Eudaimon achtete nicht auf die Tätigkeit seines Rivalen, bis Archimedes bereits vier Tage am Katapult gearbeitet hatte und sich nun anschickte, den Ladestock auf der Lafette auszurichten. Jetzt aber kam der oberste Katapultingenieur herbei und schaute schweigend zu, wie der Balken - er war erst teilweise fertig und doch schon so dick wie ein Schiffsmast - mit Hilfe einer Seilkonstruktion über seiner dreifüßigen Lafette aufgehängt und vorsichtig abgesenkt wurde. Als Archimedes den Handwerkern ein Zeichen gab, sie sollten mit dem Absenken aufhören und ihre Taue sichern, erstarrte Eudaimon. Während der Balken ganz knapp über dem Bolzen schaukelte, begann Archimedes, seine ersten Zielgeräte anzubinden.
»Was ist das?« fragte Eudaimon barsch.
Nach einem schrägen Blick in seine Richtung - bei diesem Vorgang mußte er seinen ganzen Körper drehen, da sein Auge noch immer verbunden war -, fädelte Archimedes weiter seine Rollen auf. »Zur Unterstützung der drehbaren Lagerung«, sagte er.
»So etwas gibt es bei dem Fünfzig-Pfünder auf dem Fort Euryalus nicht!« fuhr ihn Eudaimon an. Es klang persönlich beleidigt.
»Wirklich nicht?« sagte Archimedes leicht verblüfft. »Wie wird er dann gedreht?«
»Hast du nicht hingeschaut?« meinte Eudaimon.
Archimedes schüttelte den Kopf. Während er sich vor Konzentration auf die Zunge biß, fädelte er ein Seil um eine Rolle, die oben auf dem Unterbau befestigt war, schlang es durch die Öse auf dem Ladestock und befestigte es dann wieder an einer Winde auf dem Unterbau. Erst danach wurde ihm klar, daß Eudaimon seine Frage nicht beantwortet hatte. Er schaute sich um.
Eudaimon stand noch immer hinter ihm und starrte ihn mit einer Mischung aus Schock und Empörung an. »Was ist los?« fragte Archimedes.
»Du hast dir den Fünfzig-Pfünder auf dem Euryalus also nicht angeschaut?« fragte der oberste Katapultingenieur.
»Nein«, sagte Archimedes. »Bis dort hinaus ist es ein weiter Weg, und außerdem habe ich weit näher dran eine Maschine nach meinem Geschmack gefunden.«
»Aber die Katapulte dort kommen größenmäßig deinem Konstruktionsversuch am nächsten!«
»Ja«, sagte Archimedes, »aber ich müßte sie immer noch vergrößern, und es ist genauso einfach, einen Fünfzehn-Pfünder zu vergrößern. Übrigens, wie dreht man sie denn?«
Es herrschte Stille. Endlich sagte Epimeles, der Vorarbeiter der Werkstatt, ein großer, bedächtiger, leiser Mann in den Vierzigern: »Man dreht sie gar nicht. Zum Ausrichten braucht man ein paar kräftige Burschen, die dann den Unterbau bewegen.«
»Nun, was für ein Blödsinn!« stellte Archimedes fest und begann, seine zweite Rolle einzufädeln. Auf jeder Katapultseite war eine vorgesehen. Der Katapultschütze mußte lediglich auf der gewünschten Seite eine Winde drehen und mit Hilfe einer dritten Winde die Höhe justieren.
Als einer der Handwerker hämisch kicherte, achtete er nicht weiter darauf, erst als ein Schlag und dann ein Schmerzensschrei ertönte, schaute er aufmerksam hoch und sah gerade noch, wie Eudaimon mit großen Schritten fortging und sich ein Handwerker das Ohr hielt. Archimedes ließ sein Seil fallen und rannte hinter dem Oberingenieur her. Eudaimon blieb abrupt stehen und wirbelte mit zornesdunklem Gesicht herum.
»Du hattest kein Recht, den Mann zu schlagen!« fuhr ihn Archimedes wütend an.
»Ich laß mich nicht in meiner eigenen Werkstatt von meinen eigenen Sklaven auslachen!« schrie Eudaimon zurück.
»Das sind nicht deine Sklaven, sie gehören der Stadt. Du hattest kein Recht, ihn zu schlagen! Und außerdem, was hast du überhaupt damit zu schaffen? Schließlich hast du die Fünfzig-Pfünder doch nicht gebaut!«
»Ich bin hier verantwortlich!« erklärte Eudaimon. »Wenn ich will, kann ich diesen Kerl auspeitschen lassen. Vielleicht will ich das sogar. Elymos! Komm her!«
Der Mann, den er geschlagen hatte, trat vor Schreck einen Schritt zurück, und die übrigen Handwerker starrten den Oberingenieur entsetzt an.
