Ich erschrak, weil ich befürchten mußte, auch hier, und noch dazu als Mitglied eines Gerichtes, in die Streitigkeiten der Juden mit hineingezogen zu werden. Der Angeklagte, den ich genau betrachtete, hatte einen stechenden Blick und große Ohren und bewahrte in seinem schäbigen Ziegenhaarmantel eine stolze Haltung.
Wie in einem Traum erinnerte ich mich, daß ich ihn vor vielen Jahren einmal im Hause meines Vaters in Antiochia gesehen hatte, und erschrak noch mehr, denn in Antiochia hatte er solchen Aufruhr verursacht, daß sogar die Juden, die sich zu Christus bekannten, es vorgezogen hatten, ihn aus der Stadt zu schicken, damit er anderswo Zwietracht unter den Juden säe.
Der Mann öffnete schon den Mund, um sich zu verteidigen, aber Gallio, der wohl wußte, was er zu erwarten hatte, bedeutete ihm zu schweigen und sagte zu den Juden: »Ginge es um ein Verbrechen oder eine Missetat, so würde ich euch gern geduldig anhören. Wenn ihr euch aber über euer Gesetz und eure Lehre streitet und darüber, wie ihr diese nennen wollt, so macht das unter euch aus. In dieser Sache sitze ich nicht zu Gericht.«
Dann befahl er den Juden, sich zu entfernen, wandte sich an uns Beisitzer und erklärte: »Wenn ich den Juden den kleinen Finger reichte, würde ich sie nie wieder los.«
Allem Anschein nach ließen sie ihm aber auch so keine Ruhe. Er lud uns nach der Sitzung wieder zum Essen ein, war jedoch zerstreut und versank in endlose Grübeleien. Zuletzt nahm er mich beiseite und sagte mir im Vertrauen: »Ich kenne den Mann sehr gut, den die Juden anklagen wollten. Er hält sich seit einem Jahr in Korinth auf, ist ein Zeltmacher und führt ein untadeliges Leben. Er heißt Paulus, und es wird behauptet, er habe, um seine Vergangenheit zu verbergen, seinen alten Namen abgelegt und den neuen nach dem früheren Statthalter auf Kypros, Sergius Paulus, angenommen. Auf Sergius machte seine Lehre damals tiefen Eindruck, und Sergius ist kein Narr, wenngleich er sich mit der Sterndeuterei versuchte und einen Zauberer bei sich wohnen ließ. Paulus muß daher ein bedeutender Mann sein. Ich hatte das Gefühl, daß seine stechenden Augen mitten durch mich hindurch in eine andere Welt blickten, als er da so furchtlos vor mir stand.«
»Er ist unter allen Juden der schlimmste Unruhestifter«, sagte ich. »Schon in Antiochia, als ich noch ein Kind war, versuchte er, meinen gutmütigen Vater für seine Sache zu mißbrauchen.«
»Du warst damals zweifellos noch zu jung, um seine Lehre zu verstehen«, sagte Gallio. »Bevor er nach Korinth kam, hat er auf dem Markt in Athen gesprochen. Die Athener machten sich die Mühe, ihn anzuhören, und erklärten sogar, sie wären nicht abgeneigt, ihn ein zweites Mal zu hören. Du willst doch wohl nicht klüger sein als die Athener? Ich würde ihn gern einmal heimlich zu mir bitten, um seine Lehre von Grund auf kennenzulernen, aber das könnte zu bösem Gerede Anlaß geben und die reichen Juden Korinths verärgern. Ich bin ja gezwungen, mich streng unparteiisch zu verhalten. Soviel ich weiß, hat er eine eigene Synagoge oder etwas dergleichen neben der Synagoge der Juden gegründet und unterscheidet sich von diesen zumindest dadurch angenehm, daß er sich nicht für mehr als andere hält und jeden ohne Ansehen der Person unterrichtet – Griechen sogar noch lieber als Juden.«
Gallio hatte über diese Dinge offenbar viel nachgedacht, denn er fuhr fort: »Als ich noch in Rom war, glaubte ich diese einfältige Geschichte von dem entsprungenen Sklaven namens Christus nie. Wir leben in einer Zeit, in der unsere Gedanken überall ins Leere stoßen. Von den Göttern will ich nicht reden, denn in ihrer überlieferten Gestalt sind sie nichts als Gleichnisse, mit denen sich schlichte Gemüter unterhalten mögen. Aber auch die Weisheitslehren machen den Menschen nicht besser, noch vermögen sie ihm den Frieden zu geben, das haben die Stoiker und Epikureer gezeigt. Vielleicht hat dieser elende Jude wirklich irgendein göttliches Geheimnis erfahren. Wie sollte seine Lehre sonst so viel Streit, Haß und Eifersucht unter den Juden erwecken?«
Ich will nicht alles wiedergeben, was Gallio mir in seiner Katerstimmung noch sagte. Zuletzt gab er mir aber den Befehl: »Geh zu diesem Mann, Minutus, und mache dich mit seiner Lehre bekannt. Du hast dazu die besten Voraussetzungen, denn du hast ihn schon in Antiochia kennengelernt. Im übrigen nehme ich an, daß du einiges über den Jahve der Juden und ihre Sitten und Gebräuche weißt, denn dein Vater soll in Antiochia mit großem Erfolg zwischen den Juden und dem Rat der Stadt vermittelt haben.«
Ich saß in einer Falle und kam nicht wieder heraus. Gallio hatte für alle meine Einwände taube Ohren. »Du mußt deine Vorurteile überwinden«, sagte er. »Wer die Wahrheit sucht, muß ehrlich und aufrichtig sein, sofern politische Rücksichten ihn nicht daran hindern. Zeit hast du genug, und du kannst sie dir auf schlechtere Weise vertreiben als damit, daß du das geheime Wissen dieses armen Juden und Welterlösers zu ergründen suchst.«
»Und wenn er mich durch Zauberei in seine Gewalt bringt?« fragte ich verbittert, aber Gallio fand meine Frage nicht einmal einer Antwort wert.
