Mit einemmal begriff Marcus, wie der Satz geendet hätte. Rasch suchte er sich eine Beschäftigung und bückte sich nach dem Eimer mit Schmutzwasser. Natürlich. Insgeheim hatte er den Verkauf des Weinberges genau aus demselben Grund mißbilligt. Für ihn hieß das, die Tochter des Hauses um etwas Lebensnotwendiges zu betrügen, um dem Sohn einen Luxus bezahlen zu können. Aber inzwischen merkte er, daß er es nicht so eilig hatte, Philyra samt Mitgift verheiratet zu sehen. Er würde sie vermissen. Aber das war bis jetzt kein Grund zum Grübeln. Selbst mit fünfzig Drachmen die Woche würde es eine Weile dauern, bis sie ihre Mitgift angespart hätten. Und angesichts des Krieges.
Er war entschlossen, nicht an den Krieg zu denken. »Wenn du mich nun entschuldigst, Herrin«, murmelte er und ging hinüber, um das Wasser über die mickrigen Kräutertöpfe neben der Tür zu leeren. Verblüfft schaute ihm Philyra einen Augenblick zu. Die Art und Weise, wie er sich spontan aus der Affäre gezogen hatte, hatte sie überrascht. Sie hatte sich nicht vorstellen können, daß er dazu genügend Einfühlungsvermögen beziehungsweise Verstand besaß.
Am nächsten Morgen brach Archimedes schon ganz früh in die Katapultwerkstatt auf. Als Philyra am Vormittag zum Einkaufen gehen wollte, fand sie nur noch Marcus im Hof. Agatha, die sie sonst immer begleitete, half ihrer Mutter in der Küche, und der junge Chrestos hatte das erstaunliche Talent entwickelt, sich immer dann rar zu machen, wenn er gebraucht wurde. Nachdenklich musterte sie Marcus einen Moment, dann klatschte sie in die Hände, um ihn herzurufen, und gab ihm den Korb.
Wie er in der Morgensonne hinter ihr her durch die schmalen Straßen ging und dabei auf ihren kerzengeraden Rücken unter dem braven, weißen Wollmantel schaute, spürte Marcus, wie ihm jeder Schritt durch ein ungewohntes Glücksgefühl leichter wurde. Allmählich vertraute ihm Philyra ein wenig. Insgeheim betete er, daß ihm die Götter eine Gelegenheit bieten würden, seine Ehrlichkeit zu beweisen. Gegenüber dem wahren Grund, weshalb ihm ihre gute Meinung soviel wert war, verschloß er eisern die Augen. Denn hier gab es, außer Leid, nichts für ihn zu gewinnen. Aber wenn er ihre gute Meinung und ihr Vertrauen gewinnen könnte und von ihr gemocht würde - dieses Vergnügen könnte ihm keiner verwehren.
Zuerst gingen sie zum Bäcker und dann ums Eck zum Gemüsehändler. Argwöhnisch musterte sie die Gemüsehändlerin, eine dünne, boshafte Frau namens Praxinoa. Philyra kaufte Lauch und Oliven und bezahlte für alles mit einem von den ägyptischen Silberstücken ihres Bruders. Zuerst prüfte die Gemüsehändlerin das Geld, ehe sie es in ihre Schatulle legte und das Wechselgeld herausholte. »Hat sich dein Bruder schon wieder eingelebt?« erkundigte sie sich eifrig bei Philyra. Das Mädchen war überrascht.
»Sehr gut«, erwiderte Philyra. Sie wollte unbedingt, daß die Nachbarn den verbesserten Status der Familie zur Kenntnis nahmen, und fuhr fort: »Er hat schon eine Arbeit gefunden. Er baut Katapulte für den König.«
»Katapulte, tatsächlich?« fragte die Gemüsehändlerin. »Aha.« Nach einem vorsichtigen Blick in die Runde beugte sie sich näher zu ihrer Kundin und meinte mit leiser Stimme: »Vielleicht ist das dann die Erklärung. Kurz bevor du kamst, hatte ich hier einen Kerl, der hat sich nach deinem Bruder erkundigt.«
»Was?« fragte Philyra erstaunt und aufgeschreckt zugleich. »Wer?«
»Weiß ich nicht«, sagte Praxinoa genüßlich. »Nie vorher gesehen. War auch keiner aus der Nachbarschaft. War aber schick angezogen. Dachte mir, einer von ganz oben. Beamter. Muß mit diesen Katapulten zu tun haben. Sind doch strategisch wichtig, oder?« Ihre Augen glitzerten vor Skandalgier.
