuschauen.
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