»Das wagst du nicht!« schrie Archimedes empört. »Das laß ich nicht zu!« Er wandte sich an den Vorarbeiter. »Du, lauf die Straße hinauf und mach dem Regenten Meldung!«
»Glaubst du, Leptines möchte mit einem Werkstattstreit belästigt werden?« sagte Eudaimon.
»Wenn er auch nur einen Funken Ehrgefühl hat, dann schon!« antwortete Archimedes. »Er ist hier verantwortlich, und niemand sollte erlauben, daß einer den anderen auspeitschen läßt, wenn er nichts angestellt hat!«
»Ich werde dem Regenten Meldung machen «, sagte der Vorarbeiter entschlossen und schickte sich zu gehen an.
Der Vorarbeiter war genauso Sklave wie die übrigen Handwerker, aber ein wertvoller, erfahrener und vertrauenswürdiger Sklave, dessen Wort selbst im Hause des Königs einiges Gewicht besaß. Bestürzt befahl Eudaimon: »Halt!«
Epimeles drehte sich um und schaute Eudaimon seelenruhig an. »Herr«, sagte er, »ihr beide, du und. dieser edle Herr, seid berechtigt, die Werkstatt zu benutzen. Wenn du meinst, Elymos soll bestraft werden, und er dagegen nein sagt, liegt dann nicht die Entscheidung, wem wir gehorchen sollen, bei unserem Herrn und Meister?«
»Ich bin hier verantwortlich!« knirschte Eudaimon.
»In diesem Fall wird der Regent anordnen, daß wir dir gehorchen und Elymos auspeitschen lassen«, sagte der Vorarbeiter ruhig.
Wieder trat Stille ein, dann sagte Eudaimon: »So etwas habe ich nie befohlen.« Wütend starrte er alle an. »Das wißt ihr alle! So etwas habe ich nie befohlen.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ging weg.
Langsam atmete der Vorarbeiter aus. Elymos stieß erleichtert einen Pfiff aus und setzte sich, während ihm seine Freunde auf die Schulter klopften. Auch Archimedes wollte schon dem Sklaven auf die Schulter klopfen, ließ es aber dann doch sein. Ihm war klar, daß er der Grund für das angedrohte Auspeitschen gewesen war. »Ist alles in Ordnung?« fragte er statt dessen, als er hinüberging.
Elymos nickte und grinste zu ihm hoch. »Besten Dank, Herr«, sagte er, »ich werde mir merken, wie du dich für mich eingesetzt hast.«
»Du hättest nicht lachen sollen«, erklärte ihm Epimeles streng, der gleichfalls herübergekommen war.
Zum Zeichen der Beschwichtigung senkte Elymos den Kopf. Eudaimon konnte vielleicht die Peitsche anordnen, aber in Wirklichkeit war Epimeles derjenige, der in der Werkstatt das Sagen hatte. »Konnte doch nichts dafür! War so lustig!« protestierte Elymos.
»Dabei war er noch nicht einmal schuld, daß sich diese Fünfzig-Pfünder nicht drehen lassen«, sagte Archimedes. »Er hat sie gar nicht gebaut.«
Bei dieser Bemerkung lachte Elymos erneut, aber diesmal noch lauter. »Das macht das Ganze ja nur noch komischer!«
Auch einige andere Handwerker lachten. Perplex starrte Archimedes sie an. Daraufhin stießen sie sich kichernd gegenseitig an. Jetzt begriff Archimedes, daß das Gelächter ihm galt, und wurde rot. Gekränkt ging er zu seinem Katapult zurück und begann schweigend, die Seile erneut einzufädeln. Immer hatte man ihn ausgelacht, und daran würde sich auch nichts ändern. Entweder verlor er sich in seiner Geometrie und damit jedes Gefühl für andere Dinge, oder er begeisterte sich für Sachen, die sie nicht verstanden, und dann lachten sie. Selbst Sklaven, die er verteidigt hatte, lachten ihn aus.
Elymos sprang auf und folgte ihm.
»Ach, Herr, sei doch nicht beleidigt!« sagte er. »Ist doch nur ein Werkstattscherz, nichts weiter.«
»Nun, ich habe ihn nicht kapiert!« entgegnete Archimedes zornig.
Erneut kicherte der Sklave. Aber nach einem scharfen Seitenblick wurde er wieder ernst. »Herr, ich kann das nicht erklären. Jedenfalls nicht dir. Witze sind nie komisch, wenn man sie erklärt. Aber bitte, Herr, sei doch nicht beleidigt. Ist doch nur. ein Sklavenscherz, das ist alles.« Eilends nahm er das dritte Seil und versuchte, es um eine Rolle zu winden.
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