»Ja«, sagte Philyra und versuchte, energisch zu klingen, obwohl ihr Herz schneller klopfte. In Syrakus konnte ein Interesse von ganz oben sehr, sehr gefährlich sein. »Wahrscheinlich erkundigen sie sich nach jedem, der in der Katapultwerkstatt arbeitet.«
»In Alexandria tun sie’s jedenfalls«, warf Marcus beiläufig ein. »Hab’s dort selbst gesehen.«
Enttäuscht zog sich Praxinoa zurück. »Hat wohl in Alexandria Katapulte studiert, ja?«
Als sie wieder draußen vor dem Laden waren, schaute Philyra Marcus ärgerlich an. »Glaubst du wirklich, daß es ein Mann des Königs war, wegen der Katapulte?«
»Ich kann mir nichts anderes vorstellen«, erklärte ihr Marcus.
Statt Ärger empfand sie nun Angst und - Verlegenheit, weil sie einen Haussklaven um Rat fragen mußte. »Sind die Leute in Alexandria auch gekommen, um über ihn Erkundigungen einzuziehen?«
Marcus zuckte die Schultern. »Nein, aber in Alexandria hatte er auch keinen Zutritt zu den königlichen Werkstätten. König Ptole-maios hält große Stücke auf seine Katapulte und würde Fremde nie auch nur in die Nähe lassen. Archimedes hat sich lediglich mit einem befreundeten Ingenieur ein paar Maschinen auf der Festungsmauer angeschaut. Aber Katapulte sind wirklich strategisch. Meiner Meinung nach besteht kein Grund zur Sorge.«
Philyra nickte, runzelte aber noch beim Weitergehen die Stirn. Phidias hatte nie irgendein beunruhigendes Interesse von höchster Stelle geweckt. Sicher, Phidias, hatte andererseits auch nie fünfzig Drachmen pro Woche verdient. Die Dinge änderten sich. Wenn sie doch nur mehr Zutrauen haben könnte, daß sich auch alles zum Guten verändern würde.
Archimedes genoß weltvergessen die Werkstatt. In der Vergangenheit hatte er seine Maschinen immer eigenhändig bauen müssen, wobei ihm häufig Marcus half und gelegentlich auch ein ungelernter Sklave, den er sich für eine spezielle Aufgabe ausborgte. Zwischen den interessanten Abschnitten des Maschinenbaus hatte es immer jede Menge zu sägen und zu hämmern gegeben und damit viele Blasen an den Händen. Jetzt mußte er nur sagen: »Ich möchte, daß dieser Balken, so und so groß, mit jenem verzapft wird«, oder: »Ich brauche eine eiserne Ladestockplatte in der und der Form, die genau in diese Öffnung paßt«, und binnen einer Stunde war alles fertig. Das nahm dem Maschinenbau die langweilige Seite und ließ nur das angenehm Kreative übrig.
Die ersten paar Tage in der Werkstatt trug er eine Leinenklappe über dem Auge, die er mit Delias Mundband festband. Wenn er zur Königsvilla ging, um die Fertigstellung des Katapults zu verkünden, würde er der Schwester des Königs ein neues Band überreichen. Das hatte er bereits beschlossen. Inzwischen durchfuhr es ihn jedesmal insgeheim, wenn er das alte festband. Trotzdem verriet er seiner Familie nicht, woher er den schmalen Lederstreifen hatte. Vermutlich würden sie es mißbilligen.
Er folgte seinem eigenen Rat und versuchte, Eudaimon aus dem Weg zu gehen, was natürlich nicht immer möglich war. Schließlich teilten sie dieselbe Werkstatt und die Dienste derselben Zimmerleute. Aber Eudaimon schien genauso glücklich zu sein, wenn er es vermeiden konnte, mit Archimedes zu sprechen, wie umgekehrt Archimedes, und einige Tage ging alles friedlich voran. Auf der Suche nach einem Katapult, dessen Maße er kopieren konnte, machte Archimedes einen Ausflug zu den nächstgelegenen Forts auf der Festungsmauer. Schließlich konzentrierte er sich auf einen Fünfzehn-Pfünder mit besonders ausgeprägter und exakter Wurfbahn und korrigierte dementsprechend die geschätzten Ausmaße seiner eigenen Maschine. Die Tatsache, daß sein Original viel kleiner war als seine Kopie, bereitete ein paar Probleme, die er mit Vergnügen löste. Der Ein-Talenter bekäme eine Armspannweite von fünfeinhalb Metern und würde über neun Meter lang. Damit war er zu schwer und zu stark, um mit den üblichen Methoden ausgerichtet oder gespannt zu werden. Also mußte er sich dafür ein System aus Rollen und Winden ausdenken, und das machte Spaß.
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