Ein Befehl ist ein Befehl, und ich mußte ihn nach bestem Vermögen ausführen. Es konnte für Gallio tatsächlich von Vorteil sein, volle Klarheit darüber zu erlangen, was dieser gefährliche und einflußreiche Aufwiegler lehrte. Am Tag des Saturn kleidete ich mich daher in ein einfaches griechisches Gewand, suchte die Synagoge der Juden und trat dann in das Haus nebenan. Ich sah, daß es gar keine richtige Synagoge war, sondern ein stilles Haus, das ein Stoffhändler der von Paulus gegründeten Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte.
Der Gästeraum im oberen Stockwerk war gedrängt voll. Ich sah lauter einfache Menschen. Frohe Erwartung leuchtete in aller Augen. Sie begrüßten einander freundschaftlich und hießen auch mich willkommen, ohne nach meinem Namen zu fragen. Die meisten waren Handwerker, kleine Händler oder Sklaven, aber es gab da auch eine ganze Anzahl alter Frauen, die sich mit Silberschmuck behängt hatten. Der Kleidung nach zu urteilen, waren nur wenige der Anwesenden Juden.
Paulus erschien in Gesellschaft mehrerer Jünger. Er wurde mit Huldigungsrufen begrüßt wie der Bote eines wirklichen Gottes. Einige Frauen weinten vor Freude, als sie ihn erblickten. Er sprach mit hallender, durchdringender Stimme und steigerte sich durch seine eigenen Worte in einen solchen Eifer, daß es wie ein glutheißer Wind durch die schwitzende, dichtgedrängte Zuhörerschar ging.
Seine bloße Stimme ließ einen bis ins Mark erschauern. Ich hörte ihm aufmerksam zu und machte mir Anmerkungen auf einer Wachstafel, denn er wies gleich zu Anfang auf die heiligen Schriften der Juden hin, um durch Zitate daraus zu beweisen, daß Jesus von Nazareth, den man in Jerusalem gekreuzigt hatte, wirklich der Messias oder der Gesalbte war, dessen Kommen die Propheten vorausgesagt hatten.
Am meisten fesselte mich, daß er offen von seiner eigenen Vergangenheit sprach. Er war ohne Zweifel hoch begabt, denn er hatte in der bekannten Philosophenschule in seiner Heimatstadt Tarsos und später in Jerusalem bei berühmten Lehrern studiert. Schon in seiner Jugend war er in den höchsten Rat der Juden gewählt worden. Er berichtete, daß er ein leidenschaftlicher Anhänger des Gesetzes und Verfolger der Jünger Jesu gewesen war und sogar die Kleider der Steiniger bewacht und damit an der ersten gesetzwidrigen Hinrichtung eines Mitgliedes der Gemeinde der Armen teilgenommen hatte. Er hatte mehrere, die den neuen Weg wandelten, verfolgt, gebunden und vor den Richter geschleppt und zuletzt auf eigenes Begehren die Vollmacht erhalten, die Anhänger des Nazareners festzunehmen, die vor der Verfolgung nach Damaskus geflohen waren.
Auf dem Weg nach Damaskus hatte ihn aber plötzlich ein so überirdisches Licht umleuchtet, daß er davon geblendet wurde. Jesus selbst hatte sich ihm offenbart. Von dieser Stunde an war er ein anderer. In Damaskus legte ihm einer von denen, die sich zu Jesus bekannten, ein gewisser Ananias, die Hände auf und gab ihm das Augenlicht zurück, da Jesus von Nazareth ihm zeigen wollte, wieviel er dafür leiden müsse, daß er Christi Namen verkündete.
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